Arbeit im Gefängnis

Warum Häftlinge im Knast arbeiten

Ein Auszubildender arbeitet am 22.01.2014 in der Tischlerei der Justizvollzugsanstalt in Neumünster (Schleswig-Holstein).
Etwa die Hälfte aller Häftlinge geht im Gefängnis einer geregelten Arbeit nach. © picture alliance / dpa / Carsten Rehder
Von Rosemarie Bölts · 04.04.2016
Viele Häftlinge arbeiten im Gefängnis. Damit bekommt ihr Tag Struktur, die Arbeit hilft bei der Resozialisierung. Das klingt gut, doch die schlecht bezahlt Arbeit bringt auch Nachteile mit sich - besonders für die Zeit nach der Haft.
"Ich bin auf der Kammer tätig, erster Kammerhelfer, bin für die Gefangenen zuständig, die hier neu reinkommen. Die können ihre ganzen Sachen abgeben und kriegen von uns die Erstaustatterausrüstung wie JVA-Kleidung, Unterwäsche, Jogger, teilweise Schuhe. Seit fünf Jahren mache ich diesen Job. Zwar nicht nur hier, in dem vorderen Bereich, sondern auch in dem hinteren Bereich, wo die Wäscherei ist, mangeln, Kleidung zusammenlegen von dieser JVA, das könnte man Ihnen auch noch zeigen, wenn Sie möchten."
Justizvollzugsanstalt Oldenburg, Niedersachsen. Sie ist mit ihrem so anderen Konzept zur Vorzeigehaftanstalt in Deutschland geworden. Davon zeugt schon der ungewöhnliche Klinkerneubau auf dem ehemaligen, großzügig bemessenen Kasernengelände, auf dem Ende der 80er Jahre noch die "Hindenburgkaserne" stand. Trotz der 6,50 Meter hohen Mauer mit der typischen Strickmetallrolle oben drauf wirkt das gezackte Gebäude in dem beinahe parkähnlichen Gelände längst nicht aussätzig wie ein Gefängnis, sondern passt sich ein in den bürgerlichen Stadtteil, der den Leitsatz dieser Anstalt spiegelt. Er steht auf dem großen Schild vor der Sicherheitsschleuse, an dem jeder, der hier reingeht, vorbei muss:
"…und morgen sind sie wieder unsere Nachbarn!"
Ziel der Haft laut Strafvollzugsgesetz ist – gleichrangig, betont Sozialdirektor Gerd Koop - zum einen "die Sicherheit der Allgemeinheit" zu gewährleisten, diese also zu schützen vor weiteren Straftaten, und zum anderen "die Resozialisierung der Gefangenen", also deren Reintegration in die Gesellschaft zu fördern. "Der Schutz der Allgemeinheit funktioniert aber nur, wenn man Menschen zu Nachbarn machen kann", gibt Anstaltsleiter Gerd Koop zu bedenken und zitiert den anderen Leitgedanken in seiner Anstalt, formuliert von dem Rechtsphilosophen und -politiker Gustav Radbruch:
"'Es gibt kein besseres Mittel, das Gute in den Menschen zu wecken, als sie so zu behandeln, als wären sie schon gut' - das ist unser Menschenbild, das ist unsere Art des Arbeitens, und das ist unsere Philosophie. Wir haben gemerkt, wenn wir viel mit Gefangenen reden, wenn wir sie ernst nehmen, wenn wir Respekt vorleben, wenn wir Vorbilder sind, dann können wir auch Menschen in der Haft verändern. Und das machen wir übrigens jetzt seit 25 Jahren, genau nach diesem Prinzip. Mit Gefangenen aus inzwischen 39 Ländern, mit Gefangenen, mit denen wir nicht sprechen können, weil wir ihre Sprache nicht können, aber alle verstehen dieses Prinzip, und alle lieben es."

