Sport und Schonung

Was gegen Long Covid helfen kann

25:11 Minuten
Ein Long-Covid-Patient macht eine Atemübung.
Patient bei einer Atemübung: Bis zu 15 Prozent der Corona-Infizierten sind von Long Covid betroffen. © dpa / picture alliance Friso Gentsch
Von Sabine Lerche · 24.03.2024
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Vier Jahre nach Beginn der Coronapandemie kämpfen noch immer viele Infizierte mit Long Covid. Für die Betroffenen mit vielen unterschiedlichen Symptomen gibt es auch studienbasierte Behandlungen und verschiedene Bewegungsangebote. Kann Sport helfen?
„Eine Schätzung ist, dass das Long-Covid-Risiko jetzt, wenn man sich infiziert, auch nach Impfung ungefähr bei drei Prozent liegt. Das sind zehntausende Menschen, die in kurzer Zeit immer wieder betroffen sind. Und somit ist das Problem Long Covid noch nicht gelöst.“

Betont Gesundheitsminister Karl Lauterbach nach dem zweiten Runden Tisch zu Long Covid im letzten Dezember - und zu den neuen Long-Covid-Betroffenen kommen noch diejenigen, die immer noch mit den Folgen ihrer länger zurückliegenden Coronainfektion kämpfen:

„Es ist total bescheuert, aber ich war so stolz, dass ich selber einen Großeinkauf gemacht habe. Da ist dann auch noch diese ganze Reizüberflutung, wenn man das zwei Jahre lang nicht hatte. Und dann im Hinterkopf: Ich bin total anfällig für Krankheiten, hier hustet jemand!“

Bis zu 200 mögliche Symptome

Long Covid – laut WHO ein Krankheitszustand ab vier Wochen nach der eigentlichen Infektion mit bis zu 200 möglichen Symptomen. Zu den Hauptsymptomen gehören Atemnot, neurokognitive Störungen, die krankhafte Erschöpfung Fatigue und eine körperliche wie kognitive Belastungsintoleranz.
Überschreiten Betroffene ihre Belastungsgrenzen, kann es zum Crash kommen:

„Immer, wenn ich zu viel Energie verbraucht habe, mein Körper quasi eine Art Shutdown macht – also sagt: Okay, Stopp, hier geht nichts mehr. Wir müssen jetzt die restliche Energie für die Versorgung der lebenswichtigen Organe erhalten. Jetzt legen wir dich lahm.“

Unterschiedliche Schweregrade

Die Schweregrade von Long Covid sind unterschiedlich, manche Betroffenen schaffen keine 1.000 Schritte pro Tag, andere zwischen 2.000 und 4.000 - und wieder andere sogar, sportlich zu sein:

„Diese ganzen Beschwerden, die ich anfänglich hatte, sind weniger geworden. Ich kann mittlerweile auch einen Kilometer gehen, dann schneller gehen oder ein bisschen walken. Das konnte ich alles gar nicht. Ich konnte keine 20 Meter laufen, das tat mir alles weh.“

Anerkannte Long-Covid-Therapie fehlt

Gerade die unterschiedlichen Ausprägungen und die mögliche Verschlechterung des Gesundheitszustands nach zu hoher Belastung machen es schwierig, den Betroffenen zu helfen.

„Dann hatte ich eine Atemtherapie ausprobiert, auch Rehasport. Und das hat alles nur Crashes ausgelöst. Das wurde alles nur schlimmer und schlechter. Und es konnte mir auch keiner erklären: Was sind meine Symptome, warum ist das überhaupt? Warum kann ich jetzt an einem Tag 30 Minuten spazieren gehen und an dem anderen kriege ich nach zehn Minuten Luftnot und es geht nichts? Und es geht mir wieder eine Woche lang schlecht.“
„Da hat sich eben herausgestellt, dass es keine einheitliche Behandlung für Long Covid gibt. Jede Rehaklinik macht seine Behandlung selber - nach seinem besten Gewissen, gar keine Frage. Aber es gibt eben keinen Standard in diesem Bereich. In der Physiotherapie sieht das noch dramatischer aus, also da gibt es noch weniger.“

