"Wanja"-Regisseurin Carolina Hellsgard

"Ich hatte Lust auf eine geheimnisvolle Frau"

Die Regisseurin Carolina Hellsgård
Die Regisseurin Carolina Hellsgård © © Meike Sieveking
Carolina Hellsgard im Gespräch mit Susanne Burg · 04.06.2016
Sieben Jahre Gefängnis – und was kommt danach? Von den Problemen der Resozialisierung erzählt der Film "Wanja". Mit dieser Frauenfigur habe sie auch eine rätselhafte und unnahbare Persönlichkeit erschaffen wollen, sagt Regisseurin Carolina Hellsgard.
Susanne Burg: "Wanja", so heißt das Spielfilmdebüt von Carolina Hellsgard, das im letzten Jahr bei der Berlinale Premiere hatte, dann auf zahlreichen anderen Festivals lief und nun in die Kinos kommt. Im Zentrum steht eben besagte Wanja, gespielt von Anne Ratte-Polle. Wanja saß sieben Jahre im Gefängnis und muss sich nun in der Welt wieder zurechtfinden.
O-Ton Film: Wanja? Ich bin Nikolas, Ihr Bewährungshelfer. Sorry, dass ich so spät dran bin, tut mir wirklich leid. Möchten Sie was trinken? – Nee, ich würd gern eine rauchen. – Ich hab gehört, Sie haben Arbeit gefunden? – In einer Tierhandlung. Ist aber nur ein Praktikum. – Aber klingt doch super!
Burg: Aber so super ist das dann nicht, denn das Praktikum ist sie bald wieder los. Der Tierhändler beschuldigt sie, Geld aus der Kasse genommen zu haben. Das mit der Wiedereingliederung ist nicht so einfach. Im Studio ist die Regisseurin des Films, die Schwedin Carolina Hellsgard, die an der Universität der Künste in Berlin experimentelle Mediengestaltung studiert hat und dementsprechend auch seit vielen Jahren in Berlin lebt. Guten Tag!
Carolina Hellsgard: Hallo!
Burg: Ja, diese Ausgangssituation, Häftling kommt aus dem Gefängnis und muss sich wieder in die Gesellschaft eingliedern, das interessiert Filmemacher immer wieder. Was hat Sie an dieser Situation gereizt?
Hellsgard: Genau, das ist ja wirklich eine sehr klassische Geschichte. Ich habe diese Geschichte benutzt, um ein nicht so klassisches Porträt von einer Frau zu machen. Und ich habe immer wieder gedacht, dass ich ein Porträt über eine Frau machen möchte, die sehr lang von der Gesellschaft weg war und die erst, als sie rauskommt, eigentlich keinen Kontakt zu anderen Menschen aufbauen kann, sondern eher eine Beziehung zu Tieren hat.

Wanjas Changieren zwischen Realität und Phantasie

Burg: Ja, es sind dann plötzlich Enten bei ihr in der Wohnung oder es kommt ein Rabe. Man weiß aber manchmal gar nicht: Gibt es die wirklich, bildet sie sich die nur ein? Also, das mit der Wirklichkeit ist ja für jemanden, der im Gefängnis saß, auch eine schwierige Angelegenheit: Man kommt wieder raus und eigentlich ist alles wie immer, aber alles ist auch irgendwie so ein bisschen fremd. Wollten Sie dieses Gefühl auch auf den Zuschauer übertragen, indem Sie häufiger mal offen lassen, ob das, was da gerade passiert, auch real ist?
Hellsgard: Genau. Also, Wanja ist so eine Art von Protagonistin, der man eigentlich nicht vertrauen kann. Man weiß nicht, ob das jetzt die Realität ist oder nur ihre subjektive Wahrnehmung. Und mit dieser Art von Methode hoffe ich, eine Spannung aufzubauen im Film, dass man als Zuschauer sich nie so richtig sicher ist, ob Wanja jetzt die Wahrheit sagt oder ob sie einfach lügt.