Millionen Euro Umsatz in den Knästen

Die JVA Oldenburg hat 312 Haftplätze für Gefangene mit Kurz- und Langstrafen, Transporthäftlinge, die hier Station machen, Untersuchungshäftlinge und Sicherungsverwahrte, lauter Einzelzellen, höchste Sicherheitsstufe. Und 167 Arbeitsplätze für die Gefangenen. Wie den des "Ersten Kammerhelfers", dessen Name und Tat für die Medienöffentlichkeit Tabu sind. Datenschutz.
"Ich möchte nur nen Job haben, wo ich meine Ruhe hab. Hier bin ich mit nicht sehr vielen Gefangenen zusammen, was in den anderen Bereichen größer ist, wo man mit 20 oder 30 Gefangenen zusammenarbeitet. Ich werde hier versuchen mit fünf Jahren noch weiter, dann bin ich zehn Jahre hier und dann im offenen Vollzug meinen Job wieder vorzunehmen. Ich bin gelernter KFZ-Meister. Dann hab ich noch so ungefähr drei Jahre. Ich hab dreizehn Jahre insgesamt."
Arbeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Resozialisierung. In zwölf von sechzehn Bundesländern ist sie Pflicht. So steht es im Strafvollzugsgesetz. Allerdings wird der Arbeitsbereich im Gefängnis nach kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt. Das produziert dann schon mal in den Medien Schlagzeilen wie:
"Unternehmen Knast! Mörder, Vergewaltiger und Diebe erwirtschaften Millionenumsätze!"
19 Millionen Euro Umsatz im Jahr in den dreizehn Haftanstalten in Niedersachsen! 1,6 Millionen davon allein in der JVA Oldenburg! Und die Gefangenen verdienen nur zwölf Euro, am Tag?! Billiglöhne im Knast statt in Fernost? Und der Staat und die Unternehmen kassieren ab? So einfach funktioniert es nicht, erklärt Anstaltsleiter Gerd Koop und verweist auf den "Landesbetrieb", der der Landeshaushaltsordnung unterliegt und für die Geld- und Warenwirtschaft aller Anstalten verantwortlich ist. Das heißt, die Einnahmen der JVA fließen in den Landeshaushalt und nur teilweise zum Beispiel über Investitionen in die JVA zurück:
"Wenn wir ne Investition tätigen wollen, dann kann ich das nicht selbst entscheiden, sondern dann sprech ich mit dem Leiter des Landesbetriebes, dann hilft der mir, wenn ich Glück hab, nach einem Investitionsplan, dann wird gesagt, okay, du kannst ne Tischlerei bauen. Nen Teil musst du aus deinem Budget, deinem eigenen Sachhaushalt nehmen, nen Teil geben wir dazu, und du musst dir noch nen Sponsor suchen, also zum Beispiel das Ministerium oder der Europäische Sozialfonds, oder jemand, der sich vielleicht mit Maßnahmen beteiligen würde. Dann haben wir die Grundlage geschaffen. So, der Staat muss dafür sehr viele technische, Sach- und Personalmittel einsetzen. Dann ist es nur recht und billig, dass die Gefangenen einen Teil kriegen – bei der Rundumversorgung ist das auch berechtigt – und der Unternehmer muss genauso viel zahlen, als wenn er bei sich einen beschäftigt. Es gibt nur einem Unterschied, wir haben keine Krankenversicherung und keine Sozialversicherung im klassischen Sinne als Verabredung mit dem Unternehmen."
Dafür kommt der Staat auf. Freie Heilfürsorge heißt das im Gefängnis, und kann, weil viele Straftaten im Zusammenhang mit Alkohol und Drogensucht stehen, sehr kostenintensiv sein. Die Gesundheitsprobleme sind nicht die einzigen Hemmnisse auf dem Weg zur Resozialisierung:
"Die Kunst unserer Werkbediensteten besteht darin, das mit den Leuten erst mal auszuhalten. Keine Sprache, ganz anderes Kommunikationsverhalten, ganz anderes Selbstverständnis, wie überhaupt gearbeitet wird. Und dann müssen wir uns an die Gefangenen rantasten und müssen sie zur Arbeit motivieren. Es gibt ganz viele Gefangene, die können nur in dem Tütenbetrieb passen, weil sie nichts anderes können. Vielleicht können sie aber in drei Monaten was anderes, dass sie wechseln. Und wir versuchen, so den Arbeitsplatz zu organisieren, dass er einigermaßen zu dem Inhaftierten passt."
"Übungswerkstatt?" fragt Schreinermeister Johannes Budde empört zurück. Unsere Schreinerei ist eine Werkstatt, in der die Leute, wenn sie wollen, richtig gut vorbereitet werden für den freien Arbeitsmarkt! Vom Rentner bis zum Jugendlichen reicht das Spektrum "seiner" zwölf Leute, die im Modulsystem ausgebildet und angeleitet werden. Büromöbel für die Justizbehörden, Betten und Schränke für die Hafträume, Tische und Regale in Sondergrößen, auch für Privatkunden, an modernsten Maschinen. Ein Highlight ist das "CNC Bohr- und Fräszentrum", ein computergesteuertes Monstrum mitten in der 900 Quadratmeter großen lichtdurchfluteten unglaublich aufgeräumten Werkhalle. Sauberkeit minimiert Gewalt, noch so ein Leitsatz. Ganz hinten in der Ecke steht ein handgefertigtes Vogelhäuschen, das so gar nicht in diese "Schwere-Jungs"-Maschinenwelt passt, dafür aber in die Philosophie der Haftanstalt:
"Also, dieses Vogelhäuschen ist eine kleine Arbeitsprobe von einem Inhaftierten, den wir nirgendwo richtig einsetzen konnten. Der kam aus der Sozialtherapie, und wirklich, der darf nicht an die Maschinen. Und mit dem Werkstoff Holz konnte er sehr gut umgehen, das haben wir dann festgestellt, und somit haben wir ihn dann verschiedene Sachen machen lassen, von dem kleinen Dino da bis zu kleinen Schwänen, die er von Hand noch gearbeitet hat bis hin zu dem Vogelhäuschen, was sehr gut aussieht."