„Da formulieren die Patienten immer wieder, dass sie sich alleingelassen fühlen – von der Politik, von ihren Ärzten, von ihren Familienangehörigen, dass sie nicht genug Unterstützung auf der Arbeit bekommen. Am Ende so einer Stunde weinen manche auch dabei, weil sie so froh sind, dass sie einfach Leute gefunden haben, mit denen sie quasi wie eine Selbsthilfegruppe auch mal zusammen reden können.“

Long Covid als "weitere chronische Erkrankung"

Die Zahl der Betroffenen kann nur geschätzt werden. Von den bisher über 38 Millionen gemeldeter Covid-19-Infektionen in Deutschland sind geschätzt zwischen 6 und 15 Prozent von Long Covid betroffen. Dauert der Zustand über drei Monate an, spricht man auch von Post Covid.

Ich glaube, das ist eine realistische Einschätzung, dass man sagen kann, dass es jetzt in die Normalität reingeht und dass wir eine weitere chronische Erkrankung haben, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Benedikt Ewald, Deutscher Behindertensportverband

Sagt Benedikt Ewald, Direktor für Sportentwicklung beim Deutschen Behindertensportverband. Zwar ist vier Jahre nach Beginn der Coronapandemie der Ausnahmezustand von vielen verdrängt, es bleibt aber die Frage: Wie kann den Long- und Post-Covid-Betroffenen geholfen werden?

Behandlung mit Ganzkörperergometer aus der Weltraumforschung

Das gleichmäßige Sirren der Ganzkörperergometer schafft eine meditative Atmosphäre. Durch die große Fensterfront des S.P.O.R.T.-Instituts in Overath scheint die Sonne.
Zwei Long-Covid-Betroffene trainieren auf den Geräten: Die Beine treten wie auf einem Fahrrad, die Arme bewegen sich wie auf einem Stepper.

Die ganze Firma hatte ursprünglich für die Weltraumforschung, für die NASA, gearbeitet und hat auch Trainingsgeräte hergestellt, die eben auch im Weltraum funktionieren. Und darauf sind die auch ausgelegt. Jetzt haben wir gemerkt, man kann damit auch sehr gut in den Leistungssportbereich rein -  und dass das ein Ganzkörpertrainingsgerät ist.

Björn Hajduk, Sportwissenschaftler und Geschäftsführer des S.P.O.R.T.-Instituts

Erklärt Björn Hajduk, Sportwissenschaftler und Geschäftsführer des S.P.O.R.T.-Instituts. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule in Köln führt er die TRIBAL Studie durch, eine trainingsbasierte Behandlungsmethode für Long Covid.
Ganzkörperergometer
Ganzkörperergometer können auch Long-Covid-Betroffenen helfen.© Sabine Lerche
Im Mittelpunkt steht dabei das Ganzkörperergometer. Mit ihm lassen sich das Training und vor allem die individuelle Belastung ganz genau kontrollieren und sehr fein steuern, so Haiduk:

„Wir kontrollieren immer, dass sich die Patienten im Toleranzbereich halten.“

Ausdauertraining unter der Belastungsgrenze

Die Idee ist: Die Long-Covid-Betroffenen trainieren immer knapp unter ihrer persönlichen Belastungsgrenze. Durch das stufenspezifische Ausdauertraining soll sich diese Belastungsgrenze Stück für Stück nach oben verschieben und damit auch die Belastungstoleranz und Leistungsfähigkeit steigern.

„Wir wollen, dass die Patienten immer in der Lage sind, ihre Belastung zu schaffen. Das ist auch ein ganz wichtiges Tool. Denn diese Referenz, diesen Grenzwert, sollen sie auch mit in den Alltag nehmen, weil es auch für sie eine Richtlinie darstellen kann, wie sie im Alltag ihre Belastung einschätzen können.“

„Das hat sich am Anfang wie so einen Abnutzungskampf angefühlt, weil man die ganze Energie hier gelassen hat“, erklärt Sasha Rogosz.

Er nimmt seit eineinhalb Jahren an der Patientenstudie teil. 15 Minuten dauert das Training auf dem Ganzkörperergometer.

