Vom guten Ansäen - 6. Tag

Vom Glück des Aufgehens

Keimling, Pflänzchen
Der Sonne entgegen: Eine Pflanze keimt. © dpa / picture alliance / Maximilian Schönherr
Von Steffen Kopetzky  · 28.03.2015
Es ist soweit: Der Samen ist gekeimt, die ersten Pflänzchen sind zu sehen. Und sie kommen immer nachts. Im "Originalton" dieser Woche widmet sich der Schriftsteller dem Gärtnern im Frühling.
Tage sind vergangen. Doch nun ist der Morgen gekommen, an dem ich, im Schlafanzug noch wie stets, herantrete an die gedämmte, gewärmte, belüftete Samenbank und sehen darf, worauf ich voll Gärtnersehnsucht gewartet: den Aufgang der ersten Samen.
Immer nächtens geschieht das und immer sind einige wenige vor den andern so weit, die Boten nenne ich sie, Pioniere, die es zu markieren und im Aug zu behalten gilt, sind es oft doch auch später in Treibhaus, Beet und Topf die besten unter den Pflanzen, von deren zuerst dann reif gewordenen Früchten ich wieder die Samen fürs nächste Jahr mir gewinne.
Wie träume ich nicht jedes Gartenjahr wieder davon, des blassen Keimlings Köpfchen herauskommen zu sehen, doch das gelang noch nie, stets – und so auch heuer – betrete ich morgens den Wintergarten der Anzucht und da überwältigt mich der Anblick des schwebenden, mehrere Tage lang mit Wasserstaub befeuchteten Papiers, das dadurch wellig und kartonhaft geworden und nun, von den Keimlingen getragen, einen knappen Zentimeter über der Anzuchtschale schwebt.
Über alles Menschenwerk triumphierende Könige
Es ist so erstaunlich, wenn sich die zarten Keime der Samen erheben – denn darin zeigen sie die Kraft wahrer Giganten, die Riesenkraft der Natur. Jener Asphalt durchsetzenden Löwenzahnpflänzchen, die so zart sind und luftig durch die Sommertage schweben; jener aus haarfeinen Wurzeln erwachsenden Brecher von Mauerwerk, die Birken, über alles Menschenwerk triumphierende Könige.
So stark sind auch die zartesten Gemüse, wenn sie zu keimen beginnen. So weiß und haarfein dünn sind ihre Stengel und doch heben sie das Papier in zartester Keimung in die Luft. Vorsichtig nehme ich das samentragende Papier nun ab, betrachte den weidgrünen Flor und blicke staunend über die winzigen Pflänzchen. Wie schön doch die Chillis gekommen sind und wie man am kräuselnd-fedrigen Wuchs des Blattwerks den Knollenfenchel erkennt.
Auch die Tomaten kann man schon ahnen. An den Spitzen ihrer wie zum Gebet gefalteten Keimblätter hängen noch die Schalen der Samen, bräunlich, knisternd und leer, da das, was sie einen Winter lang bargen, aufgegangen ist, in Himmel und Erde.

Steffen Kopetzky, der in München, Paris und Berlin Philosophie und Romanistik studierte und in seinen Romanen die ganze Welt bereiste, lebt seit etlichen Jahren wieder in Bayern auf dem Land, wo er auch als Kommunalpolitiker tätig ist. In diesem Frühjahr ist sein Roman "Risiko" erschienen.

In dieser Woche wird Kopetzky in der Rubrik "Originalton" in der Sendung "Lesart" zum Gärtner und widmet sich dem "guten Ansäen". Er hält es dabei mit einem Karel Capek, der in "Das Jahr des Gärtners" geschrieben hat: "Ein Garten kann auf alle mögliche Weise angelegt werden; die beste ist wohl die, einen Gärtner zu nehmen."

Steffen Kopetzky , aufgenommen am 15.10.2008 , auf der 60. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main
© picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
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