Golo Maurer: „Heimreise"

Das Land, wo die Zitronen blühen

07:13 Minuten
Cover des Buches: Heimreisen
© Historiker Golo Maurer widmet sich Goethes Italienreise.

Golo Maurer

Heimreise. Goethe, Italien und die Suche der Deutschen nach sich selbstRowohlt Verlag, Hamburg 2021

544 Seiten

28,00 Euro

Von Michael Opitz  · 23.12.2021
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In einem dicken, aber äußerst lesbaren Buch widmet sich der Historiker Golo Maurer Goethes Italienreise sowie der mit dieser verbundenen deutschen Sehnsucht nach dem Süden.
Am 3. September 1786 um drei Uhr morgens, Goethe war wenige Tage zuvor 37 Jahre alt geworden, ließ der Autor des „Werther“ Weimar hinter sich und floh nach Italien. Die für ihn und die deutsche Literatur so folgenreiche Reise war vom Geheimen Rat zuvor bereits zweimal verschoben worden. Als er schließlich die Kutsche bestieg, hatte er die Reise minutiös vorbereitet.
Dass Goethe schon 1775 und vier Jahre später noch einmal am Gotthard gestanden hatte, aber dann doch nicht nach Italien ging, dass er bei der tatsächlich in Angriff genommenen Reise einen Dachsranzen trug, dass er ohne seinen Diener reiste und auch ohne die Erlaubnis des Herzogs, darüber und über noch sehr viel mehr informiert Golo Maurer in seinem Buch, in dem Goethes italienische Reise von ebenso zentraler Bedeutung ist wie deren Vor- bzw. Nachgeschichte.

Der Dichter reist inkognito

Maurer, Leiter der Bibliotheca Hertziana in Rom, hat ein kenntnisreiches und auf Detailwissen basierendes Buch geschrieben. Einblicke gewährt er auch in Goethes finanzielle Verhältnisse. Aufgelistet werden die nicht unerheblichen Reisekosten des Malers Möller, als der sich der inkognito reisende Goethe ausgab.
Maurer informiert die neugierig mitreisenden Leser verlässlich und zugleich unterhaltsam über Goethe, das Reisegeschehen, die in Weimar zurückgelassenen Vertrauten, die Familie des Herzogs und das dichterische Werk des „Oberfluchtmeisters“, als den wir Goethe hier kennenlernen.

Die innere Sehnsucht

Dass es sich bei Gothes Italienreise zugleich um eine Heimreise handelte, weiß Maurer überzeugend darzulegen, da er nicht nur der Reiseroute des Dichters folgt. Er geht auch auf die Beweggründe ein, die den Reisenden veranlasst hatten, Weimar zu verlassen.
Der Fliehende, so Maurer, reiste nicht in die Fremde, sondern die Flucht nach Italien war für den Dichter eine Heimreise: „Es ist mir, als wenn ich hier geboren und erzogen wäre“, hielt er in der „Italienischen Reise“ fest. Die Reise nach Italien stand am Beginn einer biographischen Korrektur.
Der Dichter, der nach seinem Erfolg mit dem „Werther“ Minister in Weimar geworden war – sich aber in seinem Amt vom Schreiben entfernte –, erlebt in Italien seine Wiedergeburt und wird wieder zum Dichter. Insofern war Goethe, nach Italien fahrend, unterwegs zu sich selbst.

Der „Profi-Zurück-Kommer“ und seine Nachfolger

Der „Oberfluchtmeister“ war auch ein „Profi-Zurück-Kommer“, der es verstand, Sehnsüchte zu wecken. Mit Herders Italienreise, der sich, zunächst enthusiasmiert, ebenfalls auf den Weg in das Land machte, in dem die Zitronen blühn, beginnt der letzte Teil von Maurers Buch, das von den auf Goethes Spuren Reisenden handelt. Herder jedoch versteht Goethes Italieneuphorie ebenso wenig wie später Gustav Nicolai.
Das Buch hätte damit enden können, denn Goethe war diesen Reisenden noch ganz gegenwärtig. Aber in den folgenden Abschnitten des Buches über Fanny Hensel, Ludwig Pollack, Robert Curtius, Rudolf Borchardt, Ingeborg Bachmann, Hans Werner Henze und Rolf Dieter Brinkmann tritt er immer mehr in den Hintergrund. Dennoch, ein überaus kluges und lesenswertes Buch, das auch helfen kann, den vorerst ins Frühjahr verschobenen Italienurlaub zu überbrücken.  
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