„Dann gehen hier die Zahlen hoch, und dann zieht so die Energie nach, die man im Alltag hat. Und dann geht man hier wieder hoch, dann ist es erst mal ein bisschen anstrengender, und dann zieht es wieder nach. Also man kriegt auch selber ein Gespür dafür.“

Der 30-jährige Rogosz hat vor seiner Coronainfektion Ende 2021 als Sozialarbeiter gearbeitet, auch Sport getrieben. Aber daran war mit Long Covid nicht mehr zu denken:

Es wurde alles nur schlimmer und schlechter. Dann hatte ich ungefähr Anfang August mein Startgespräch beim Doktor Hajduk. Und es war zum ersten Mal dieses: Ich werde hier verstanden! Auf der Rückfahrt sind mir die Tränen im Auto kommen, weil endlich Hoffnung da war, dass mir hier geholfen werden kann.

Sascha Rogosz, Long-Covid-Betroffener

Training soll Anpassungsprozess bewirken

Zu Beginn des Trainingsprogramms wird bei den Patienten und Patientinnen die individuelle Belastungsgrenze durch verschiedene Tests ermittelt.

„Diesen untersten Wert, den nehmen wir als Referenz, um dann zu schauen, wie passt sich der Körper an. Denn, wenn wir immer an der Grenze arbeiten, kommt es zu einem Anpassungsprozess und damit verschieben wir einmal die Toleranzgrenze nach oben hin. Und zum anderen können wir damit natürlich auch dafür sorgen, dass die Patienten sich Stück für Stück auch an die Belastung gewöhnen.“

Sagt Björn Haiduk. Die aktuell 100 Patienten trainieren zweimal pro Woche in seinem Institut. Die Intensität steigert sich mit dem Erreichen neuer Belastungsgrenzen.
Ziel ist, die Fatigue-Symptomatik zu verringern und, neben Kraft und Ausdauer, auch die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität zu erhöhen - und PEM, die Post-Exertionelle Malaise, also die Zustandsverschlechterung nach Belastung, zu vermeiden.

Arbeitsfähig zu sein als Trainingsziel

Wenn man das jetzt mal metaphorisch vergleichen möchte: Das Ziel ist oben die Autobahn, da wollen wir rauf. Wir müssen aber erst mal schauen, wo befinden sich die Patienten. Sind sie in der Lage, in der 30er-Zone zu fahren oder in der Innenstadt? Diese Grenze müssen wir weiter Stück für Stück verschieben. Aber dabei gleichzeitig das PEM vermeiden.“

Autobahn heißt für Haiduk, acht Stunden am Tag arbeitsfähig zu sein. Ein hochgestecktes Ziel.
Studienteilnehmer Sascha Rogosz steht kurz vor seinem Wiedereinstieg in den Beruf. Eine Halsinfektion hat ihn jetzt zurückgeworfen. Trotzdem: Er hat ein Gefühl für seinen eigenen Energiespeicher bekommen.

Mittlerweile ist mein Akku stabil. Klar schaffe ich dann wenig. Aber ein super Meilenstein war für mich, dass ich gemerkt habe: Ich war jetzt vormittags hier und abends konnte ich etwas kochen. Einfach auch zu merken, dieser Akku lädt schneller wieder auf.

Sascha Rogosz, Long-Covid-Betroffener

Leistungsdaten zeigen Zustandsverbesserung der Betroffenen

Auch die Ergebnisse aus den bisher erhobenen Leistungsdaten zeigen eine Leistungssteigerung. Die Fatigue-Symptome verringern sich. Allerdings braucht das Zeit. Seit Projektstart vor über zwei Jahren haben knapp 10 der 120 Patienten die Behandlung abgeschlossen. Für Langzeiteffekte gibt es noch keine Daten.

Durch die Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule werden zusätzlich Laborwerte untersucht.

„Mein Name ist Marijke Grau. Ich arbeite an der Deutschen Sporthochschule in Köln, vor allen Dingen im Fachbereich Hämatologie und Hämorheologie bei Sport und bei Erkrankungen und Gesundheit.“

Rote Blutkörperchen bei Long-Covid-Betroffenen verändert

Marijke Grau und ihr Team untersuchen vor allem die Erythrozyten, die roten Blutkörperchen der Patienten. Sie sind für den Sauerstofftransport im Körper über das Blut verantwortlich.
Bei Long-Covid-Patienten sind aber circa 25 Prozent der Erythrozyten verändert: Sie verschmelzen miteinander, verändern ihre Form oder haben Ausstülpungen. All diese Faktoren haben einen negativen Einfluss auf den Sauerstofftransport und damit auch auf die körperliche Leistung, für die Sauerstoff in den Muskeln und Organen nötig ist.
Die bisherigen Laborwerte zeigen: Durch das Trainingsprogramm verbessern sich die Blut-Parameter. Woran das liegt, wissen die Forscher und Forscherinnen noch nicht.
Die spezielle Verknüpfung von Training und Forschung sei aber sehr effektiv:

„Wo dann tatsächlich Praxis und Forschung unmittelbar miteinander verzahnt werden, weil ich denke, dass es nicht nur für Long-Covid-Betroffene, sondern auch für viele andere mit chronischen Erkrankungen extrem wichtig ist, dass die Therapie individualisiert wird, dass unterschiedliche Faktoren damit reingreifen und dass dann auch neueste Erkenntnisse aus der Forschung unmittelbar in die Praxis und in die Behandlung der Personen mit den chronischen Erkrankungen integriert wird.“

Bus zur Post-Covid-Diagnostik

Belastungsgrenzen bei Long Covid durch körperliches Training verschieben – einen anderen Ansatz verfolgt das Watch-Projekt in Thüringen. Watch steht für mobile wohnortnahe Versorgung und Therapiesteuerung bei Post Covid in Thüringen.

Seit November 2023 fährt durch die Landkreise in Thüringen der Post-Covid-Bus. Von außen scheinbar ein ganz normaler Bus für den Personenverkehr, innen aber Behandlungszimmer und Arztpraxis auf engstem Raum.
Die Lüftung brummt, es ist warm, bewegt sich jemand, wackelt der Bus. Wenn nicht gerade Desinfektionsspray benutzt wird, riecht es auch eher nach Bus als nach Arztpraxis.
Post-Covid-Bus in Erfurt
Ein Blick in den Post-Covid-Bus mit einem Behandlungszimmer© Sabine Lerche
Der Bus ist zentraler Bestandteil des Watch-Projekts. Im Bus machen die Post-Covid-Betroffenen verschiedene Tests zur kognitiven und körperlichen Leistungsfähigkeit, es wird Blut abgenommen und die Lungenfunktion untersucht.

Telemedizinische Betreuung über mehrere Monate

Anschließend sind die Patienten und Patientinnen Teil eines zweimal zwölf Wochen dauernden Interventionsprogramms. Sie werden über Apps, Fitness-Tracker und Videosprechstunden zuhause telemedizinisch betreut.
Bestandteile sind ein kognitives Training und leichte körperliche Aktivität mit PEM-Prävention, beides basierend auf speziellen Apps, dazu kommt eine psychologische Krisenintervention. Aktuell sind 170 Patienten im Projekt eingeschlossen.
Das Projekt hat ein Fördervolumen von knapp sechs Millionen Euro, beteiligt sind mehrere Universitätskliniken, Krankenkassen, medizinisches Personal und Wissenschaftler, die an Post Covid forschen.

„Mein Name ist Christian Puta. Ich habe hier eine Professur für Sportmedizin und Gesundheitsförderung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.“

Puta ist zuständig für die körperlichen Aspekte der Patienten im Watch-Projekt. Durch die Betreuung sollen sich langfristig die kognitiven, körperlichen und psychologischen Defizite der Post-Covid-Betroffenen verbessern und ihnen so auch wieder mehr Teilhabe am Arbeits- und Sozialleben ermöglichen.

Keine Long-Covid-Heilung, sondern Symptom-Linderung

Dabei geht es nicht um eine Long-Covid-Heilung, sondern um eine Linderung der Symptome und um Strategien, mit den Symptomen zu leben. Zentral ist das Erlernen von Pacing:

„Es ist ein Energie-Ressourcenmanagement, nicht ein Energie-Erhöhungsmanagement. Es geht nicht darum, mehr Energie zu generieren, sondern es geht darum, mehr Energie über den Tag zur Verfügung zu haben, indem man sparsam mit dem Verbrauch umgeht.“

Pacing-Methode: Strategie, um mit seiner Energie zu haushalten

Das Pacing umfasst laut Puta vier Komponenten: den individuellen Energierahmen, Warnsignale vor einer potentiellen Symptomverschlimmerung wie Kopfweh, Muskelschwäche oder Muskelschmerzen, den täglichen Umgang mit Pacing und die Ruhe-Herzfrequenz, als wichtiger Marker für den Zustand des Körpers. Das alles und das nötige Körpergefühl zu erlernen, ist aber gar nicht so einfach.

„Ich bin Mia Diekow. Ich bin selbst betroffen von ME/CFS nach einer Covidinfektion im März 2020.“

Die Erkrankung ME/CFS, die Myalgische Enzephalitis mit Chronischem Fatigue Syndrom, tritt wie Long Covid nach Infektionskrankheiten auf. Auch ME/CFS-Betroffene leiden unter PEM, der Verschlechterung der Symptome nach Überlastung:

Betroffene beschreiben PEM gerne mit so etwas wie einen Kater haben plus Jetlag plus einen zusätzlichen Infekt, um annähernd zu illustrieren, wie sich das anfühlt. Also man ist wirklich komplett lahmgelegt. Das ist eine heftige Sache.“

Durch Pacing richtig Pause machen

Mit Pacing kann PEM vermieden werden. Mia Diekow hat knapp vier Jahre gebraucht, um Pacing zu erlernen. Es geht darum, seine verfügbare Energie einzuschätzen und vor allem Pausen zu machen.

„In einer Pause wird nichts gemacht außer gelegen. Man kann autogenes Training, Meditation oder Atemtechniken zur Entspannung einsetzen. Aber kein Social Media, kein Radio oder Fernsehen. Wirklich nichts zu machen, ist sehr hart. Gerade zu Beginn, wenn man es gewöhnt ist, sonst viel zu machen. Viele nutzen in dieser Zeit Baustellenlärmschützer und Schlafmasken, um sich von Reizen abzuschirmen.“

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Erklärt Mia Diekow in einem Video zu Pacing, das sie zusammen mit Long Covid Deutschland und der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS aufgenommen hat.

Selbsthilfegruppen bündeln Wissen

„Was ich Betroffenen raten würde, wenn sie am Anfang stehen, sich in Selbsthilfe zu begeben für einen guten Austausch, um erst mal zu erlernen, wie sie mit ihrer Erkrankung umgehen sollen. Das Wissen, das dort gebündelt ist, in diesen Gruppierungen online, ist viel umfassender als das, was Hausärzte bieten können. Einfach aufgrund der Schwarmintelligenz. Und das nächste, was ich noch sagen würde, ist Beharrlichkeit“, appelliert ein Long-Covid-Betroffener. Nach seiner Coronainfektion hatte eine Sporttherapie in einer Rehaklinik seinen Zustand verschlechtert. Seine Belastungsintoleranz wurde nicht beachtet, obwohl er immer wieder darauf hingewiesen hatte.
Heute, fast zwei Jahre später, wird er durch seine Beharrlichkeit von den behandelnden Ärzten ernst genommen. Und dank Pacing kann er als moderat Betroffener auch zwölf Stunden pro Woche arbeiten.

Herzfrequenz als wichtiger Marker zur Belastungssteuerung

Mia Diekow ist gleichfalls moderat betroffen, für das Pacing nutzt sie eine Pulsuhr:

„Ich beobachte bei gewissen Tätigkeiten, die für mich anstrengend sind, meinen Puls. Und wenn der über einem gewissen Sollwert längerfristig ist, dann ist es schlecht. Das heißt, ich vermeide, über diesen Wert zu kommen. Bei mir ist es so etwas wie 110, 120 - und den sollte ich möglichst nicht für längere Zeit überschreiten.“
Der Puls ist auch ein wichtiger Marker für Christian Puta vom Projekt Watch in Thüringen. Die Patienten ermitteln über Fitnesstracker täglich ihre Herzfrequenzen.

„Über die Fitnesstracker sind wir in der Lage, sowohl die Herzfrequenz basierten Daten, also den Puls, letztendlich die Aktivität, die Schritte einzuschätzen und das in eine Konstellation zu diesen Symptomverschlimmerungen zu bringen. Das ist zum Beispiel ein Ziel, um darüber ein Verständnis zu gewinnen und die Betroffenen auch über diese Trackerdaten anzuleiten.“

