Kampf gegen Überfischung

Lachs aus dem Labor

29:44 Minuten
Ein Lachsfilet liegt vakuumverpackt auf einer rosa Oberfläche.
Kann Lachs aus dem Labor das Problem mit der Überfischung der Weltmeere lösen? © Getty Images / MirageC
Von Marcus Pfeil · 11.07.2022
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Die Fischbestände in den Meeren schrumpfen dramatisch. Deshalb suchen Forscher, Forscherinnen und Züchter nach alternativen Wegen, um die steigende Nachfrage nach Fisch zu decken. Einige setzen auf Aquakulturen an Land, andere auf zellbasierte Produktion im Bioreaktor.
Überfischung und Verschmutzung der Meere, Korruption und illegale Fischerei – es steht schlecht um die Fischbestände in den Ozeanen. Unser Hunger auf Fisch zerstört die Meere. Das war die unmissverständliche Botschaft der UN-Ozeankonferenz Ende Juni in Lissabon. Neuesten Zahlen der Welternährungsorganisation FAO zufolge ist mehr als ein Drittel der weltweiten Fischbestände überfischt.
„Und wir sind immer besser darin geworden, immer mehr Fische aus dem Wasser rauszunehmen. Inzwischen schätzt man, dass etwa 90 Prozent der Fische abgefischt worden ist. Mit anderen Worten: Die Fischbestände sind nur noch zehn Prozent so groß, wie sie vielleicht vor 50 Jahren einmal waren“, sagt Rainer Froese, einer der führenden Meeresbiologen in Deutschland. Die Fischereiindustrie betreibt einen immer größeren Aufwand, um überhaupt noch Fische zu fangen. Besonders gefährdet sind Haie, Thunfische, Zackenbarsche und Kabeljaue.
„Es gibt zwar immer noch Fischbestände, die in Ordnung sind. Leider gibt es aber sehr, sehr, sehr, sehr viele, die nicht in Ordnung sind. Und so richtig verbessert sich das auch nicht. Also klassische Fische wie der Aal oder der Kabeljau oder der Dorsch sind leider nicht in Ordnung. Die kann ich nicht empfehlen.“

Der Fischkonsum müsste drastisch sinken

Zum Umsteuern sei es noch nicht zu spät, sagt Froese. Denn das Ökosystem in den Meeren sei fähig zur Regeneration. Und zwar erstaunlich schnell: „Wenn der politische Wille da ist, kann man tatsächlich in nur fünf Jahren das Problem der weltweiten Überfischung lösen.“

Die radikalen Methoden der Fischerei weltweit sorgen dafür, dass die Meere immer leerer werden. Wie können sich die Bestände erholen und wie kann gleichzeitig der weltweite Hunger nach Fisch befriedigt werden? In Bremerhaven forscht man daran, Fischfleisch in vitro zu züchten. In vitro, lateinisch ‚im Glas‘, nennt man organische Vorgänge, die außerhalb eines lebenden Organismus stattfinden - Fischfleisch ohne Fisch und ohne Seele also. Ein Lebensmittel ohne industrielle Fischerei, ohne Massentierhaltung in Aquakultur und ohne Tierleid? Marko Pauli war in Bremerhaven auf der Suche nach dem In-vitro-Fisch .

Der Konsum von Dorsch und Dorade, Seezunge und Seeteufel müsste drastisch sinken, um die Fischbestände zu schonen. Dass es dazu kommen wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Zu groß ist der Appetit auf Fisch. Der weltweite Verbrauch ist laut Welternährungsorganisation FAO seit 2009 um ein Drittel auf 164 Millionen Tonnen gestiegen.

Es gibt eigentlich aus ökologischer Sicht kein besseres Nahrungsmittel als Fisch.

