Depression, Essstörung, Alkoholismus

Was psychisch Kranken über Weihnachten hilft

05:44 Minuten
Illustration einer Frau, die zusammengerollt in einer gläsernen Weihnachtskugel hockt, die an einem Baum hängt. Das Bild hat etwas bedrückendes.
Psychisch Kranke sollten erklären, wie es ihnen geht, so Anke Glaßmeyer. Angehörige sollten fragen, wie sie Betroffenen die festliche Zusammenkunft zu Weihnachten so leicht wie möglich machen können. © Getty Images / iStockphoto / Maria Petrishina
Anke Glaßmeyer im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 23.12.2022
Audio herunterladen
Für psychisch Kranke ist Weihnachten oft besonders belastend. Die Psychotherapeutin Anke Glaßmeyer rät, der Familie die eigene Situation zu erklären. Angehörige sollten auch ein Nein akzeptieren. Für alle gilt: Erwartungen niedrig halten.
Mit dem Weihnachtsfest sind nicht nur fröhliche Familientreffen, üppiges Essen und besinnliche Tage verbunden. Für Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, bedeuten die Feiertage vielfach Angst und besonderen Stress. Auch Angehörige stehen vor Herausforderungen: Wie mit Depressiven, Essgestörten oder Alkoholikern umgehen?
"Reden, reden, reden" ist nach Darstellung der Psychotherapeutin Anke Glaßmeyer für beide Seiten das Wichtigste. Sie selbst litt als Kind an einer Essstörung und gibt ihre Erfahrungen unter anderem auf Instagram weiter. In ihrer Praxis ist sie mit den Sorgen ihrer Patienten zu den Feiertagen konfrontiert. Manche würden sich fragen, wie sie es überhaupt schaffen können, das Haus zu verlassen.

Vorbereitung ist alles

Es sei wichtig, mit nahestehenden Personen vorher zu sprechen und zu klären, wo Schwierigkeiten liegen und wie man unterstützt werden könnte, so Glaßmeyer. "Dann aber auch akzeptieren, dass das Fest vielleicht nicht so wird, wie man es sich wünscht", betont sie. Man sollte als Betroffener die Erwartungen niedrig halten und gut für sich selbst sorgen. Das habe nichts mit Egoismus zu tun.
So könne man es beispielsweise erklären: "Mir geht es gerade nicht so gut, ich habe eine schwierige Phase in meinem Leben, das Jahr war anstrengend, deshalb schaffe ich es dieses Jahr nicht oder ich komme nur für eine Stunde." Es könne auch eine Lösung sein, nur an einem der Feiertage mit der Familie zusammenzusitzen oder sich Pausen zu nehmen.

Ein Krisenplan für den Notfall

Im Vorhinein sei es zudem hilfreich, sich einen Krisenplan zu überlegen, so die Therapeutin: "Was mache ich, wenn es mir ganz schlecht geht zum Beispiel?" Sich zum Weihnachtsfest zu zwingen der Harmonie willen und um den Erwartungen der Familie gerecht zu werden, ist ausdrücklich keine Empfehlung Glaßmeyers. Stattdessen: Probleme kommunizieren und auf Verständnis hoffen.

Was Angehörige tun können

Die Psychotherapeutin fordert Angehörige dazu auf, auch ein Nein anzunehmen.

"Wenn jemand sagt, ich komme nicht, nein, ich möchte keinen Alkohol, nicht immer wieder nachfragen. Auch Aussagen wie 'Reiß dich mal zusammen' oder 'Du brauchst doch keine Angst zu haben' oder 'Iss doch einfach' oder 'Komm, ein Glas geht doch' – so etwas sollte auch akzeptiert und respektiert werden. Es sollten keine Körperformen oder Essverhalten kommentiert werden."

Psychotherapeutin Anke Glaßmeyer

Das Wichtigste für Angehörige: fragen, wie man die psychisch erkrankte Person unterstützen kann: "Wie kann ich es dir leicht machen, dass das Fest so angenehm wie möglich wird? Das bedeutet also: reden, reden, reden", unterstreicht Glaßmeyer. Auch für Angehörige gelte es, die Erwartung niedrig zu halten.

Psychische Leiden nehmen zu

Mit psychischen Leiden wie Depression und chronischer Erschöpfung müssen sich viele Familien auseinandersetzen. Das zeigt sich auch an aktuellen Zahlen zu Arbeitsausfällen : Die Zahl entsprechend bedingter Krankheitstage habe 2021 den Rekordwert von 126 Millionen erreicht, sieben Millionen mehr als 2020, berichtet die "Augsburger Allgemeine". Sie beruft sich dabei auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion.
Schon im November warnte der Deutsche Ethikrat, dass psychische Erkrankungen unter Jugendlichen infolge der Pandemie stark zugenommen hätten. Dazu zählten Essstörungen, Süchte, Angsterkrankungen und Depressionen. Personal müsse geschult werden, um frühzeitig die seelischen Nöte der jungen Generation zu erkennen und Hilfsangebote vermitteln zu können.
Bei der Pandemiebekämpfung habe es einen "fast ausschließlichen Fokus auf Gesundheit im Sinne körperlicher Unversehrtheit" gegeben. Die psychische Gesundheit sei "zu lange im toten Winkel der öffentlichen Aufmerksamkeit" geblieben. Das habe dazu geführt, dass aus psychischen Belastungen "manifeste Erkrankungen" geworden seien, die ohne Therapie nicht mehr zu bewältigen seien.
(bth/KNA/dpa)

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema