Die aktuellen Entwicklungen können Sie im Dlf-Newsblog zum Krieg in der Ukraine verfolgen.
Geigerin Marina Bondas
"Wenn ich in irgendeinem zerschossenen Raum für 20, 30 Leute spiele, kann ich jeden persönlich erreichen", sagt die Geigerin Marina Bondas. © Anastasia Magazova
"Die ukrainischen Leute wissen, was sie verteidigen"
33:56 Minuten
Eigentlich ist sie Geigerin in einem Berliner Orchester, aber derzeit dreht sich für Marina Bondas alles um den Krieg in der Ukraine. Mit dem Projekt "Heart for Ukraine" organisiert die gebürtige Kiewerin Hilfslieferungen und betreut Geflüchtete.
Wenig Schlaf, viel Sorgen, unzählige Telefonate – das ist der Alltag von Marina Bondas seit dem 24. Februar, dem Tag, als der russische Angriff auf die Ukraine begann. Die Geigerin gehört zu den unzähligen Landsleuten, die ihren eigentlichen Beruf mehr oder minder ruhen lassen, um sich für die Menschen in der Ukraine zu engagieren.
Die gebürtige Kiewerin macht dies schon seit 2015 in der Initiative "Heart for Ukraine", die als Reaktion auf die russische Annexion der Krim gegründet wurde.
Aktuell könnte sie rund um die Uhr aktiv sein: "Wir müssen Medikamente schicken, humanitäre Güter." Es gebe bewährte Logistikketten, "aber mit dem Krieg mussten wir neue Wege finden". Derzeit bringe man LKW-Lieferungen an die polnisch-ukrainische Grenze, die von dortigen Mitarbeitenden in Empfang genommen werden. "Wir haben ganz tolle Leute, die ihr Leben riskieren und die Sachen verteilen." Die Empfänger sind zum Beispiel Krankenhäuser.
Ukrainischer Humor ist etwas Besonderes
Marina Bondas hält von Berlin aus intensiven Kontakt zu Freunden und Familien in der Ukraine, deren Kinder sie seit Jahren musikalisch betreut. Einige versuchten sie zu beruhigen: "Marina, mach dir keine Sorgen, es ist alles gut." Es gebe auch Menschen, erzählt die Musikerin, "die ihren Humor behalten haben – und dafür liebe ich die Leute, dafür liebe ich dieses Land. Ukrainischer Humor ist etwas ganz Besonderes." Dieser sei mitunter böse, aber auch ganz fein. "Das ist das, was die Menschen am Leben erhält, sie optimistisch bleiben lässt."
Aber Bondas bekommt auch verzweifelte Hilferufe. „Und da fühlt man sich unglaublich hilflos, wenn sich zum Beispiel die Familie von einem Schützling meldet und sagt: 'Marina, bitte, bitte, wir müssen hier raus'– und ich kann nicht helfen.“
Ihre eigene Fluchtgeschichte
Marina Bondas weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, seine Heimat verlassen und in einem fremden Land Fuß fassen zu müssen. Vor fast genau 30 Jahren, im Mai 1992, kam sie mit ihren Eltern aus Kiew nach Deutschland. Als sogenannte „jüdische Kontingent-Flüchtlinge“ konnte die Familie ausreisen.
Die damals Zwölfjährige sprach kaum Deutsch. „Wenn du dann in einem fremden Land bist und du hast absolut keinen Halt, und plötzlich ist die Fremdsprache das Einzige und du musst dich irgendwie damit zurechtfinden. Das braucht ein bisschen Zeit.“
Die Geige und das Projekt „Musik rettet“
Seit sie denken kann, spielt Marina Bondas Geige. „Meine Eltern sind beide Geigenlehrer, und das war der einzige Beruf, den ich mir überhaupt vorstellen konnte.“ So studierte sie tatsächlich Violine und ist heute Mitglied in einem großen Berliner Orchester.
Doch so sehr sie ihr Instrument auch liebt, seit dem 24. Februar hat sie die Geige nicht zur Hand genommen. Und das, obwohl sie mit ihren Auftritten vielen Menschen Halt gibt – auch in den Kriegsgebieten in der Ostukraine. Seit der Annexion der Krim war sie immer wieder in den betroffenen Regionen und spielte in Schulen, Krankenhäusern, zerstörten Häusern, auf der Straße, "manchmal hatte ich vier bis fünf Auftritte am Tag."
Sie liebt diese intimen Konzerte sogar mehr als Auftritte in großen Konzerthäusern, sagt sie. „Wenn ich in irgendeinem zerschossenen Raum oder unter freiem Himmel für 20, 30 Leute spiele, kann ich jeden persönlich erreichen. Ich habe Kontakt zu jedem, und das macht die Sache aus.“
Hilfe für traumatisierte Kriegskinder
In dem Projekt „Musik rettet“ betreut sie auch traumatisierte Kinder in der Ukraine. „Heart for Ukraine“ organisiert zudem Sommercamps und holt die Kinder dafür nach Deutschland. Sie merke immer, wie gut ihnen dies tue, so Marina Bondas.
„Die Kinder und Jugendlichen haben ein bisschen mehr erwachsene Augen. Aber sie sind gleichzeitig auch genauso wie die Jugendlichen hier; sie haben TikTok, sie haben Instagram und sie lackieren sich die Nägel. Man sieht denen nicht immer an, dass sie Kriegskinder sind. Aber wenn sie dann hierherkommen, dann kommt dieses Trauma raus.“
Was gibt ihr Hoffnung in diesen Tagen?
„Hoffnung macht mir zum einen, dass die Leute unglaublich stark sind.“ Die russische Armee sei zwar militärisch überlegen, aber die Soldaten wüssten nicht, wofür sie kämpfen. „Und die ukrainischen Leute wissen, was sie verteidigen.“ Sie gebe auch die Hoffnung nicht auf, „dass Europa und die ganze Welt aufwacht, und wir endlich mal den Luftraum schützen. Das ist das Einzige, was momentan helfen würde. Das würde helfen, die Leute einfach evakuieren zu lassen.“
(sus)