Russland-Ukraine-Krieg

Wie TikTok das Bild vom Krieg prägt

08:57 Minuten
Eine Jugendliche liegt auf einer Liege in einem Luftschutzbunker und schaut auf ihr Smartphone.
Die sozialen Medien prägen unser Bild vom Krieg in der Ukraine. © Getty Images / SOPA Images / LightRocket / Sergei Chuzavkov
Katja Bigalke und Marcus Richter im Gespräch mit Marcus Bösch · 26.02.2022
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Bilder von Soldaten auf Panzern und zerstörten Gebäuden: Die Videoplattform TikTok trägt dazu bei, wie wir den Krieg Russlands gegen die Ukraine wahrnehmen. Die vielen Fakes auf der Plattform sind ein Problem. Aber es gibt Strategien dagegen.
Am Morgen des 24. Februar hat Russland die Ukraine angegriffen, seitdem herrscht dort Krieg. In Deutschland verfolgen wir das, was in der Ukraine passiert, auch über die Sozialen Netzwerke. Eine besondere Rolle spielt eine Medienplattform, die bei größeren Konflikten bis jetzt noch nicht im Mittelpunkt stand, weil sie relativ neu ist: TikTok.
Die App, die im Kern einen endlosen Stream von bis zu dreiminütigen Videos liefert, ist eine wichtige, aber auch umstrittene Kommunikationsplattform geworden. Ihre Ästhetik prägt das Bild vom Krieg. So fasst es zumindest der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling auf seinem Twitterprofil zusammen:

“Vor acht Jahren waren die Kämpfe in der Ukraine auf Social Media vor allem als Memes, politische Karikaturen und angeberische Poser-Fotos sichtbar. Heutzutage sind es meist drei- bis viersekündige TikTok-artige Videoschnipsel.”

Bruce Sterling

Videos von Soldaten auf Panzern und zerstörten Gebäuden

Was der einzelne Nutzer über den Krieg Russlands gegen die Ukraine sieht, hängt sehr vom Algorithmus ab. Denn die sogenannte „For-You-Page“ ist, ähnlich wie bei Facebook oder Instagram, auch bei TikTok individuell.
„Das Spektrum reicht von Soldaten auf Panzern bis hin zu Menschen, die sich in den U-Bahn-Schächten verschanzt haben. Und dazwischen zerstörte Gebäude, weinende Mütter, aber bei mir auch immer wieder, leicht irritierend, Werbung der Bundeswehr“, sagt Marcus Bösch, Forscher an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Berater mit Schwerpunkt TikTok.

Welche Informationen auf der Plattform sind verlässlich?

Auch das Spektrum der Akteure, die Videos veröffentlichen ist groß: Es gibt professionelle Nachrichtenkanäle und Journalisten, die vor Ort berichten, sowie Menschen aus der Ukraine, die ihre Situation zeigen, aber auch Kanäle, die Fakes und Misinformation verbreiten.
„Wir sehen hier zum Teil Videos, die unterlegt werden mit Sounds von Schüssen. Aber dieser Sound gehört quasi gar nicht zum Video. Und diese Videos verbreiten sich, werden von anderen aufgegriffen und nachgemacht. Deswegen ist es im Moment sehr schwierig herauszufinden: Welche Informationen auf der Plattform sind überhaupt verlässlich und welche nicht? Welche sind überhaupt von jetzt? Und welche Videos sind vielleicht schon deutlich älter?“, sagt Marcus Bösch.

Spendenbetrug mit gefälschten Livestreams

Das sei gerade auf einer Plattform mit einer eher jungen Zielgruppe eine Gefahr. Zudem werde auf TikTok auch eine andere Art von Betrug betrieben: indem Nutzer dort über eine Spendenfunktion Geld einsammeln – mit gefälschten Livestreams.
„Das wird offensichtlich von einer ganzen Reihe von Menschen genutzt, die noch nicht mal selbst in der Ukraine sitzen müssen. Die dann halt einen gefakten Livestream anfertigen mit Videos, die sie aus anderen Quellen des Internets haben. Zum Teil kann man sehen, dass die dann geloopt werden.“
Gegen Fakes und Betrug helfen professionell geprüfte Informationen – und auch die gibt es auf TikTok. Der Forscher Marcus Bösch ermuntert die professionellen Medien, die Plattform mehr zu nutzen, dort präsenter zu werden.

„Gefragt sind also Medienanbieter. Und da gibt es inzwischen eine ganze Reihe von vor allem US-amerikanischen Fernsehsendern, die jetzt gerade einen sehr, sehr guten Job dabei machen, aus der Region zu berichten."  

Journalist und Forscher Marcus Bösch

Ein Beispiel für Berichterstattung auf TikTok ist der Kanal des Journalisten Matthew Cassel von Vice World News. Er veröffentlichte unter anderem am zweiten Tag der russischen Invasion ein Video, während er durch die Innenstadt von Kiew läuft und die Lage beschreibt. 
(nog)
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