12,50 Euro Lohn am Tag

Machen wir eine andere Rechnung auf und lassen den Unternehmer Jan-Marc Stührmann sprechen. Seit vierzehn Jahren lässt er in der Frauenhaftanstalt Vechta in Südoldenburg unter der Marke CANVASCO individuell designte Umhängetaschen aus recycelten Segeltuchplanen herstellen. Handgearbeitete Lifestyle-Produkte. Wertarbeit made in Germany, die ihren Preis hat: 150 Euro im Schnitt. Im Gegensatz zu den anderen Unternehmen ist es für den Bremer Mittelständler selbstverständlich, dass er die Produktionsstätte angibt und für Interviews wie diesem bereit ist:
"Ich wüsste gar nicht, wo ich's sonst machen lassen sollte. Sie müssen sich vorstellen, also, man bekommt da ne relativ große Segelplane auf den Tisch gelegt, den Zuschnittisch. Und diese Segelplane ist mit zehn Prozent beschriftet, mit ner Segelkennung oder irgendwelchen Zeichen, Klassifizierungszeichen. Und das muss ja irgendwie auf die Tasche gebracht werden, und das mit Charme. Also, die haben auch eine gestalterische Aufgabe. Und das machen sie hervorragend. Und warum soll ich das nicht erwähnen? Aber ich schieb das jetzt nicht vor mir her und sag, wir sind die Gefängnistasche."
Den Vertrag schließt Jan-Marc Stührmann mit der Arbeitsverwaltung des Frauengefängnisses ab, die dem "Landesbetrieb" untergeordnet ist. Die JVA stellt in der Anstaltseigenen Schneiderwerkstatt die Maschinen und das Personal. Der Unternehmer Stührmann liefert das Material, Segeltuch, Garne, Schließen, Gurtband, und holt die fertigen Taschen ab. Auf den Lohn der Arbeiterinnen hat er keinen Einfluss, denn der wird vom Gesetzgeber festgelegt und ist im "Paket" mit drin, das er pro Tasche bezahlt:
"Natürlich ist es so, dass die Frauen meines Wissens nach dem jetzigen Stand 12,50 Euro maximal am Tag verdienen dürfen, das ist festgelegt im Justizvollzugsgesetz, dieses wiederum ist verabschiedet von der Bundesregierung, diese wird in unserer Demokratie von uns gewählt, und das Gefängnis ist natürlich angehalten zu sagen als staats- oder hochsubventioniertes Unternehmen, keine Konkurrenz gegenüber der freien Wirtschaft darzustellen. Das bedeutet, die haben eine Arbeitsverwaltung, die genau berechnen, was so'n Ding kosten muss, und das stimmt im Prinzip überein mit dem, was ich eben auch draußen zahle."
Ließe der Unternehmer sie im Ausland machen, würde die Tasche nur ein Drittel kosten. Was genau würde er einsparen?
"Ich würde gar nichts sparen vermutlich. Stellen Sie sich vor, ich würde irgendwo nach Osteuropa oder nach Fernost einen Container mit Segeln schicken, was bekommt man da wieder? Da bekommen wir einen Einheitsbrei wieder und nicht das Produkt, was wir hier herstellen. Also, jedes Mal, wenn ich nach Vechta in die Produktion fahre, kommen die Frauen und sagen, hey, wir haben das hier ausprobiert, wie finden Sie das? Ist das nicht toll? Und in der Regel ist das auch toll."