Jürg Knoll

Jürg Knoll hat 2007 das Unternehmen Follow Food gegründet. Eine Handelsgesellschaft, die nach eigenen Angaben nur nachhaltig produzierte Lebensmittel anbietet. Darunter auch Fisch: Follow Food handelt mit Wildfischen – und mit Fischen, die in Aquakulturen gezüchtet werden.
„Wir müssen sie nicht herstellen. Wir müssen keine Böden bearbeiten, wir müssen nicht spritzen, wir müssen nicht füttern, sondern Mutter Natur schenkt uns Fisch. Und wenn wir es endlich schaffen würden, den Fisch so zu bewirtschaften, dass wir immer von den Erträgen leben könnten und nicht von der Substanz der Bestände, dann hätten wir oder haben wir ein extrem nachhaltiges Lebensmittel für viele Generationen, für Jahrtausende von Jahren eigentlich.“
Follow Food importiert zum Beispiel von Hand geangelten Thunfisch aus dem Indischen Ozean, mit Langleinen gefischten Kabeljau aus der Barentssee oder Wildlachs aus Alaska. Schon vor 15 Jahren ließ Knoll einen Tracking-Code auf seine Produkte drucken, mit dem die KäuferInnen die Herkunft der Ware überprüfen können.
„Es gibt noch Fische, die wir bedenkenlos verkaufen. Zum Beispiel handgeangelte Thunfisch von den Malediven, superselektiv, praktisch ohne Beifang, sehr schonend. Oder die Kaltwasserfische aus der Barentssee haben aus unserer Sicht noch eine sehr gute Bestandssituation.“
Ein volles Fischfangnetz an Bord eines Trawlers in Norwegen.
Mehr als ein Drittel der weltweiten Fischbestände sind überfischt. Dabei ist das Ökosystem der Meere erstaunlich schnell fähig, sich zu regenerieren.© imago images / Andia / M. Mochet

Allerdings ist es gerade bei den im Meer gefangenen Fischen für Follow Food nicht ganz einfach, das Unternehmensversprechen einzuhalten. Im Gespräch via Zoom räumt Knoll ein, dass komplette Kontrolle auf hoher See unmöglich ist. Über Logbücher und Stichprobentests überprüfe man aber, ob die Fischereien sich an die Vorgaben halten. 
Zusätzlich lässt Follow Food zwei Mal jährlich von einer externen Stelle checken, ob der Fisch, den man verkauft, nicht aus überfischten Gebieten stammt. Denn die Bestände ändern sich ständig. Dabei werden immer wieder Fischereien und Arten aussortiert: Zuletzt etwa eine Makrelen-Fischerei, weil sie das blaue MSC-Siegel verloren hat, das weltweit strengste Umweltsiegel für Wildfisch.
Fischprodukte mit MSC-Siegel kommen aus nachhaltigen, umweltschonenden Fischereien. Auch Jakobsmuscheln und Nordsee-Schollen hat Knoll zuletzt aus dem Sortiment gestrichen, weil sie mit Grundschleppnetzen gefangen werden – eine umstrittene Fangmethode, auf die Follow Food vom kommenden Jahr an komplett verzichten will. 
„Wir gehören ja zu denen, die sagen, Nachhaltigkeit ist auch ein Weg, kein Endpunkt. Und auf diesem Weg gibt es Produkte, die wir schon hatten, die wir dann wieder ausgelistet haben. Ein Beispiel ist die Nordsee-Scholle, die war ein richtig schönes, gutes Produkt, innovativ befischt. Das war eine der ersten nachhaltig zertifizierten Nordsee-Schollen, wir sind aber im Moment dabei, sozusagen alles, was mit Bodenberührung zu tun hat, rauszuschmeißen. Und deshalb verabschieden wir uns eben dann auch von Produkten, die eigentlich vom Bestand her gut sind.“

Sind Aquakulturen die Lösung?

Um die steigende Nachfrage nach Fisch zu bedienen, greift Knoll auch auf Fisch zurück, der in Aquakulturen gezüchtet wird. Das macht mittlerweile schon mehr als ein Drittel seines Umsatzes aus. Er liegt damit im Trend. Weltweit wurden im vergangenen Jahr erstmals mehr Fische aus Aquakulturen als aus den Meeren verkauft.
Ist das der Weg, um die Meere vor Überfischung zu schützen? Wer Fische nicht wild fängt, sondern züchtet, schont die Ozeane und die bedrohten Arten. Und könnte gleichzeitig die steigende Nachfrage nach Fisch bedienen. So die Theorie. Doch in der Realität kann man Fischerei und Aquakultur nicht voneinander trennen, sagt der Meeresbiologe Rainer Froese:
„Aquakultur von Raubfisch bedeutet, dass viele der gefangenen Fische an Fische in Käfigen verfüttert werden müssen. Und zwar muss man meistens vier bis fünfmal so viele Fische reinwerfen, wie man rausbekommt.“
Jedes Jahr werden etwa 20 Millionen Tonnen Wildfische zu Fischmehl- und Fischöl verarbeitet. Jeder fünfte gefangene Wildfisch wird an Fische, die in Aquakulturen gezüchtet werden, verfüttert.