Energiestoffwechsel mit Sauerstoff scheint bei Long Covid beeinträchtigt

Zum Zusammenhang zwischen Belastung und Long Covid konnte die Forschung schon einige Richtwerte ermitteln: Belastungen sollten in kurzen Intervallen von 30 bis 40 Sekunden stattfinden mit langen drei Minuten-Pausen.
Heißt praktisch: Beim Treppensteigen nur ein paar Stufen gehen, dann hinsetzen und Pause machen. Und dann die nächsten Stufen.
Insgesamt sollten die Belastungen auch nicht länger als zehn bis zwölf Minuten dauern. Dauert die Belastung länger, muss der Körper auf einen Energiestoffwechsel mit Sauerstoff umsteigen.
Der scheint aber bei Long- und Post-Covid-Betroffenen beeinträchtigt zu sein. In der Folge kommt es zu Erschöpfungszuständen, Fatigue und einer Symptomverschlimmerung.

Das erkläre auch, warum körperliche Aktivitätsprogramme, in der Reha zum Beispiel, bei manchen Long-Covid-Betroffenen zu einer Zustandsverschlechterung führen, ergänzt Christian Puta.

Aktiv ja, aber im Rahmen von Pacing

Aktiv zu bleiben, sei aber trotzdem wichtig, allerdings muss das Pacing den Rahmen vorgeben und nicht Trainingsprinzipien aus dem Leistungssport:

„Das ist hier ganz klar nicht zu empfehlen, dieses Modell aus der Trainingssteuerung. Das ist die Superkompensation, das heißt man trainiert, hat einen Anpassungseffekt über das Normale hinaus. Und diesen Anpassungseffekt kann man nutzen für einen Trainingseffekt später. Das ist nicht anzuwenden bei Post Covid.“

Diekow: „Sport sieht für mich als moderat Betroffene jetzt so aus, dass ich versuche, jeden Tag nach Möglichkeit einmal alle meine Muskeln einzeln irgendwie anzuspannen. An guten Tagen, ich nenne das rumrollen, lege ich mich auf eine Matte und versuche mal, alles irgendwie zu dehnen und zu mobilisieren.“

Diekows Ansatz ist also weniger Sport im klassischen Sinne, sondern Bewegungserhaltung kombiniert mit dem Körperbewusstsein, wie es ihr an diesem Tag geht und wie viel Energie sie hat.

Rehakurs für Long Covid in Leverkusen

Peter Richter ist über 70, er wirkt zufrieden mit sich, die Freude am Rehasport sieht man ihm an. Mit den anderen Teilnehmern geht er zu Musik kreuz und quer durch die Halle.
"Vor anderthalb Jahren hatte ich vielleicht einen Leistungsstand von 10 bis 15 Prozent. Mittlerweile bin ich bei 40 bis 50 Prozent maximal. Die habe ich aber schon.“

Der Long-Covid-Rehakurs beim TSV Bayer 04 Leverkusen war 2022 einer der ersten Rehkurse für Long-Covid-Betroffene. Seitdem ist der Kurs gewachsen: von anfangs 2 Teilnehmern auf heute 14.

„Ich habe ein bisschen mehr Ausdauer, ich habe ein bisschen mehr Muskeln gekriegt, die waren ziemlich weg.“

„Ich hatte jetzt die Tage eine Teilnehmerin, die hat mir gesagt: Ich konnte bis in den dritten Stock ohne Pause nach oben gehen. Das war vor Monaten nicht denkbar. Das ist schon toll, wenn man so ein Ergebnis sieht.“

„Von der Konzentration ist es nur leicht besser geworden, da wird der Sport wahrscheinlich auch nicht so viel machen können. Aber von der Leistungsfähigkeit, vom Körper, von der Lunge hat sich das ungemein verändert. Also zum positiven Wert. Da muss ich sagen: gute Arbeit hier.“
Teilnehmer eines Rehakurses in Leverkusen
Teilnehmer eines Rehakurses in Leverkusen© Sabine Lerche

Info-Angebote durch den Deutschen Behindertensportverband 

Noch vor eineinhalb Jahren rechnete der Deutsche Behindertensportverband DBS mit einer Long-Covid-Welle, die auch die Reha-Kurse in den Vereinen vor Herausforderungen stellen sollte.