"Es gibt ihnen ein Gefühl von Wertigkeit"

Man könnte den Unterschied auch so sehen: die Billigproduktion im Ausland ist allen Beteiligten egal, und das merkt man den Produkten an. Weder nachhaltig noch fair und nicht so richtig schön. Sondern Massenware durch billige Massenproduktion für maximalen Gewinn einzelner Unternehmen. Für ihn reicht der Verdienst, sagt Jan-Marc Stührmann, auch wenn er dadurch nicht reich wird. Wichtig sei die regionale Nähe, weil sie sich alle als Team begreifen und großen Wert auf Kommunikation legen. Alle Beteiligten - Gefängnisleitung, Arbeitsverwaltung, Häftlinge, Kunden, er selber natürlich - seien zufrieden, und – er sagt es tatsächlich so - "es macht Spaß, mit den Frauen zu arbeiten":
"Also, die freuen sich natürlich wahnsinnig, wenn sie einen Beitrag wie diesen im Radio hören, oder ihre Tasche auf arte sehen, oder wenn die Tatort-Kommissarin aus Saarbrücken die Tasche trägt. Das macht die Frauen stolz, dass es so ein Feedback gibt, hey, das haben wir gemacht, und gibt ihnen auch ein Gefühl von Wertigkeit. Aber ich, das wär vermessen, wenn ich von mir behaupten würde, dass ich jetzt Resozialisierer sei. Das wär arrogant."
Zurück zum Männergefängnis nach Oldenburg. Es ist eines der ersten deutschen Gefängnisse, das nach DIN ISO 9001 zertifiziert wurde und somit ein förmliches Qualitätsmanagement nachweisen kann. Tüten kleben war einmal. Die drei Werkhallen mit jeweils vierzig Arbeitsplätzen sind "Hochleistungsbetriebe", so dass anspruchsvolle Produkte entstehen, wie das Angebot der Schlosserei im JVA-Shop zeigt. Öffentlichkeitsreferent Thomas Gerdes beschreibt die Verkaufsschlager, die es bis in die Botschaft nach Südafrika geschafft haben:
"Das ist VA-Stahl. Der Preis kann im ersten Moment erschrecken, aber der Fachmann weiß das ganz genau, dass dieser Stahl sehr teuer ist. Modell multi, 755 Euro – ja, ist ein stolzer Preis Sie können die Grills unten alle zusammenpacken, wenig Platz nehmen, gute Mechanik, wo das Grillrost nach oben geht, so dass das Grillen auch gewährleistet ist."
Geleitet wird die Schlosserei von Metallbau- und Konstruktionsmeister Andreas Eberlei. Seit sechszehn Jahren engagiert er sich in der JVA:
"Wir sind hier jetzt in der Schlosserei. Das ist ein Eigenbetrieb der Justizanstalt Oldenburg. Wir haben hier die Möglichkeit, auf vielfältige metallverarbeitende Maschinen zurückzugreifen. Zum Beispiel besitzen wir C&C-gesteuerte Bearbeitungsmaschinen, und Fräsmaschinen und Drehbänke. Darüber hinaus bieten wir alle Arten von Schweißverfahren an, also Mic, Mac, Dick-Schweißverfahren, besonders für die Edelstahlbe- und verarbeitung."

