Vom guten Ansäen - 4. Tag

Erdeholen und Heizmattenanstecken

Eine Hand mit Gartenhandschuh füllt eine Anzuchtschale mit Blumenerde.
Bislang kein Schneck in Sicht - anders als bei Steffen Kopetzky. © imago / blickwinkel
Von Steffen Kopetzky  · 26.03.2015
Auf den Biertisch, der als Samenbank dient, kommt die Heizmatte. Das Geräusch, mit dem das Heizen beginnt, begeistert Steffen Kopetzky jedes Jahr aufs Neue. Im "Originalton" dieser Woche widmet sich der Schriftsteller dem Gärtnern im Frühling.
Noch ist der Sack gefroren. Ein irdischer Klumpen aus magerer Anzuchterde, der seit letztem Frühling in der Hütte ruht, in welcher wir alles, was gärtnernd, holzhackend, steinsetzend oder verputzend in Haus und Garten gebraucht wird, verwahren. Den steinharten Erdensack, bunt bedruckt mit großgezogenen Fotografien sprießender Randen ohne jeden Makel und ihren roten Stengelchen von sattem Grün, schleppe ich in den Wintergarten, wo wir ansonsten, da er unbeheizt ist, die mittelländischen Topfpflanzen überwintern.
Danach, von menschlichen Gartenmöbeln und einem Kaninchenfreilauf aus Drahtgeflecht verborgen, und bedeckt von schützender Plane, auf dem ganz und gar klumpiger Schnee zu liegen kam, der mir eisig zwischen den Fingern zerbröckelt, hol ich hinter der Hütte den Biertisch hervor, der als Samenbank dienen soll. Ist das Ansäen lange vorbei und sind die Lüfte mild, etwa im Mai, so nehmen wir ihn als Esstisch im Garten. Doch jetzt, in der Zeit des Ansäens, wird er dicke Styroporplatten tragen, auf denen die Heizmatte ruht.
Die schlimmste Arbeit des Gärtners
Diese, vom Wasserkraftstrom betrieben, der in unseren Leitungen läuft, verfügt über Thermostat und Regler und das klickende Geräusch, mit dem das Heizen beginnt, begeistert mich Jahr für Jahr wieder, denn ohne sie bliebe das Ansäen Wunsch. Wenn ich prüfend meine Hand auf die sich wärmenden dicken Drähte lege, so ist mir, als spürte ich wohlwollend die turbinendurchstürzenden Wasser des Walchensees, der uns den Strom produziert, und die pfeilschnelle Isar.
Als alles bereitsteht und die Sonne die Luft des Wintergartens für ein paar Stunden erwärmt hat, beginne ich, die auftauende Anzuchterde mit dem Schäufelchen zu beschaben und kratze mit den Händen im bröselnden Torf. Doch nun spüre und sehe ich mit Grausen, dass sich dort ein Schneck, so sagt man in Bayern, ein dicker gestreifter Schneck vor der Kälte des Winters verkrochen hat. Ein Tigerschnegel ist es.
Und nun, da die gefrorene Erde zu tauen beginnt, regt sich desgleichen der Schnegel und will ins Leben zurück. Wo immer ich für gewöhnlich einen erkenne, walte ich meines Amtes und vernichte das Tier. Das ist die schlimmste Arbeit des Gärtners im Sommer, die ich wirklich von Grund auf hasse, und nun soll ich schon das hohe und so friedliche Ansäen damit gleichsam schänden, dass ich den aus sich heraus friedlichen Schneck nun zerschneide? Nein.
Dort soll er sich einstweilen verkriechen
Also trage ich auf dem Schäufelchen den Tigerschnegel zu dem unter der Birke ruhendenden Kompost, auf dem zuoberst die im Spätherbst geschnittenen Echinacea-Stengel in der Kälte verdörrten. Dort soll er sich einstweilen verkriechen, doch wenn wir uns dann im Frühsommer wiedersehen sollten und ich ihn an meinen Kohlrabipflänzchen oder den noch begehrteren Bohnsprößlingen finde, so wäre die alte Feindschaft zwischen uns Gärtnern und seinem Geschlecht wieder da. Doch heute noch nicht.
Als fortgetragen der Schnegel, blicke ich wohlgemut auf die schon in Schälchen erwärmte Erde auf dem Samenbanktisch. Ich entfalte die fein geborgenen Päckchen der Samen und sehe die grünlichen Schatten der Kerne auf dem Papiertaschentuch, die vom Trocknen herrühren. Auf die erwärmte Erde kommt die samentragende Seite und dann wird das Ganze besprüht, ein befeuchtender Nebel, der sich sanft auf die Samen legt. Und nun, mit der Wärme des Walchenseestroms und der Dunkelheit und den Essenzen der Erde, fängt an, was man das Keimen nennt.

Steffen Kopetzky, der in München, Paris und Berlin Philosophie und Romanistik studierte und in seinen Romanen die ganze Welt bereiste, lebt seit etlichen Jahren wieder in Bayern auf dem Land, wo er auch als Kommunalpolitiker tätig ist. In diesem Frühjahr ist sein Roman "Risiko" erschienen.

In dieser Woche wird Kopetzky in der Rubrik "Originalton" in der Sendung "Lesart" zum Gärtner und widmet sich dem "guten Ansäen". Er hält es dabei mit einem Karel Capek, der in "Das Jahr des Gärtners" geschrieben hat: "Ein Garten kann auf alle mögliche Weise angelegt werden; die beste ist wohl die, einen Gärtner zu nehmen."

Steffen Kopetzky , aufgenommen am 15.10.2008 , auf der 60. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main
© picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Mehr zum Thema