Wenn man diese Fische, also Heringe, Sprotten, Sardinen, Sardellen, Makrelen direkt essen würde, hätten wir vier bis fünfmal mehr Fisch für die direkte menschliche Ernährung. Aquakultur von Fischen wird die Menschheit nicht ernähren.

Rainer Froese

Die Kulturen, aus denen Follow Food seinen Fisch kauft, haben ein Biozertifikat. Das Siegel soll zwei Probleme lösen: Für das Futter dürfen nur Fische aus nachhaltigem Fang verwendet werden. Und die Fische in den Aquakulturen müssen ausreichend Platz bekommen. Der nachhaltig gezüchtete Fisch hat aber auch seinen Preis. 200 Gramm Lachs von Follow Food kosten knapp neun Euro. Zum Vergleich: Im Supermarkt gibt es die gleiche Menge schon für weniger als die Hälfte. 
Dem Meeresbiologen Froese geht das nicht weit genug. Er fordert noch strengere Kriterien für die Aquakulturen. Sie sollten auf das Zufüttern von Fischen am besten ganz verzichten.
„Das wären etwa Algen, die an Gerüsten wachsen, aber auch Muscheln, die man an Seilen, die im Wasser hängen, wachsen lassen kann. Das ist eine sehr nachhaltige Aquakultur, die ich sehr begrüße und die viel mehr da sein müsste.“
Nachhaltiger Fischfang, Aquakulturen mit Biosiegel – reicht das, um die weltweite Nachfrage nach Fisch zu bedienen – und gleichzeitig die Ozeane zu schützen? Viele Experten sind skeptisch. Und suchen nach neuen Wegen, um Fisch zu produzieren, nicht im Meer, sondern an Land. Zum Beispiel auf dem Dach eines Supermarktes.
Tilapias schwimmen in kreisrunden Bassins.
Bei der Berliner Firma ECF schwimmen Tilapias auf dem Dach - mit ihren flüssigen Ausscheidungen werden Basilikumpflanzen gedüngt.© imago images / Joerg Boethling
Auf der Rückseite eines Rewe-Marktes in Wiesbaden hängt neben einer Tür das Schild „Fisch vom Dach“. Eine Treppe führt nach oben, man sieht kreisrunde Becken, in denen kleine Fische schwimmen. Hier oben hat Nikolas Leschke im Frühjahr 2022 die modernste Aquaponik-Anlage Europas in Betrieb genommen, die Fisch- und Gemüsezucht miteinander verbindet. Leschke ist Gründer und Chef der Firma ECF Farm Systems, die hier Barsche und Basilikum für die Supermarktkette Rewe produziert.

In dem Becken schwimmen unsere Fische. Die Fische kommen hier rein, wenn sie 0,1 Gramm haben. Mittlerweile produzieren wir uns auch unsere eigenen Babys.

Nicolas Leschke

Die Fische sind Tilapias, ein Buntbarsch, der eigentlich aus Afrika stammt. Über dem Becken hängen computergesteuerte Futterautomaten, die die Fische regelmäßig mit Nahrung versorgen. Auch wenn Leschke mit pflanzlichem Futter experimentiert, noch bekommen auch seine Barsche Fischmehl.
Das Besondere der Anlage: Mit den flüssigen Ausscheidungen der Fische werden Basilikumpflanzen gedüngt, die ein Stockwerk höher gezüchtet werden. Ein Kreislaufsystem, das Fisch- und Gemüseproduktion miteinander kombiniert. Nicolas Leschke zeigt auf die buschigen Pflanzen im Dachgeschoss und lächelt zufrieden:
„Und dort sind die Pflanzen, die das Wasser verwerten, die die Nährstoffe aufnehmen und dadurch hervorragend wachsen.“

Nach acht Monaten sind die Fische schlachtreif

Mehrere Tausend Tilapia schwimmen in den runden Bassins über dem Supermarkt, nach acht Monaten sind sie schlachtreif und können zu Filet verarbeitet werden, das dann eine Etage tiefer in der Frischfischtheke landet. Die Anlage ist ein Pilotprojekt von ECF und Rewe. ECF produziert Basilikum und Barsch und verkauft beides frisch zum Verzehr an die Supermarktkette. Die Anlage deckt den Bedarf an Tilapia in 40 Supermärkten, das Basilikum reicht sogar, um 400 Rewe-Filialen in Hessen und Rheinland-Pfalz zu versorgen.
„Das ist ein Fisch, der sich zum einen sehr wohlfühlt in den Temperaturen, in denen sich unsere Pflanzen auch wohlfühlen. Da gibt es schon mal eine Symbiose und zum anderen ist der sehr nitrat-beständig. Nitrat ist Dünger und wir wollen viel Nitrat auf der anderen Seite haben. Im Grunde kann man das eigentlich mit jedem Süßwasserfisch machen, aber es gibt Fische, die sich besser eignen durch diese Nitratbeständigkeit als andere Fische.“
Hinter einer Glastür mit der Aufschrift "Hydroponik" wachsen Basilikumpflanzen.
Das Basilikum geht an 400 Supermärkte in Hessen und Rheinland-Pfalz.© imago images / Joerg Boethling
Leschkes Unternehmen ECF Farmsystems überwacht alles per Monitor. Sensoren zeigen ihm, wie hoch die Temperatur und der Sauerstoffgehalt im Wasser sind, ob genug Frischwasser nachläuft, ob der UV-Filter leuchtet und ob die Bakterien in der Kläranlage ihre Arbeit verrichten. Wenn er nach den Fischen schaut, zieht Leschke eine Plastikhaube über den Kopf und über die Schuhe. Die Tiere sollen sich bloß nichts einfangen.
„Wir achten sehr darauf, dass einfach nicht zu viel Fisch in dem Becken ist und dass sie das machen, was du da drüben siehst. Im Schwarm schwimmen im Kreis. Und das Becken, was du hier siehst, das sind die Fische, die jetzt ausgewachsen sind, die werden jetzt geschlachtet. Heute war Erntetag. Und das sind die, die jetzt als Nächstes rausgehen. Die sind jetzt ungefähr acht Monate alt und haben so 500, 600 Gramm.“
Leschkes Aquakultur könnte fast überall stehen. Sie funktioniere weitgehend autark und die Belastungen für die Umwelt seien gering, sagt er. Natürlich braucht er Strom, Wärme und auch Fischfutter. Aber keine Antibiotika.
„Wir haben seit zehn Jahren nicht einmal Medikamente einsetzen müssen, weil unsere Philosophie ist es, dass wenn du den Fischen optimale Wasserqualität und gutes Futter gibst, dann haben die ein gutes Immunsystem und ich weiß noch nicht mal, ob die einen Schnupfen haben.“

Die gleichen Probleme wie bei Massentierhaltung

Leschke hat vor mehr als zehn Jahren in einem Container in Berlin angefangen, Fisch und Gemüse zu vermarkten – der Container steht heute noch dort, auf dem Gelände einer alten Malzfabrik in Berlin-Schöneberg, dem Hauptsitz von ECF. Kann das ein Vorbild auch für andere werden? Der Meeresbiologe Rainer Froese ist skeptisch. Solche Anlagen funktionieren im Kleinen ganz gut. Aber im großen Stil suche man sie bis heute vergeblich, aus gutem Grund, sagt Froese.
„Wenn sie länger laufen sollen, haben sie die gleichen Probleme wie bei der Massentierhaltung, Krankheiten können sich einschleichen. Und auch, dass die Anlagen eventuell mal ausfallen. Das sind hoch technisierte Anlagen. Die haben zwar Back-up-Systeme, aber wenn etwas ausfällt, das Back-up auch, dann verliert man den gesamten Bestand und das wird dann sehr teuer.“
Hinzu kommt: Aquaponik-Anlagen an Land eignen sich vor allem für die Zucht von Süßwasserfischen wie dem Tilapia. Nicht aber für Meeresfische, weil Transport oder Herstellung von Meerwasser zu teuer sind. Doch Salzwasserfische landen besonders oft auf deutschen Tellern. Allen voran der Lachs.
Die Deutschen essen pro Jahr mehr als zwei Millionen Tonnen Fisch, jeder fünfte Fisch davon ist ein Lachs. Der Großteil davon stammt aus Aquakulturen – weltweit 75 Prozent. Produziert oft unter prekären Bedingungen – in kreisrunden Zuchtanlagen an den Küsten von Norwegen, Chile, Kanada oder Schottland, in manchen davon, sagen Kritiker, gehe es übler zu als in der Hühnermast. Allein im Jahr 2019 sind in Schottland mehr als zehn Millionen Zuchtlachse aufgrund von Krankheiten verendet.
Und deshalb suchen Forscher weiter nach alternativen Zuchtmethoden. Und anderen Fischen.
Eine Lachsfarm im Nordmeer mit den schneebedeckten Hügeln der Lofoten im Hintergrund.
Die Deutschen essen pro Jahr mehr als zwei Millionen Tonnen Fisch, jeder Fünfte davon ist ein Lachs.© picture alliance / Blickwinkel / C. Kaiser
Werner Kloas überblickt von seinem Büro aus den Müggelsee, es gibt schlechtere Arbeitsplätze in Berlin. Und es gibt aufgeräumtere Büros, überall stapeln sich wissenschaftliche Papiere, Studien und Zeitschriften. Kloas ist Abteilungsleiter am Leibnitz Institut für Gewässer-Ökologie und Binnenfischerei. Und er ist seit Jahren auf der Suche nach einer Alternative zum Lachs. Am Amazonas glaubt er, diesen Fisch gefunden zu haben. Den Arapaima.
„Der Arapaima schmeckt sehr gut, der ist auch vergleichbar, der hat ein ganz weißes Fleisch, gute Textur, der ist am ehesten vergleichbar mit dem Zander, allerdings ohne Gräten.“
Aus Brasilien hat er 20 Exemplare dieses Süßwasserfisches einfliegen lassen nach Berlin, wo sie jetzt am Müggelsee in einem 20 Meter großen Pool schwimmen. Der Arapaima lebt seit über 200 Millionen Jahren auf der Erde, er ist mit dem Stör verwandt, sein Kopf sieht aus wie eine Stahlkappe. Allerdings gibt es noch ein ziemlich gravierendes Problem: Alle Versuche, den Arapaima künstlich zu züchten, sind bislang gescheitert. Kloas hat sich noch vier Jahre Zeit gegeben, um das zu schaffen.
„Was wir noch nicht genau wissen, ist, welche Bedingungen die haben wollen. Die reproduzieren in der Regenzeit. Der Salzgehalt ist sehr niedrig, da müssen wir schauen, ob wir die richtigen Bedingungen haben, die richtige Temperatur, die richtige Wasserhärte, die richtige Leitfähigkeit des Wassers, eventuell macht auch eine hormonelle Stimulierung Sinn, das sind verschiedenen Optionen, an denen arbeiten wir.“