Die Werkzeuge werden abends nachgezählt

Die Werkzeuge werden unter Glas deponiert. Ein Blick nach Arbeitsende, und man weiß: Alles liegt an seinem Platz, nichts fehlt. Es gab kurz nach dem Einzug in die neue JVA, 2001, nur einen, wie der Anstaltsleiter es nennt, "begleiteten" Ausbruch, mit einem bestochenen Beamten. Man macht sich immer wieder bewusst, wo man ist und befolgt bei Regelverletzungen einen weiteren Leitspruch: liberal und konsequent zu sein. Wer erst einmal alle Vergünstigungen hat, so die Erfahrung der Anstalt, weiß, was er verliert und verhält sich anders, als wenn er um die Vergünstigungen Stück für Stück ringen muss, woran er ja in der Regel schon "draußen" gescheitert ist. Die Konsequenz: Wenig Drogen, wenig Gewalt, keine Bestechung mehr. Ein Erfolg, den Schlossermeister Eberlei in der Erfüllung des "Behandlungsauftrags" sieht:
"Wir werden immer ganz gerne oft spöttisch verhöhnt, ihr seid ein Psychoknast! Ich find das ein ganz tolles Kompliment, weil die Gefangenen uns immer wieder bestätigen, ihr lasst uns nicht in Ruhe! Ihr seid immer bei uns! Wir gehen immer auf die Gefangenen zu. Und wenn uns einer hundertmal abgelehnt hat, wir kommen auch das hundertste Mal wieder und versuchen das Gespräch mit ihm. Das gibt’s bei uns nicht, wir schieben ihn ab, oder haken ihn ab! Ich kenn keinen Kollegen, der diesen Grundgedanken nicht mit trägt."
Der Anspruch ist hoch. Die Gefangenen, oft mit sehr "niedrigschwelliger Qualifikation", also eher ohne Schulabschluss, möchte man soweit qualifizieren, dass sie nach der Haft auf dem Ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Dank der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land Niedersachsen, der JVA und der Industrie- und Handwerkskammer klappt das im Rahmen der unternehmerischen Zusammenarbeit und dem Netzwerk, das daraus entstanden ist. Oft werden Gefangene schon im offenen Vollzug übernommen, wo sie ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingehen. Wenn sie dort normal verdienen, dreht die JVA den Spieß um und verlangt "Haftkosten". Bei einem Einkommen von 2000 Euro etwa vier-, fünfhundert Euro Miete. Anstaltsleiter Gerd Koop:
"Wir senken keine Rückfallquote durch Beschäftigung der Gefangenen in Betrieben. Wir senken Rückfallquoten dadurch, dass sich die Gefangenen mit der Straftat auseinandersetzen und dass die Gefangenen sich mit sich selbst auseinandersetzen. Sonst kann man sich auch schnell vor sich selbst verstecken, und das wollen wir natürlich nicht."

