Ein Song für Bayern

Von Michael Watzke · 25.05.2013
Nicht mehr lange bis zum Champions-League-Finale im Wembley-Stadion. Die Fans beider Lager leben seit Tagen für nichts anderes mehr. Was geht in einem Mann vor, der sich ganz der Klassik verschrieben hat, der aber plötzlich ein Bayern-Trikot überstreift und eine Hymne für ein Fußballspiel komponiert?
Kultur-Manager Thomas Berg hat seit 30 Stunden nicht geschlafen. Seine tiefen Augenringe spiegeln sich im Bildschirm seines Büro-Laptops.

"Gut, also fangen wir an. Los!"

Nervös klickt Berg eine Sounddatei mit dem Titel "FC Bayern" an und drückt auf Play. Nein, das ist nicht die Bayern-Hymne. Das ist die neue FC-Bayern-Hymne:

"Auf dem Weg zum größten Titel / Bayern München stark wie nie / Schnellster Meister aller Zeiten / Schweini, Müller, Lahm, Ribery."

Matthias Ambrosius rezitiert das ungewöhnliche Libretto. Der Klarinettist der Münchner Philharmoniker ist genau wie sein Freund Thomas Berg eingefleischter FC-Bayern-Fan. Mit ihrer Fußball-Begeisterung steckten die beiden Maestro Lorin Maazel an, den berühmten Dirigenten der Münchner Philharmoniker.

"Er war bis dahin kein brennender Fußball-Fan. Er hat sich dann bei mir sogar spät nachts um halb eins per Email erkundigt, ich solle ihn über alles informieren: Wer spielt gegen wen? Was bedeutet das für die Mannschaften? Was war in der Vergangenheit? Das wollte er alles wissen. Und dann hat er sogar ein Trikot des FC Bayern angezogen."

In diesem rot-weißen Jersey dirigiert Maazel tatsächlich die "Hymne für den FCB", die Klarinettist Ambrosius arrangiert hat. "Holt den Henkelpott nach München, Stern des Südens, Mia san mia" singen und spielen die Münchner Philharmoniker. Die 180 Musiker intonieren den gewöhnungsbedürftigen Text genauso selbstverständlich, wie Bastian Schweinsteiger einen No-Look-Pass auf Thomas Müller spielt.

"Deshalb ist uns die Idee auch gekommen - weil Bayern in dieser Saison so phänomenal spielt. Oft, wenn man denen zuschaut, kriegt man dasselbe Gefühl wie beim Spielen im Orchester. Man kann sich auf die anderen verlassen. Es ist eine gesammelte Intelligenz, wo man wahnsinnig schnell reagiert und auf die inneren Kompetenzen vertrauen muss."

Dabei sind längst nicht alle Münchner Philharmoniker Bayern-Fans. Das Orchester beschäftigt Musiker aus aller Welt. Ein Chorsänger outete sich bei der Aufnahme sogar als Dortmund-Fan, sagt Ambrosius.

"Der wurde ordentlich vermöbelt, hehe. Alleine dadurch, dass Maazel das so professionell gemacht hat - und der ist ja jetzt kein Fußball-Fan, oder war es nicht - hat sich keiner getraut zu protestieren."

Maazel wiederum machte mit, weil ihm Klarinettist Ambrosius eine ausgereifte Partitur präsentierte:

"Ich glaub', ich hab sie sogar irgendwo hier… Die Partitur hat 40 Zeilen untereinander und ist zwölf Seiten lang."

Diese zwölf Seiten rauben Ambrosius und Berg seither den Schlaf. Seit Tagen steht das Telefon nicht still. Entweder sind es Journalisten mit Interviewwünschen - oder erboste Klassik-Liebhaber, die in der Mischung "FC Bayern und Philharmoniker" einen Stilbruch sehen. Dabei beginnt die Fußballhymne mit einem Rezitativ der englischen Nationalhymne - als Verbeugung vor dem Gastgeber in Wembley. Berg zieht den Cursor der Sound-Datei zum Anfang der Sound-Datei.

"Es ist tatsächlich rein klassische Musik. Die Philharmoniker sind ein Orchester von Weltrang. Da kann man keine Gaudi oder Klamauk draus machen. Unser Anspruch war, es musikalisch so gut zu machen, dass wir es spielen können, ohne uns dafür schämen zu müssen."

Vor dem Anpfiff des Finales in Wembley morgen Abend soll die Fußball-Hymne der Münchner Philharmoniker aus den Stadion-Lautsprechern tönen. Komponist Matthias Ambrosius hat in sein Werk auch ein Motiv des Wahl-Londoners Georg-Friedrich Händel geschrieben. Nämlich dessen barocke Krönungshymne "Zadok the Priest".

Fußball-Fans in aller Welt ist dieses Motiv als "Champions-League-Melodie" geläufig.

"Das ist in diesem Spiel das neutrale Element. Das ist das, worüber sich hoffentlich alle freuen. Hoffentlich freuen sich auch die Dortmunder an der schönen Musik. Dortmund liegt halt leider nicht in München. Wären wir in Dortmund, hätten wir ihnen denselben Gefallen getan."
Mehr zum Thema