Popkultur in der Ukraine

Leopardenmuster und Boris-Johnson-Burger

07:58 Minuten
Der damalige britische Prime Minister Boris Johnson und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi gehen über den Unabhängigkeitsplatz in Kiev. Der dunkelhaarige Selenskyi (links) hat einen olivgrünen Pullover an, der blonde Johnson trägt Anzug, weißes Hemd und Krawatte, die Hände stemmt er in die Hüfte.
Der frühe Besuch in der angegriffenen Ukraine hat den ehemaligen britischen Premier Boris Johnson (r.) zu einer Ikone in dem Land gemacht. Die Bürger würdigen ihn auf vielfältige Weise. © picture alliance / AA / Ukrainian Presidency / Handout
Denis Trubetskoy im Gespräch mit Ramona Westhof · 27.01.2023
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Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine beherrscht der Krieg das Leben der Menschen. Im Chaos entwickelt sich allerdings auch die Kreativität: Memes, Stand-up-Comedy und Musik sorgen für etwas Ablenkung – und geben den Ukrainern Kraft.
In der Ukraine herrscht seit dem 24. Februar 2022 Krieg. Natürlich sind der Angriff Russlands auf das Land und die Versuche, die russischen Truppen zurückzudrängen, das dominante Thema von Lwiw bis in das Donezbecken. Die Politik fließt so in die Popkultur, die sich immer stärker kreativ zeigt – mit gar nicht so versteckten Botschaften.

Leopardenmuster überall in der Ukraine

In der jüngsten Zeit haben sich viele Menschen mit der Lieferung von Leopard-Panzern und dem Abwarten von Bundeskanzler Olaf Scholz beschäftigt, berichtet Journalist Denis Trubetskoy. Ein Meme habe er besonders gemocht: „Das Bild zeigt, wie Olaf Scholz einen Leoparden umarmt. Und in der Überschrift heißt es: ‚Liebe ist, wenn sich jemand so an dir festhält wie Scholz an den Leoparden‘.“
Das Tier und sein charakteristisches Fell habe aufgrund der gleichnamigen Kampfpanzer aus deutscher Produktion in der Popkultur eine immer wichtigere Rolle gespielt, erläutert der Reporter, der auch für deutsche Medien aus dem Land berichtet. "Es war die ganze Zeit so, dass zum Beispiel Politiker oder Fernsehmoderatoren Kleidungsstücke mit Leoparden-Anspielungen getragen haben“, berichtet er aus Kiev. „Aber in den letzten Tagen war die Hälfte meiner Timeline auf Instagram und auf Facebook von Fotos von meinen ganz normalen Freunden geprägt, die das auch gemacht haben.“

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Besser weg kommt ein zurückgetretener Politiker: Dem früheren englischen Premierminister Boris Johnson werde gehuldigt, weil er nach dem Angriff Russlands die Ukraine schneller besucht hat als alle anderen G7-Regierungschefs. In einem Lied werden zum Beispiel zwei Worte des Tory-Politikers in der Landessprache in Schleife gespielt, die nichts anderes als „Guten Tag“ heißen. Der Besuch des Briten im April 2022 habe bei den Menschen Eindruck hinterlassen, sagt Trubetskoy.
„In Kiew gibt es Boris-Johnson-Burger, -Croissants“, berichtet er über den Briten, der in der Ukraine so populär wie in England unpopulär zu sein scheint. Als er zurückgetreten sei, sei das ein ziemlich trauriger Tag für die Menschen in Kiev gewesen. Obwohl er nicht mehr Premier sei, sei Johnson erst vor Kurzem wieder in Kiew gewesen, und der ukrainische Regierungschef Selenskij hat ihn getroffen.

Sehnsucht nach Ablenkung vom Krieg

Während der Krieg weiter das dominierende Thema sei, hätten die Menschen auch Sehnsucht danach, einfach mal abzuschalten, schildert Trubetskoy seine Eindrücke und führt zwei Belege an: „Als im Herbst die Unterhaltungssendungen ins ukrainische Fernsehen zurückgekehrt sind, hat man gesehen, wie gut die Einschaltquoten sind.“ Zudem gebe es einen Boom bei einem Typ Unterhaltung, die sich mit wenig Aufwand auch im Untergrund aufnehmen lasse, unberührt von einem Luftalarm: Stand-up-Comedy. Die sei zwar auch schon vor dem Krieg beliebt gewesen, allerdings sei sie damals sehr russisch dominiert gewesen. „Jetzt haben ukrainische Komiker zehnfach mehr Likes auf YouTube oder zehnfach mehr Views als vor dem Krieg.“
Zudem seien nach und nach die bekannten Formate ins Fernsehen zurückgekehrt, Pendants von „Der Bachelor“ und „The Voice“ etwa. „Vieles wurde natürlich im Voraus gedreht bei ‚The Voice‘, aber das Finale ist ja live“, betont Trubetskoy. „Diese Sendung, die live stattgefunden hat in der Kiever U-Bahn, das war schon etwas ziemlich besonderes“, erläutert Trubetskoy zu der Übertragung im Januar aus einer U-Bahn-Station im Regierungsviertel.
Einerseits sei das ein irritierendes Szenario: Im Fernsehen werde "The Voice" übertragen und an der Front stürben die Menschen, aber andererseits wollten die Ukrainer auch mal abschalten und sich ablenken. "Man fragt sich natürlich auch als Mensch immer wieder: Oh, ich schaue mir jetzt am Abend eine Serie an oder ich teile meine Begeisterung für ein Musikalbum auf Instagram oder woanders – ist das überhaupt angemessen, wenn so viele Menschen zum Beispiel bei Bachmut im Osten sterben? Das ist die Frage, die sich jeder in der Ukraine stellt."

Neue Musik-Szene

Insgesamt glaubt Trubetskoy, die Kultur spiele gerade eine wichtige Rolle in der Ukraine: "Die Musik ist zum Beispiel etwas, was den Menschen wirklich sehr, sehr hilft. Da ist durch den Krieg auch eine neue Szene entstanden." Die sei sehr spannend, denn es seien nicht reine Kriegslieder, sondern oft eine Mischung aus Musik und Memes, die es in die Songs schafften. "Das kommt bei den Menschen extrem gut an."
Das sei gut in einer Zeit, in der die Bevölkerung mit ständigen Stromausfällen leben müsse: "Ich glaube, es ist auch die Kreativität, wie man damit umgeht. Wenn man Wege findet, wie man einen Generator einkauft, Internet-Terminals einstellt, das gibt, glaube ich, den Menschen einfach gegenseitig die Kraft."
(mfu)
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