Fußballbotschafter zwischen den Stühlen

23.06.2010
Malte Oberschlep versucht, eine publizistische Lücke der Fußballgeschichte zu schließen. Das gelingt – zumindest, was Konrad Koch betrifft -, nicht ganz. Über den Gymnasiallehrer, der Deutsch, Geschichte und alte Sprachen unterrichte und den Siegeszug des Fußballs hierzulande vorbereitete, erfährt man kaum etwas.
Dafür gelingt es dem Autor ziemlich präzise, die zunächst sehr schwierige Entwicklung der Ballspielbewegung im gesellschaftlichen Rahmen des Kaiserreichs zu beschreiben.

1874 führt Koch eine frühe Form des Fußballspiels, bei der der Ball noch mit der Hand aufgenommen werden darf, am Braunschweiger Martino-Katharineum ein. Der Pädagoge hat viel über Rugby, Fußball und Cricket gelesen. Die an englischen Schulen praktizierten Mannschaftsspiele spiegeln seiner Meinung nach die durch die Industrialisierung komplexer gewordenen Arbeitsprozesse wider. Auch auf dem Spielfeld müssen Arbeit und Aufgaben geteilt werden. Das Spiel soll ein Gemeinschaftsgefühl schaffen, aber auch Raum für Individualität lassen. Die militärisch durchorganisierte Turnstunde mit immer gleichen Übungen bietet das nicht. Doch die Monarchie, die auf Leibesübungen zur Ausbildung der Wehrtüchtigkeit setzt, ist für reformpädagogische Ansätze noch nicht empfänglich.

Malte Oberschlep arbeitet die zähen Richtungskämpfe zwischen konservativen Turnern und Modernisieren der Ballspielbewegung heraus. Streitereien der Funktionäre, die sich über Artikel in Fachzeitschriften scheinbar endlos duellieren, wertet er genauestens aus. Dabei wird deutlich, dass Fußballbotschafter Koch mit seinen Ideen zeitlebens immer zwischen den Stühlen saß.

Einerseits erkannte er früh das bahnbrechende Potenzial des Spiels. Andererseits hatte er auch Verständnis für die Kritiker und mochte Fußball zunächst nur als Ergänzung zur Turnstunde betreiben lassen. Eindringlich warnte Koch vor "Ausartungen des Professionalismus" wie in England, wo Spieler ab 1885 bezahlt werden durften. Um sich von derlei negativen Einflüssen abzugrenzen, sollte das Spiel "eingedeutscht" werden. Bei ihm heißt der Captain der Mannschaft "Spielkaiser"; aus dem Goalie wird ein "Thorwaechter"; Corner ist bald "Eckball".

Doch seine Bemühungen, die Begeisterung zu dämpfen, sind vergeblich. In den 1880er-Jahren gründen sich vor allem in Berlin, Hannover und Frankfurt immer mehr reine Fußballvereine. Fußballvisionär Koch zieht sich zurück. Am lärmenden Tagesgeschäft des Spiels hat er kein Interesse mehr.

Weil Malte Oberschlep einen so feinen Filter wählt und mit vielen Details aus der Pionierzeit des Fußballs aufwartet, ist das Buch besonders Lesern zu empfehlen, die sich schon ein bisschen mit der Geschichte des Spiels auskennen. Es zeigt sehr deutlich, wie schwer es die heutzutage unangefochtene Nummer Eins unter den Publikumssportarten anfangs hatte. Vom ersten Spiel, 1874 auf einem Braunschweiger Schulhof, bis zur Gründung des DFB im Jahre 1900 vergingen immerhin 26 Jahre.

Zum Autor: Malte Oberschelp, Jahrgang 1986, ist Journalist und schreibt über Fußball, Sportgeschichte, Kultur und Medien.

Besprochen von Thomas Jaedicke

Malte Oberschelp: Der Fußball-Lehrer. Wie Konrad Koch im Kaiserreich den Ball ins Spiel brachte
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2010
157 Seiten, 16,90 Euro