„Ich würde sagen, wir sind deutlich, deutlich besser aufgestellt, als wir das vor anderthalb Jahren gewesen sind“, resümiert Benedikt Ewald, Direktor für Sportentwicklung beim DBS. „Wir haben versucht, die Initiative mit unserem Forum zu übernehmen und dort in Erscheinung zu treten.“
Um einheitliches, evidenzbasiertes Wissen auch in die Kurse zu bringen, hat der DBS Multiplikatoren-Schulungen für Reha-Dozenten initiiert. Im Jahr 2024 gibt es über 20 Lehrgänge zu Long Covid im Rehasport - basierend auf einem mehrseitigen Skript, das der DBS in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern erstellt hat.

Reha-Übungsleiter für Belastungssteuerung bei Long Covid sensibilisieren

An diesem orientiert sich auch Stefan Schmitz. Er ist Sporttherapeut, hat eigene Reha-Sportkurse, gibt aber auch Übungsleiter-Fortbildungen. Als einer der ersten hat er spezielle Fortbildungen zu Long und Post Covid für Rehasport angeboten.
„Faktoren wie die Belastungssteuerung, Testverfahren, die man einbauen kann, die Belastungsintoleranz, oder auch das Pacing - also ich könnte schon beinahe sagen, der Kern oder Herzstück der Fortbildung ist immer, die Belastungssteuerung im Training oder im Rehasport vernünftig zu gestalten.“

Dafür will Schmitz die Übungsleiter sensibilisieren. Sein Wissen basiert auf aktuellen wissenschaftlichen Studien und auf Erfahrungen aus seinen eigenen Kursen.

Breites Übungsrepertoire im Long-Covid-Rehakurs

Informieren und weiterbilden – das hat auch Hans-Peter Gierden gemacht: groß gewachsen, sportlich, türkises Sportshirt und pinke Brille. Gierden leitet den Long-Covid-Kurs in Leverkusen.
Das Programm passt er immer wieder an, mit Wissen aus Fortbildungen zum Atem- oder Pilatestrainer. Von der Belastungsintoleranz hat er zum ersten Mal durch Medienberichte gehört.

Heute wartet auf die Kursteilnehmer ein Zirkeltraining. Damit lassen sich gezielt verschiedene Symptome von Long Covid ansprechen und verbessern. Und vor allem individuelle Intensitäten anbieten:

„Wir haben uns langsam herangetastet und die Belastung über die Zeit und über die Gewichte oder die Wiederholungszahl angepasst und dementsprechend uns ganz individuell einfach kontinuierlich gesteigert. Und wenn es zu viel war, wird eine Pause gemacht.“

Rehakursen sollten nach Symptomen und Belastungsgrenzen differenzieren

Christian Puta aus Jena appelliert, auch in den Rehasportkursen nur kurze Übungen zu machen, Atemregulationstechniken, Pacing und Meditation einzubauen.

Wichtig ist zu differenzieren und abzuklären: Welche Long-Covid-Symptome haben die Teilnehmer*innen und vor allem: Haben sie eine Belastungsintoleranz, an die das Programm angepasst werden muss?
Aber bis zur Long-Covid-Symptomatik muss es gar nicht kommen.

Nach Infektion: Körper braucht Zeit zum Ausheilen

"Wenn man jetzt retrospektiv bei Post Covid guckt, dann weiß man, dass diejenigen, die in den ersten 14 Tagen nach der Infektion bewusst die Füße nicht stillgehalten haben und sich Ruhe gegönnt haben, später in ein schwereres Symptom-Cluster, wenn sie Post Covid entwickeln, reinfallen können. Das ist nicht Ursache-Wirkung, das ist erst mal eine Korrelation, aber ich denke, den Hinweis sollte man ernst nehmen.“

Denn aus der Forschung wisse man mittlerweile, dass der Körper nach der Coronainfektion ein gewisses Zeitfenster brauche, um die Immunantwort abzuschließen.
Vor dem Wiedereinstieg in den Sport sollte man laut Christian Puta nach Symptombeginn zehn Tage inklusive drei symptomfreie Tage warten.

„Man soll keine Angst haben. Man soll erst mal ausheilen lassen – und nicht nur drei Tage. Und dann beobachten, was passiert, wenn ich jetzt eine leichte Belastung habe: Wie geht's meinen Symptomen? Wenn ich merke, das wird sukzessive besser, ist es okay. Wenn ich aber merke, diese Erschöpfung bleibt massiv und das geht von Woche zu Woche, dann muss man schon mal einen Rat aufsuchen und sagen, da ist etwas nicht korrekt.“

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