Ein Amazonas-Fisch soll den Lachs ersetzen

Für Kloas gibt es keine bessere Alternative zum Lachs, dem Schnitzel der Meere. Der Arapaima verwertet Futter so gut und wächst so schnell wie kaum ein anderer Fisch. Im ersten Jahr legte der Fisch 17 Kilogramm zu. Aus 700 Gramm Futter wurde ein Kilo Fisch, das sei Weltklasse, sagt Kloas, beim Zander bräuchte man ein Kilo, beim Lachs noch deutlich mehr.
„Seine Futterverwertung ist extrem gut. Das liegt daran, dass er ein Luftatmer ist und damit die Energie, die er sonst für die Atmung benötigen würde, eigentlich sozusagen einspart.“
Über 200 Fischarten kann der Mensch inzwischen in Aquakulturen vermehren, mehr als zehnmal so viele, wie es Arten gibt, aus denen wir Fleisch produzieren. Und auch wenn sich der Arapaima in Gefangenschaft noch nicht fortpflanzen kann, bestellen lässt sich sein Filet schon über eine Versandfirma aus Thüringen.
"Usere Vision, was den Arapaima angeht, ist, dass wir den nachhaltig züchten können. Jederzeit, das ganze Jahr über. Und ernähren soll er sich dann nicht mehr von Fischmehl, sondern von alternativen Proteinquellen, das können Schlachtabfälle sein, aber vor allem Insekten, wo wir dran arbeiten und überzeugt sind, dass das funktionieren wird."
Unterwasserfoto großer länglicher Fische mit rot gerandeten Schuppen.
Der Arapaima legt in seinem ersten Lebensjahr 17 Kilogramm zu. Seine effiziente Futterverwertung macht ihn zur Hoffnung für eine nachhaltige Fischzucht.© imago images / agefotostock
Wenn Werner Kloas seinen Fischen das Futter verabreicht, verwandelt sich der Pool schlagartig in tosendes Wasser. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, den Arapaima auf immer mehr deutsche Einkaufszettel zu bringen, noch frisst auch dieser Fisch am liebsten Fischmehl, zu dem Heringe, Sprotten, Sardinen oder Makrelen aus dem Meer verarbeitet wurden.
Kloas forscht deshalb noch an einem zweiten Projekt – zusammen mit Christian Ulrichs, einem renommierten Biologen an der Humboldt-Uni in Berlin. In Ulrichs Labor dreht sich alles um eine Fliege, die Schwarze Soldatenfliege. Ulrichs und Kloas wollen das Insekt nutzen, um Fischfutter zu produzieren. Dann müssten dafür keine Fische gefangen werden, das würde die Fischbestände in den Meeren schützen.
Auf dem Gelände der Humboldt-Uni in Dahlem lässt Ulrichs ein Kreislaufsystem bauen, das legogleich aus drei übereinandergestapelten Würfeln besteht, in denen im kommenden Jahr Gemüse, Fische und die Schwarze Soldatenfliege gezüchtet werden sollen.
„Wir haben die primäre Produktion, das heißt, wir produzieren Gemüse. Ich nehme mal die Tomate als ein schönes Beispiel. Da fallen tolle Produkte an, nämlich die Tomaten, die entnehmen und haben wahnsinnig viel Biomasse am Ende der Vegetationsperiode. Die wiederum versuchen wir dann im Idealfall an Insekten zu verfüttern.“
Und die Larven der Soldatenfliege wiederum, die aus der Tomatenbiomasse wachsen, verfüttert Ulrichs Team an die Fische. Und die Ausscheidungen der Fische reichern das Wasser mit Energie an. Und dieses nährstoffreiche Wasser geht dann wieder zurück in die Pflanzenproduktion. Ein Kreislaufsystem: 

Und wir schauen dabei ein bisschen auf die Natur. Da gibt es auch keinen Abfall, sondern alles ist ein Produkt für irgendjemand anderen, für irgendein anderes System. Und so versuchen wir, aus der Natur zu lernen und das in unsere künstlichen Systeme zu überführen.

Christian Ulrichs

Die Soldatenfliege sei sehr genügsam, so ziemlich jeden Biomüll kann sie in wertvolle Proteine verwandeln. Noch aber macht sie das nur im Labor, der Bau der Anlage hat gerade erst begonnen. Vor ein paar Wochen war Spatenstich, nun gähnt draußen ein Bauloch.
„Durch Corona sind wir im Bau zu Verzögerungen von einem Jahr gekommen. Ich bin aber ganz froh, dass wir Ende 20 22 Richtfest feiern werden und die Anlage öffnen können.“
Ob die Soldatenfliege also tatsächlich ein Baustein sein kann für eine nachhaltige Fischzucht an Land, muss sich noch zeigen. Und deshalb wird ein vierter Weg in der Fachwelt mit großer Spannung verfolgt: die Fischproduktion im Labor.