Die Hälfte des Lohns muss zurückgelegt werden

Zur Zeit sind es vierzehn externe Auftraggeber, die im Gefängnis produzieren, montieren, verpacken oder sortieren lassen, der größte Anteil betrifft Zulieferbetriebe für Windkraft und Automobile. Mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze in der JVA Oldenburg befinden sich in den so genannten Unternehmerbetrieben. Öffentlichkeitsreferent Thomas Gerdes führt durch die Werkhallen:
"Hier ist unser Unternehmerbetrieb, das heißt, ein Unternehmer hat sich die Räumlichkeiten und die Arbeitskraft quasi gemietet, spricht das mit unserer Betriebsleitung ab, welche Arbeiten hier verrichtet werden sollen. Die Betriebsleitung macht dann entsprechend die Kalkulation. Hier muss man Kabelbäume zusammenlegen, Metallschränke zusammenbauen. Wir sind ja für die Sicherheit zuständig, und der Kollege ist von der Firma abgestellt worden und kontrolliert die Arbeitsabläufe."
Namen dürfen nicht öffentlich genannt werden. Wegen der Konkurrenz, die die Unternehmen fürchten. Wegen des Datenschutzes, den auch die Gefangenen haben. Man ist in Oldenburg sehr stolz darauf, dass, obwohl sie es nicht müssen, über die Hälfte der Untersuchungshäftlinge arbeiten. Am Geld kann es nicht liegen. Die Untersuchungshäftlinge erhalten nur die Hälfte des normalen Tagessatzes von durchschnittlich dreizehn Euro, von dem jeder auch nur knapp die Hälfte für den privaten Konsum ausgeben darf, etwa für Kaffee, Hygieneartikel, Tabak. Der Rest muss für das Übergangsgeld nach der Entlassung angespart werden. Meister Eberlei:
"Hier in erster Linie steht das, wie benimmt sich der einzelne hier. Wie verhält er sich in der Gruppe. Wie verhält er sich mir gegenüber, wie verhält er sich auch sich selber gegenüber. Das ist schließlich auch wichtig, weil viele mit Defiziten hierher kommen. Sie haben es nicht gelernt, oder haben nie erfahren, dass sie durch produktive Tätigkeiten etwas Wertschöpfendes erreichen. Sie kennen eigentlich nur destruktives Zerstören, Kaputtmachen, und nicht nur sich selber, sondern auch andere Sachen, das kennen sie. Ablehnung, Abneigung, kein Zuspruch erhalten. Und gegen solche Vorurteile müssen auch wir kämpfen, und müssen mit gutem Vorbild voran gehn, und, ich sag mal, ganz ehrlich, ein gutes Lob kostet kein Geld."
Vollzug ist für den Staat, also den Steuerzahler, eine kostspielige Angelegenheit. Ein niedersächsischer Haftplatz kostet am Tag rund 140 Euro. Ein Arbeitsplatz in den Eigenbetrieben der JVA Oldenburg hat im letzten Jahr über 30 000 Euro gekostet, dem standen rund 27 000 Euro Umsatz gegenüber. Ein Arbeitsplatz in den Unternehmerbetrieben kostete im Durchschnitt etwas über 3 000 Euro. Dem gegenüber stand ein Umsatz von knapp 5500 Euro. Beides ohne Einbeziehung des Entgelts für die Gefangenen, das – Rundumversorgung hin oder her – aus allen sozialstaatlichen Lohnkategorien rausfällt und zusätzlich zu dem Freiheitsentzug für viele eine weitere Bestrafung darstellt. Es geht um die Versorgung der Familie, die Tilgung der Schulden, das Sparen für den Neustart und die Rentenversicherung fürs Alter:
"Der Resozialisierungsgedanke wird dadurch pervertiert, dass Inhaftierte aufgrund des schmalen Salärs, das sie Monat für Monat einfahren – wir reden da von einem Stundenlohn von 1,20 oder 1,50 Euro – ja den Eindruck gewinnen müssen, dass sich Arbeit nicht lohnt, obwohl sie tatsächlich real Mehrwert produzieren. Und wenn wir dann noch bedenken, dass ein Großteil der Sozialversicherungspflicht storniert ist, und zwar seit etwa vierzig Jahren, erzeugt das bei Inhaftierten auch das Gefühl, dass sie nach der Haft im Grunde direkt das Ticket in die Altersarmut ziehen, und was daran resozialisierend sein soll, erschließt sich uns jedenfalls nicht."

Eine Gewerkschaft für Häftlinge

Der sich selbst als "linker Aktivist" verstehende Buchhändler Oliver Rast ist der Initiator und Wortführer der bundesweiten "Gefangenen-Gewerkschaft Bundesorganisation", kurz: GG/BO, die seit ihrem zweijährigen Bestehen auf über 900 Mitglieder in siebzig Haftanstalten angewachsen ist, so Oliver Rast. Wobei er den Gewerkschaftsbegriff nicht traditionell versteht, sondern als politischen Kampfbegriff. Die traditionelle Gewerkschaft verdi, die in den Gefängnissen die Vollzugsbeamten vertritt, hat Zweifel, ob man bei der GG/BO überhaupt von "Gewerkschaft" sprechen kann. Als Tarifpartner könne man die heterogene Gruppe der Gefangenen nicht fassen, sie wäre gar nicht tariffähig. Und im Gefängnis seien ja die Grundrechte eingeschränkt, das heißt, die Gefangenen seien auch nicht tarifmächtig, könnten gar nicht ihre Forderungen, zum Beispiel durch Streik, durchsetzen. Immerhin, kontert Oliver Rast, hat die GG/BO juristisch erstritten, dass sie sich auf die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit berufen kann, um "die soziale Frage hinter Gittern" zu stellen:
"Haftanstalten, und gerade Produktionsstätten in den Haftanstalten, und das ist auch wieder O-Ton aus den Justizapparaten, sind und fungieren als verlängerte Werkbank des ortnahen Gewerbes, der regionalen Industrie. Und das muss zumindest mit Mindeststandards auch sozialversicherungspflichtig abgeschirmt werden."
A propos: Die Vorschrift, die Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, gibt es schon, seit der großen Strafrechtsreform 1977. Nur wurde sie nicht umgesetzt. Nach nunmehr vierzig Jahren hat man letztes Jahr auf der Bundes-Justizministerkonferenz beschlossen, den Strafvollzugsausschuss der Länder zu beauftragen "Grundlagen und Auswirkungen einer Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung zu prüfen" und das Ergebnis im Herbst diesen Jahres vorzulegen. Eine komplexe Materie eben.
"Der Punkt ist, je länger Sie in Haft sind, umso schwieriger wird's draußen. Ich hab da in der Zwischenzeit die 50-Jahre-Grenze überschritten und wir wissen ja, wie der Arbeitsmarkt aussieht. Das ist ja Schauspielerei, diese Resozialisierung. Man will es ja der Gesellschaft über so darstellen, weil es so im Gesetz steht. Ne Resozialisierung gibt es aus meiner Sicht nicht. Das Konzept stimmt überhaupt nicht. Wo ich war, in Landsberg, sind Sie ja nicht mal auf Ausgang oder Urlaub rausgekommen. Ich bin einen Tag vorher nach meiner Gesamtstrafe nach Hause gegangen. Ich war nicht einmal vorher draußen. Gar nichts. Wenn Sie da nicht auf die Knie fallen, kriegen Sie nichts. Das ist so."

Wer die Arbeit verweigert, muss Strafe zahlen

Michael F. ist im Oktober letzten Jahres aus der JVA Landsberg entlassen worden. Vor seiner fünfjährigen Haft war er nie arbeitslos, jetzt klagt er auf den Status als Langzeitarbeitsloser. Er hatte in der JVA über fünfzig Mitglieder für die "Gefangenengewerkschaft" geworben, hat sich gegen Schikanen gewehrt, erfolglos. Und musste tausend Euro Strafe zahlen, weil er sich der Arbeitspflicht verweigert hatte:
"Ich komm mit der Thematik Resozialisierung und der Arbeitspflicht nicht ganz klar. Für mich war das einfach ne Tätigkeit. Und man weiß ja auch, warum viele in die Arbeitspflicht, Tätigkeit geschoben werden. Weil Inhaftierte, die den ganzen Tag in der Arbeit sind oder im Betrieb sind, eigentlich weniger Zeit haben, sich Dummheiten auszudenken und etwas ruhiger sind auch."
Bayern hat mehr als doppelt so viele Inhaftierte wie Niedersachsen, die Haftzeiten sind länger, der Anteil der Untersuchungshäftlinge sehr viel höher. Politisch liegt der Focus eindeutig auf "Sicherheit" und meint: wegsperren. Und welchen Stellenwert hat dabei "Arbeit" im Rahmen der gesetzlich auch in Bayern vorgegebenen Resozialisierung? Regierungsdirektorin Monika Groß leitet seit neun Jahren die JVA Landsberg am Lech, eine reine Strafanstalt, 424 Inhaftierte, keine Untersuchungshäftlinge:
"Die Gefangenen sind zur Arbeit verpflichtet. Damit wird versucht, ihnen einen, ja, regelmäßigen Tagesablauf vorzuschreiben, was doch viele vorher nicht hatten. Und gleichzeitig sehen die Gefangenen auch, dass man, wenn man in die Arbeit geht, dass man auch was davon hat. Man verdient Geld, man sieht, dass man was schaffen kann, das sind die wesentlichen Gründe."
Während die "Hindenburgkaserne" in Oldenburg einer modernen Haftanstalt Platz gemacht hat, ist die JVA Landsberg postalisch "Am Hindenburgring" untergebracht. Das ist nicht der einzige nostalgische Unterschied zwischen dem Strafvollzug im Norden und im Süden. Der Wunsch, die Arbeitsplätze zu besichtigen – immerhin ist die JVA Landsberg ein mit siebzehn Unternehmerbetrieben und vielen Anstaltsbetrieben von der Bäckerei bis zur KFZ-Werkstätte florierendes Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 2,7 Millionen Euro – wurde abgeschlagen. Wegen des Datenschutzes, hieß es, "man könnte ja seinen Nachbarn entdecken". Stattdessen darf man im Büro mit der Leiterin und drei Bediensteten an ihrem großen Tisch sitzen und hören, dass es keinerlei Probleme gibt. Die einen Gefangenen "freuen sich auf Gesellschaft und wollen Abwechslung", meint Anstaltsleiterin Monika Groß, die anderen "wollen lieber Karten spielen". Bei Arbeitsverweigerung gibt's Strafen:
"Das sind Disziplinarmaßnahmen, Hausstrafen. Zum Beispiel Entzug des Einkaufs, oder er darf an Freizeitveranstaltungen nicht teilnehmen, oder ein Arrest im schlimmsten Fall. Das bedeutet, er ist über mehrere Tage isoliert von Gefangenen in einem Haftraum untergebracht, in dem nur die notwendigsten Gegenstände sind. Es gibt die Möglichkeit eines Besuchsverbots. Es ist so ein Katalog im Bayerischen Strafvollzugsgesetz."
Obwohl die JVA "als A-Lieferant eingestuft wird", weil die Firmen mit dem Arbeitsergebnis "sehr zufrieden" seien, hält man sich auch hier mit näheren Angaben zurück und weist daraufhin, dass sich der Arbeitsbereichsleiter ständig um Aufträge bemühen muss. Monika Groß erklärt, warum:
"Ich mein, Gefängnis, Gefangene, das ist kein Status, der so begehrenswert ist. In der Gesellschaft, da heißt es, was, im Gefängnis? Mit Gefangenen? Mit Straftätern? Ist nicht angesehen. Das ist bei manchen verpönt."

Die fehlende Rentenbeiträge im Knast führen zu Altersarmut

"Wir hatten Jahre, da wollte kein Unternehmer mit uns was zu tun haben! Heute laufen sie uns die Tür ein. Wir können da gar nicht gegen, weil wir so einen großen Fachkräftemangel haben und soviel Bedarf haben an schneller Dienstleistung, dass, wenn man einen gut organisierten Betrieb hat, kann man das natürlich schnell bei uns umsetzen",
sagt der Oldenburger Gefängnisleiter Gerd Koop. Weil sich aber insgesamt das Bildungsniveau der Inhaftierten erschreckend gesenkt habe, hieße das für die JVA: noch mehr Bildung, noch mehr Sozialtraining, noch mehr Empathie in die Strafgefangenen investieren. Das zahlt sich offensichtlich aus, wie an dem Beispiel eines 41-Jährigen, zu "lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld" verurteilten Gewalttäter zu erfahren ist. Seit vierzehn Jahren ist er schon in Haft, davon elf Jahre in Osnabrück und Celle:
"Durch mein Delikt wird mir unterstellt, dass ich ein sehr hohes Gewaltpotential habe, und wurde auch so behandelt. Und irgendwann habe ich mich auch so benommen. Und dann war ich des öfteren auf der Sicherheitsstation, auch über Jahre teilweise. Später, wenn was passiert war in der Anstalt in Celle, dann hieß es gleich, der war's. Bin immer gleich verschleppt worden, deportiert, sage ich dazu. Weiße Folter nenn ich das. Wie nennt man das, besonders gesicherter Haftraum, oder ne Schlichtzelle, wie auch immer. Ich nenn das auch Jesuszelle, weil man da fixiert wird wie am Kreuz, nur auf dem Boden."
Vor drei Jahren ist der kräftige Mann nach Oldenburg gekommen. Hat den Schulabschluss nachgeholt, ein Antiaggressionstraining absolviert und danach selber als Tutor andere begleitet. Im Unternehmerbetrieb hat er es bis zum Vorarbeiter geschafft. Seit einem halben Jahr arbeitet er nun in der Schlosserei als Schweißer. Klar, bei einer Mindeststrafe von zwanzig Jahren sind fehlende Rentenbeiträge das sichere Ticket in die Altersarmut. Ausschlaggebend für seine Haftzeit ist aber eine andere Erfahrung:
"Ich bin ja sehr, sag ich mal, der Justiz gegenüber sehr kritisch eingestellt. Aber ich muss sagen, seitdem ich in Oldenburg bin, läuft alles sehr gut für mich. Ich werde ja, oben auf der Station werd ich mit Respekt behandelt, von meinen Mitgefangenen auch, hier unten vom Werkmeister auch. Und wenn man mir Respekt entgegenbringt, bring ich den Leuten genauso viel Respekt entgegen. Ja, ich werde als Person wahrgenommen, als Mensch. Und nicht nur als Buchnummer oder so. Und das find ich gut."
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