Jugendliche

Offen über psychische Erkrankungen sprechen

09:11 Minuten
Eine junge Frau mit Maske schaut aus einem Fenster in dem sich ein Zaun und eine Pflanze spiegeln.
Einen Grund für die vermehrten psychischen Schwierigkeiten bei Kindern und Jugendlichen während der Coronazeit sehen Fachleute in den Idealen, die soziale Medien vermitteln. © Getty Images / Justin Paget
Von Astrid Wulf · 02.02.2022
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Die Coronazeit macht sich bei Kindern und Jugendlichen besonders durch verstärkte Depressionen, Ängste und Essstörungen bemerkbar. Eine 15-Jährige aus Lübeck hat ihre Erkrankung in einem Theaterstück verarbeitet.
Homeschooling, kein Auslandsjahr nach dem Abi, kaum Möglichkeiten, mal feiern zu gehen: Von den Einschränkungen und Belastungen der vergangenen zwei Jahre mit dem Coronavirus sind besonders auch Kinder und Jugendliche betroffen. Psychische Krankheiten haben in dieser Zeit auch unter ihnen extrem zugenommen.
Eine Jugendliche aus Lübeck, die schon vor der Pandemie erkrankte, hat ihre Depression in dem Theaterstück „I´m fine“ verarbeitet. Darin stecken viele persönliche Erfahrungen der 15-Jährigen Beeke Luise, die die Rolle einer Patientin in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie spielt, und auch am Drehbuch mitgearbeitet hat.

Krank vom Zustand der Welt

Sie sei 2019 selbst vier Monate lang in einer solchen Einrichtung gewesen, wegen Depressionen, Selbstverletzungen und Suizidgedanken*. Im Herbst 2019 habe sie angefangen, das Stück zu schreiben. „Es gibt viele Vorurteile über diese Krankheiten und ich will halt, dass man darüber sprechen kann.“
Warum Beeke Luise so krank wurde, weiß sie bis heute nicht genau. Sie vermutet, dass der Zustand der Welt sie einfach krank gemacht hat, vor allem Rechtsextremismus und der Klimawandel belasten sie. „Während der Pandemie ging es mir natürlich auch nicht gut, aber da war nicht so eine dolle Depression.“

Bei Kindern psychosomatische Beschwerden

Forscherinnen vom Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) haben während der beiden bundesweiten Lockdowns Kinder und Jugendliche in ganz Deutschland online befragt, wie es ihnen geht. Die Ergebnisse der Befragungen zeigten, dass sich viele Kinder durch die Folgen der Pandemie sehr belastet fühlen, sagt Anne Kaman, wissenschaftliche Mitarbeiterin am UKE. „Wir sehen, dass etwa jedes dritte Kind während der Pandemie unter einer psychischen Auffälligkeit leidet. Auch depressive Symptome, Ängste und Sorgen haben im Vergleich zur ersten Befragung noch einmal zugenommen.“
Viele Kinder machten sich Sorgen, was in der Zukunft geschehen wird, oder ob sie mit den schulischen Anforderungen zurechtkommen, sie seien zum Teil sehr traurig und auch hoffnungslos. Vor allem bei jüngeren Kindern äußerten sich die psychischen Belastungen auch in psychosomatischen Beschwerden. „Sie haben zum Beispiel häufiger Bauch- und Kopfschmerzen, sind niedergeschlagen und gereizt und berichten auch häufiger über Schlafprobleme.“

Zwei Jahre auf Therapieplatz warten

Ähnliches beobachtet auch Christine Margarete Freitag von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP). Vor allem Essstörungen, Angsterkrankungen und Depressionen hätten zugenommen. Dabei spielten auch die Körper- und Lifestyle-Ideale, die durch soziale Medien vermittelt werden, eine Rolle. „Weil die Kinder nicht mehr zur Ruhe kommen, sich nicht mehr mit sich und ihren Bedürfnissen auseinandersetzen, sondern nur noch angetrieben sind durch diese ganzen Medien.“
Ein Mädchen sitzt halb versteckt hinter ihrem Laptop am Schreibtisch.
Homeschooling, kein Auslandsjahr nach dem Abi, kaum Möglichkeiten, mal feiern zu gehen – die starken Einschränkungen schlagen vielen Jugendlichen auf die Seele. © Unsplash / Annie Spratt
Das macht sich auch in Kliniken in Schleswig-Holstein bemerkbar, die sich um psychisch kranke Kinder und Jugendliche kümmern. Zum Beispiel haben sich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Friedrich-Ebert-Krankenhauses im Schleswig-Holsteinischen Neumünster die Wartezeiten auf einen ambulanten Therapieplatz auf knapp zwei Jahre fast verdoppelt, wie eine Sprecherin erklärt. Schon vor Corona fehlten die Angebote für nach einem Klinikaufenthalt, sagt Christine Margarete Freitag von der DGKJP.

Unter Jugendlichen weniger ein Tabu?

Immerhin scheint das Tabu rund um psychische Erkrankungen zu bröckeln – zumindest bei Jugendlichen untereinander. So sieht es zumindest die Lübecker Kinder- und Jugendtherapeutin Verena Spiekermann. Sie hat die Jugendlichen und die Regisseurin bei der Arbeit am Theaterstück „I’m Fine“ beraten. Sie glaube aber auch, dass vielen Jugendlichen oft gar nicht so klar ist, dass sie sich über psychische Erkrankungen unterhalten. Sie würden häufig einfach über ihre Symptome sprechen: „Ich konnte die letzten Tage so schlecht einschlafen, ich habe so wenig Lust.“
„I’m Fine“ ist kein leichter Stoff – und im Anschluss an die Vorstellung gibt es noch so einige Fragen aus dem Publikum an die Regisseurin und die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler, darunter Beeke Luise. Zum Beispiel: Wie kann ich helfen, wenn Freunde psychische Probleme haben? Ist es ein Vertrauensbruch, wenn ich Erwachsene einschalte, wenn meine Freundin von Suizidgedanken erzählt? Auch nach der Fragerunde diskutieren die Jugendlichen noch lebhaft im Foyer des Theatersaals miteinander.

Lernen, mit den negativen Gefühlen umzugehen

Beeke Luise ist stolz darauf, was sie mit ihrem Theaterstück erreicht hat. Nach ihrer Zeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat sie eine ambulante Therapie gemacht. Die Gespräche haben ihr geholfen. Bis heute trifft sie sich hin und wieder mit ihrer Therapeutin. Ihre Krankheitsgeschichte öffentlich zu machen und nach den Theatervorstellungen Fragen aus dem Publikum zu beantworten – das ist Beeke Luise wichtig.
Auch wenn es ihr besser geht – so ganz sind die düsteren Gedanken nicht verschwunden. Aber sie hat gelernt, mit ihren Gefühlen umzugehen. Und sie weiß, was sie tun kann, um sich besser zu fühlen: „Sachen, die einem Freude machen. Ablenken, vor allem Reden mit Menschen hilft viel.“

*Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen: Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter https://www.telefonseelsorge.de. Eine Liste mit bundesweiten Beratungsstellen gibt es unter https://www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote/adressen.

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