Fischproduktion aus Stammenzellen

Sebastian Rakers steht vor einem mannshohen Kühlschrank. Darin lagern Reagenzgläser mit einer gallertartigen Masse. Hier, in seinem Labor, wächst sein Fisch der Zukunft. Er braucht weder Fischmehl noch Insekten, Rakers züchtet ihn aus Stammzellen, die zu Fischbällchen, Fischstäbchen und irgendwann auch mal zu Fischfilet verarbeitet werden sollen. Rakers ist Mitgründer des Start-ups Bluu Seafood aus Lübeck, das erste europäische Unternehmen, das zellbasierten Fisch entwickelt und auf den Markt bringen will. Die Firma sitzt im dritten Stock eines schmucklosen Neubaus auf dem Uni-Gelände, gleich gegenüber vom Fraunhofer Institut für Marine Biotechnologie und Zelltechnik, aus dem Rakers seine Firma ausgegründet hat.
„Ja, also wenn es um Ernährungssicherung geht, ist es für mich kultivierter Fisch der Zukunft. Und ich denke, in 20 Jahren wird das für uns das neue Normal sein, dass wir Fisch aus dem Kühlregal kaufen, der in großen Bioreaktoren hergestellt worden ist und nicht mehr aus dem Meer kommt.“
Die Muskelzellen, die für die Laborzucht nötig sind, werden Fischen durch eine Biopsie entnommen, ohne dass die Tiere hierfür getötet werden. Übrig bleiben in der künstlichen Umgebung nur so genannte Stammzellen, der Rest stirbt ab. Und genau auf diese Zellform haben es Rakers und sein Team abgesehen, denn nur Stammzellen sind in der Lage, sich massenhaft zu vermehren und so frisches Gewebe wie Muskelfleisch aufzubauen.

„Letzten Endes kann man sich das ja wie beim Bierbrauen so ein bisschen vorstellen. Ich habe die Zellen in einem großen Kessel. Die wachsen und teilen sich.“
Blau behandschuhe Hände greifen mit einer Zange ein Röhrchen mit darin enthaltenen Stammzellen.
Die Zellen eines Lachs werden aus einem Cryotank entnommen. Die zellbasierte Fischproduktion ist das Ziel des Lübecker Start-Ups Bluu Seafood.© Bluu GmbH / Henrik Gergen
Das geschieht in einem Bioreaktor. Ein spezielles Nährmedium regt die Stammzellen an, sich massenhaft zu vermehren. Entscheidend für diesen Prozess ist ein sogenanntes fetales Kälberserum, ohne das auch kein im Labor gezüchteter Rinder- oder Hühnchen-Burger auskommt. Das Serum wird schwangeren Kühen in Schlachthöfen entnommen. Bluu arbeite aber auch an pflanzlichen Alternativen zum Kälberserum. Bisherige Laborversuche, Stammzellen von Lachs, Karpfen und Forellen zu produzieren, seien vielversprechend, sagt Rakers:.

Forelle ist momentan sozusagen unsere am besten untersuchte Zelllinie. Das sind die Zellen, die wirklich fantastisch wachsen, die auch in unser erstes Produkt kommen werden und die wir auch schon ohne Serum wachsen lassen können.

Sebastian Rakers

Weltweit arbeiten drei Unternehmen daran, Fisch aus Stammzellen zu produzieren und zur Marktreife zu führen. Mit Fleisch ist das schon gelungen, Restaurants in Singapur bieten seit letztem Jahr schon künstlich produzierte Chicken Nuggets an. So weit sind die Laborfischer noch nicht, aber es gibt erste Erfolge. Wildtype Foods aus Kalifornien hat im vergangenen Jahr eine Pilotanlage in Betrieb genommen, die Lachs für Sushi produzieren soll.
Allerdings steht die Zulassung der US-Gesundheitsbehörden noch aus. US-Konkurrent Finless will noch in diesem Jahr eine Anlage eröffnen, um zellkultivierten Blauflossenthunfisch zu produzieren. Bluu Seafood in Lübeck beschränkt sich zunächst noch auf Fischbällchen, wie man sie aus japanischen Suppen kennt.
„Die Massenherstellung, das ist eben noch die Herausforderung, die es zu meistern gilt. Wir verfolgen im Prinzip eine Marktstrategie, wie es andere Firmen im Fleischbereich auch gemacht haben und sagen, okay, wir fangen mit relativ einfachen Produkten an, so wie es fBioBeyond Meat mit Burger-Pattys gemacht hat, weil es eben schwieriger ist, ein ganzes Steak herzustellen. Und genau das unterscheidet uns von den anderen Firmen.“

Und wie schmeckt das?

