Originalton: Vom guten Ansäen - 1. Tag

Vom Erwachsen des Gärtners

Ein Eichhörnchen hockt am 23.10.2012 in einem Garten nahe Zella-Mehlis (Kreis Schmalkalden-Meiningen) auf dem Dach eines hölzernen Vogelhauses und frisst Sonnenblumenkerne.
Ein Eichhörnchen hockt am 23.10.2012 in einem Garten auf dem Dach eines hölzernen Vogelhauses und frisst Sonnenblumenkerne. © picture alliance / dpa / ZB / Soeren Stache
Von Steffen Kopetzky · 23.03.2015
"Ein Garten kann auf alle mögliche Weise angelegt werden; die beste ist wohl die, einen Gärtner zu nehmen." Dieses Zitat von Karel Capek setzt der Schriftsteller Steffen Kopetzky an den Beginn seiner Originaltöne in dieser Woche.
Ich fütt're die Vögel jeden Tag. Denn immer noch liegt Schnee, den unsre Kaninchen so er nächtens frisch gefallen, am Morgen stets pulvernd durchkratzen, als könnten sie in ihm die von Tunneln durchzogenen Burgen ergraben, an deren Errichtung im Garten das Gehege sie hindert.
Des Gemüsebeets spatig-geharktes Auf- und ab mag man unter der weißen Decke erahnen, deren Mulden köstlich-bläuende Schatten bergen und nur die ganz dürr gewordenen Stengel ausgewachsener Möhren ragen, den lange vergangenen Sommer im knusprigen Blütenstand tragend heraus.
Unsere Sonne aber, die mittags der eisigen Luft zum Trotz Schmelzwasser in den Dachrinnen zum Plätschern bringt, weckt den Gärtner in mir, wo der Garten selbst doch immer noch schläft.
Die Sonne verharrscht den blauschattenden Schnee und jenes Knirschen und Knacken der mittäglich glitzernden Eisschicht, die ich abends durchbreche, um von der Hütte kommend die Kaninchen mit Heu zu versorgen, bringt mich in einmalig seltsame Stimmung. Der Kälte, dem Schnee, den eisigen Nächten zum Trotz kommen die Morgenstunden immer früher und glücklich und erwartungsfroh schlage auch ich jeden Tag früher die Augen auf.
Das Licht lockt mich aus den Winterschlafstunden und wie ein winziger Keim nach oben beginnt mein Gärtnerselbst in mir zu erwachsen. Die Zeit ist gekommen. Die ganz besondere Zeit. Die Zeit des Ansäens. Darüber spreche ich am Abendbrottisch.
Die Kinder, mit denen zusammen ich vor wenigen Tagen noch Schlittenfahren war, fragen mich, ob das denn möglich sei: Ansäen, wenn draußen der Schnee liegt.
Ich sage: Ja. Und morgen wollen wir beginnen.
Steffen Kopetzky, der in München, Paris und Berlin Philosophie und Romanistik studierte und in seinen Romanen die ganze Welt bereiste, lebt seit etlichen Jahren wieder in Bayern auf dem Land, wo er auch als Kommunalpolitiker tätig ist. In diesem Frühjahr ist sein Roman "Risiko" erschienen.
Steffen Kopetzky , aufgenommen am 15.10.2008 , auf der 60. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main
Der Autor Steffen Kopetzky© picture alliance / dpa / Uwe Zucchi