Schweigsame Filmhelden als Inspiration

Burg: Ich habe auch eben in der Anmoderation gesagt, sie war sieben Jahre im Gefängnis. Das weiß man eigentlich auch nicht genau, denn das kommt aus ihrem Munde. Sie sagt, dass sie einen Banküberfall begangen hat. Ob das stimmt oder nicht, bleibt ja auch offen. Überhaupt erzählen Sie wenig über die Geschichte von Wanja, also vor ihrer Entlassung. Warum erzählen Sie so wenig?
Hellsgard: Genau. Ich habe als Kind immer sehr viele Western angeschaut. Und später, als ich Filmgeschichte studiert habe, habe ich auch die Filme von Jean-Pierre Melville kennengelernt. Und ich mag zum Beispiel auch den Film "Drive" von Nicolas Winding Refn. Und was ich mag, sind eigentlich die männlichen Filmhelden. Die schweigen alle und sind sehr geheimnisvoll und auch so ein bisschen unnahbar. Und ich habe eigentlich nie so eine Frau im Kino gesehen und hatte große Lust einfach, so eine Frau zu konzipieren.
Burg: Ja, Anne Ratte-Polle ist auch relativ männlich, also ein bisschen herb, so ein kühler, distanzierter Typ. Auch die ganze Ästhetik im Film ist so ein bisschen kühl und distanziert. Man hat auch immer das Gefühl, Sie urteilen nicht über Wanja. Wie wichtig war Ihnen das?
Hellsgard: Ich hoffe ja, dass die Zuschauer aktiv bleiben bei dem Film. Also, ich will einige Sachen einfach offen lassen damit, die Geschichte gemeinsam mit den Zuschauern jetzt zu kreieren. Und ich möchte nicht einfach einige Infos liefern und sagen, so ist das oder so ist das. Weil, die Menschen sind auch komplex und die Filmfiguren sind auch ziemlich komplex.

Das Problem Drogenabhängigkeit

Burg: Wanja arbeitet in dieser Tierhandlung, dann hört sie auf, fängt in einem Trabrennstall an, lernt dort die 16-jährige Emma kennen. Sie freunden sich an, aber Emma rutscht so ein bisschen ab, nimmt Drogen. Und wir erfahren, dass wahrscheinlich auch Wanja ein Drogenproblem hatte. Wie es jetzt weitergeht, verraten wir mal nicht, aber sie kommt immer wieder in die Situation, dass sie mit Drogen konfrontiert wird. Wie zwangsläufig ist es bei einer solchen Karriere, die Wanja gemacht hat, dass sie rückfällig wird?
Hellsgard: Genau, ich habe ja ziemlich viel für den Film recherchiert und war auch im Frauengefängnis hier in Berlin und habe mit den Sozialarbeitern gesprochen. Und leider ist es so, dass, wenn man drogenabhängig ist und im Gefängnis ist und dann später rauskommt, dass die Rückfallrate sehr groß ist. Und Wanja ist ja auch auf einigen persönliche Erlebnisse basiert. Also, ich hatte Freunde, die leider auch drogenkrank waren, und die sind fast immer rückfällig geworden.

Arbeit mit langen Einstellungen

Burg: Anne Ratte-Polle spielt, wie gesagt, Wanja. Man kennt sie ja vor allem als Theaterschauspielerin, auch wenn sie viel in Filmen immer wieder gespielt hat wie zum Beispiel mit Andreas Dresen zusammen. In Ihrem Film "Wanja" gibt es viele lange Einstellungen. Inwieweit ist es da vielleicht auch vorteilhaft, mit einer Theaterschauspielerin zu drehen?
Hellsgard: Genau. Ich wollte auf jeden Fall das Schauspiel in den Fokus stellen. Nicht nur Anne ist aus dem Theater, sondern viele andere Schauspieler, die dabei waren. Und wir haben uns einfach entschieden. Also, Kathrin Krottenthaler, die Kamerafrau, und ich, wir haben uns einfach entschieden, dass wir mit sehr langen Einstellungen arbeiten. Weil wir auch überzeugt waren, dass Anne den Film tragen kann.

Unabhängigkeit durch die eigene Produktionsfirma "Flickfilm"

Burg: Sie haben 2011 zusammen mit Johanna Aust Ihre eigene Produktionsfirma gegründet, Flickfilm. Die Firma hat den Film "Wanja", produziert. Wie wichtig ist es bei einem Film mit einem – ich nehme mal an – überschaubaren Budget, dass da alles in einer Hand bleibt?
Hellsgard: Wir haben dadurch, dass wir den Film mit unserer eigenen Firma produziert haben, sehr viele Sachen auch einfach alleine entscheiden können. Zum Beispiel habe ich zwei, drei Monate vor dem Drehstart auch geprobt. Ich habe den ganzen Film, also das ganze Drehbuch mit allen Schauspielern mehrmals geprobt. Wir haben einige Dialoge dann verändert und uns sehr lange über den Inhalt unterhalten. Und das habe ich einfach auch so entscheiden können, ohne um Erlaubnis zu fragen.
Burg: Das Ergebnis kann man jetzt auch im Kino sehen, der Film "Wanja" kommt am Donnerstag zu uns in die Kinos. Die Regisseurin Carolina Hellsgard war hier in "Vollbild" zu Gast, vielen Dank für Ihren Besuch!
Hellsgard: Ja, danke für die Einladung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema