Unverbrüchliche Solidarität auf der Stehtribüne

18.09.2013
Mit "Der Fußball-Lehrer" veröffentlichte Autor Malte Oberschelp vor drei Jahren bereits ein Buch über jenen Gymnasiallehrer, der den Fußball in Deutschland populär machte. Jetzt widmet er sich einem weiteren Kapitel Fußball-Historie: der Geschichte der Hymne "You'll never walk alone".
Fünf Minuten noch. 0:3 liegt die Heimmannschaft im ausverkauften Stadion hinten. Soll man sich einfach so in das bittere Schicksal der Niederlage fügen? Totenstill? Werden die eigenen Spieler ausgepfiffen? Oder wird gesungen? "When you walk through a storm hold your head up high!", so beginnt "You´ll never walk alone". Malte Oberschelp hat die Geschichte dieser Fußballhymne, in der es überhaupt nicht um Fußball geht, ausgegraben.

Ferenc Molnár ist zu Anfang des 20. Jahrhunderts unumstrittener Trendsetter der Budapester Bohème. In verrauchten Caféhäusern verfasst der jüdische Autor scharfsinnige, sozialkritische Feuilletons und "Liliom", ein Theaterstück. Es ist die tragische Geschichte eines Karussellbremsers, der auf die schiefe Bahn gerät, sich selbst umbringt und aus dem Himmel für einen Tag auf die Erde zurückkehren darf. In Europa fällt das Stück zunächst durch. Aber in den USA wird es nach dem Zweiten Weltkrieg zum Musical "Carousel" umgeschrieben, ein Riesenerfolg. Die noch immer unter den Kriegseindrücken stehenden Amerikaner haben einen Sinn für die simple Botschaft der zu Herzen gehenden Geschichte: Durchhalten! Die Musicalprofis Richard Rodgers und Oscar Hammerstein schreiben unter anderen den Song "You´ll never walk alone" in das Stück hinein.

Song erinnert in seiner Schlichtheit an protestantisches Kirchenlied
In dem einfachen Text geht es um Verlust und Erlösung. Es geht darum, Haltung zu bewahren. Niemals aufzugeben, ganz egal, wie viele Träume schon geplatzt sind und wie schlimm die Dinge auch stehen mögen: "At the end of the storm is a golden sky and the sweet silver song of the lark." Malte Oberschelp rekonstruiert in seinem Buch, wie der Song, der in seiner Schlichtheit an ein protestantisches Kirchenlied erinnert, zu Beginn der 60-er Jahre zum Nummer-Eins-Hit in England wird. Zunächst erobert die Version von Gerry and the Pacemakers die Herzen der Fans des FC Liverpool. Kein Wunder, denn Gerry Marsden ist dort geboren. Aber nach und nach wird der Text auf immer mehr englischen Stehtribünen als Zeichen einer unverbrüchlichen Solidarität gesungen.

Anfang der 90er-Jahre kommt "You´ll never walk alone" über eine Fanfreundschaft zwischen Celtic Glasgow und dem FC St. Pauli nach Deutschland. Das Lied funktioniert auch hier. Gemeinsam gesungenen, hilft es in jedem Stadion, den Schmerz der Niederlage besser auszuhalten und dabei sogar noch etwas Schönes zu entdecken: Solidarität.

Malte Oberschelp hat den Siegeszug der Fußballhymne "You´ll never walk alone" vor allem anhand von Archivmaterial nachgezeichnet. Das ist ein bisschen schade. Denn die stärksten Seiten hat das Buch, wenn Oberschelp über seine Gespräche mit Menschen aus St. Paulis Fanszene schreibt und feststellt, wie viel lästige Folklore mittlerweile an Gerry Marsdens Nummer-Eins-Hit hängt: "You´ll never walk alone" wurde - wie auch St. Pauli - inzwischen voll vereinnahmt und fest in die hochkommerzielle Fußballinszenierung in Deutschland eingebunden.

Besprochen von Thomas Jaedicke

Malte Oberschelp: Die Hymne des Fußballs - `You´ll never walk alone` - Eine Kulturgeschichte
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2013
128 Seiten, 9,90 Euro
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