WDR-Programmleiter über #ActOut

"Das Bewusstsein aller Beteiligten schärfen"

08:40 Minuten
Alexander Bickel in dunklem Anzug und hellblauem Hemd.
Alexander Bickel leitet beim WDR den Programmbereich Fernsehfilm, Kino und Serie. Er sagt, die Initiative #ActOut helfe beim Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung. © WDR / Annika Fußwinkel
Alexander Bickel im Gespräch mit Gesa Ufer · 10.02.2021
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Dass die queeren Menschen bei Actout ihre Initiative gestartet haben, hat auch beim WDR Diskussionen ausgelöst. Programmleiter Alexander Bickel sagt: "Wir haben die Aufgabe, das Bewusstsein aller Beteiligten zu schärfen."
185 queere Menschen, die auf der Bühne und vor der Kamera stehen, haben sich im "SZ-Magazin" geoutet und mehr Sichtbarkeit von unterschiedlichen sexuellen Orientierungen in Film und Fernsehen gefordert. Die Initiative hat bis hin zum US-Branchenblatt "Hollywood Reporter" hohe Wellen geschlagen. Und auch beim WDR hat sie sofort Diskussionen ausgelöst, wie Alexander Bickel berichtet. In der Redaktion hätten alle sofort am Freitag das "SZ-Magazin" gelesen und bereits am Wochenende habe man sich dann dazu ausgetauscht. Schließlich habe die Redaktion in ihrer regulären Montagskonferenz über die Initiative diskutiert.

Respekt und die Frage nach der Verantwortung

Alexander Bickel leitet seit Mai 2019 den Programmbereich Fernsehfilm, Kino und Serie bei dem großen ARD-Sender und spricht von Respekt für die mutige und klare Initiative und von großer Sympathie für den Wunsch nach Sichtbarkeit und Repräsentanz. Zugleich habe man sich gewundert, dass im Jahr 2021 noch die Notwendigkeit bestehe, das so klar zu formulieren.
Das klingt so ähnlich wie bei Vertretern anderer Branchen, die am Entstehen eines Films oder einer Serie beteiligt sind. Sowohl eine Casting-Verantwortliche als auch ein Vertreter der Drehbuchautorinnen und -autoren begrüßten die Initiative. Sie glauben beide allerdings auch, dass der Einfluss der eigenen Berufsgruppe sehr begrenzt sei: Anja Dihrberg setzt auf die Autorinnen und dass diese diversere Figuren entwickeln, Sebastian Andrae, Geschäftsführer der Verbandes Deutscher Drehbuchautoren, sprach direkt die Programmverantwortlichen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen an: Diese dürften ruhig etwas mutiger sein und mehr Experimente wagen. Wer also trägt die Verantwortung dafür, dass die deutsche Fernsehrealität jedenfalls nicht so divers ist, wie es sich die Menschen wünschen, die sich im "SZ-Magazin" zu Wort gemeldet haben?

Welches Bild von Gesellschaft

"Die Frage, welches Bild von Gesellschaft wir zeigen, muss uns als öffentlich-rechtlicher Sender beschäftigen, zumal als Redaktion, die sich mit Fiktion beschäftigt", sagt Bickel. Die Selbst- und die Fremdwahrnehmung gingen bei vielen Themen durchaus auseinander: "Wir sind immer mehr in der offenen Gesellschaft gefragt und uns damit auseinanderzusetzen: Ist das, was wir für ein repräsentatives Bild der Gesellschaft halten, wirklich repräsentativ? Und da hilft natürlich so eine Aktion, nochmal einen Abgleich zu machen."
Der WDR habe sich früh mit Fragen der Vielfalt beschäftigt, habe als einer der ersten Sender eine Integrationsbeauftagte gehabt und müsse sich zugleich immer wieder fragen: "Zeigen wir das ganze Bild oder haben wir blinde Flecken?" Bickels Antwort: "Da sind wir dran". Vom WDR habe es auch durchaus schon Filme und Episoden gegeben, die sich mit Fragen der Identität im sexuellen oder im Geschlechtersinn beschäftigt häben.
"Wir wollen das ernst nehmen", sagt Bickel zu dem Wunsch nach Repräsentation im Film, schränkt allerdings auch ein: "Wir sind als Redaktion für die Auswahl der Stoffe verantwortlich, wie sind im weiteren Prozess mit der Regie zusammen zuständig für die Besetzung, da wollen wir uns auch nicht rausreden." Zugleich sei Filmemachen ein arbeitsteiliger Prozess, und da gelte: "Die Redaktion hat nicht die Aufgabe zu diktieren: "Das wird so gemacht..., das wird so gemacht..." so funktioniert kreative Arbeit nicht."

"Wir haben die Rolle, das Bewusstsein zu schärfen"

"Wir haben die Rolle, das Bewusstsein aller Beteiligten, auch unser eigenes, zu schärfen: Wo sind wir schon gut unterwegs und wo müssen wir noch besser werden?"
Zugleich gebe es Zwänge – beim fiktionalen Fernsehen ganz sicherlich auch wirtschaftliche Zwänge –, sagt Bickel, daneben solche, die vielleicht auch nur vermutet würden, etwa "der Blick, was wollen die Leute sehen, was wollen sie nicht?"
Von Quotendruck wolle er nicht sprechen, betont der Programmleiter: "Wir haben einen Programmauftrag. Ich würde ungern von einem Quotendruck sprechen, wenn ich mich als Programmmacher mit der Frage beschäftige, wer will das, was ich da mache."
"Der Druck, den wir haben – und das, finde ich, ist ein positiver Druck – ist vor allen Dingen, uns zu überlegen, wie wir ein Programm für die Mediathek so machen, dass wir ein Publikum gewinnen oder zurückgewinnen, was wir verloren haben", sagt Bickel. "Und da ist diese Initiative für mehr Diversität eine ganz wesentliche." Dieser Erkenntnis müsse der WDR nun auch in der Programmarbeit entsprechen – "wenn wir eine Chance haben wollen, in der Mediathek neue Zuschauer zu erreichen oder Zuschauer wieder zu erreichen", so Bickel.
(mfu)
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