Anfang Juni gab es bei Bluu Seafood die ersten Fischbällchen. Via Zoom darf ich an der Verkostung von Rakers Team teilnehmen. Jeder der vier Wissenschaftler hat vor sich eine Glasschale mit zwei Fischbällchen stehen, dazu Stäbchen und einen Notizblock, damit jeder erst sein Urteil fällt, bevor die anderen ihr Geschmackserlebnis teilen.
„Für mich ist es die optimale Kombination aus Fischstäbchen und Chicken Nuggets." – Jemand, der jetzt noch gar nicht Fischstäbchen kennt, der wird einfach so dieses Produkt gerne mögen, weil es nicht zu sehr nach Fisch schmeckt, aber trotzdem erkennbar nach Fisch schmeckt.“
Sebastian Rakers und sein Team sind mit der Probeverkostung sichtlich zufrieden. Es ist ein wichtiger Schritt, um die zellbasierte Fischproduktion weiter zu entwickeln. Ob es am Ende tatsächlich gelingen wird, auch Fischfilets im Labor zu produzieren, ist noch völlig offen.
Auch Meeresbiologe Rainer Froese verfolgt die Versuche, Fisch im Labor zu entwickeln, mit großem Interesse. Künstliche, zellbasierte Fischprodukte werden sich langfristig auf dem Markt behaupten können, glaubt er. „Aber die Welt ernähren wird das mit Sicherheit nicht.“
Zu viele Fragen seien noch ungeklärt, meint er. Das Thema Energieverbrauch etwa sei bislang eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Das sieht auch Silvia Woll so. Die Technikphilosophin vom Karlsruher Institut für Technologie KIT gibt zu bedenken:
„Wenn wir jetzt tatsächlich eine Stadt ernähren wollen, dann wird das nicht in der Petrischale funktionieren. Dafür brauchen wir Bioreaktoren. Entsprechend gibt es solche großen Bioreaktoren bislang noch gar nicht. Und da es den Reaktor als solchen noch gar nicht gibt, ist es auch sehr schwer, abzuschätzen, wie viel Energie der am Ende verbrauchen wird, aber es wird auf jeden Fall ein deutliches mehr sein an Energie als in der konventionellen Landwirtschaft.

Der Laborfisch soll bald auf den Markt kommen

Rakers lässt sich davon nicht beirren. Er weiß, dass seine Fischbällchen erst mal nur ein Nischenprodukt sein werden.
„Wir rechnen mit ersten Produkten im Markt und aufgrund der begrenzten Menge an Zellmaterial, die wir zur Verfügung haben, in ersten Restaurants Ende 2023, Anfang 2024.“
Ob der Fisch der Zukunft, der Millionen von Menschen Nahrung gibt, tatsächlich irgendwann aus dem Labor kommt, ist also völlig ungewiss. Auch die Versuche, Fische in Aquakulturen an Land zu entwickeln, mögen vielversprechend sein, aber auch da gibt es noch viele offene Fragen. Trotzdem ist der Meeresbiologe Rainer Froese überzeugt: Auch in Zukunft könnte es genügend Fisch geben. Und zwar aus dem Ozean.
Wir müssten es nur richtig, nämlich nachhaltig anpacken. Und das bedeutet: Die Bestände erst mal in Ruhe lassen, fünf Jahre lang, damit sie sich erholen und wieder eine Größe erreichen, die der Mensch dann wieder befischen kann.
„Man kann etwa 20 Prozent von dem rausnehmen, was da ist. Je größer die Bestände sind, desto größer ist auch der Anteil von 20 Prozent. Wir können also eigentlich in Zukunft mehr Fisch essen und besseren Fisch essen als jetzt. Wenn wir sie denn endlich richtig bewirtschaften würden.“
Solange aber illegale Fischtrawler die Ozeane plündern und die Politik mit zu hohen Fangquoten lieber die Fischereiindustrie als die Fische beschützt, bleibt Froeses Traum wohl nur eine Utopie. Und es droht eine andere Utopie: Der Fisch der Zukunft kommt nicht aus dem Ozean, er stirbt aus.

Sprecherin: Cornelia Schönwald
Technik: Alexander Brennecke
Regie: Clarisse Cossais
Redaktion: Gerhard Schröder 

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