Die Berliner Aquaponikfarm ECF, die mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2021 ausgezeichnet wurde, setzt auf eine spezielle Form der Aquakultur, in der die Aufzucht von Fischen mit dem Anbau von Pflanzen kombiniert wird. Unser Autor Ernst-Ludwig von Aster war dort:
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Jeder zweite Fisch ist ein Zuchttier
07:45 Minuten
Der globale Fischhunger steigt. Die Wildfänge gehen zurück. Immer mehr Fische werden in Teichen, Meeresanlagen, Becken und Netzgehegen gezüchtet. Wie können die Fehler der industriellen Tierhaltung bei Aquakultur vermieden werden?
Andreas Müller-Belecke eilt unter alten Bäumen hindurch, über das Gelände des Instituts für Binnenfischerei. Seit fast 100 Jahren kümmern sich Wissenschaftler hier in Potsdam-Sacrow um die Fischforschung. Dr. Müller-Belecke leitet den Arbeitsbereich Aquakultur und Fischzucht. In einem langgestreckten Gebäude schwimmen seine Forschungsobjekte.
"Das ist jetzt so eine Kreislaufanlage, wo die Fischbecken drin sind."
Der Fischereiwissenschaftler greift zur Taschenlampe, bevor er die schwere Tür öffnet.
"Wir halten hier Zander. Und die sind ja dämmerungsaktiv. Und wir spielen den immer Dämmerung vor."
Im Dämmerlicht: Große Bottiche, Kabel, Pumpen. Fütterungsanlagen.
"Hier sind Zander drin, jetzt sind sie 900 Gramm und sie werden so 1,3... 1,4 Kilo. Und unter natürlichen Bedingungen, wenn die Wassertemperaturen dem natürlichen Verlauf folgen, dauert das ganze ungefähr vier Jahre."
Schnelleres Wachstum als in der Natur
Hier aber dauerte es nur 14 Monate.
"Dadurch, dass wir hier regelmäßig 24 Grad vorhalten können, die ganze Zeit, sind wir ungefähr viermal so schnell wie in der Natur."
Eine Anlage im Maßstab 1:20. Der Raubfisch im Bottich bekommt hier regelmäßig seine Futter-Pellets, frisst Fischmehl mit Pflanzenanteil, wächst kontrolliert und vermessen. Für die Wissenschaft.
Und die Fischernährung der Zukunft: Wildfänge aus deutschen Flüssen und Seen machen heute auf den Tellern nur einen Bruchteil aus. Von rund 30.000 Tonnen Süßwasserfisch, die Jahr für Jahr verzehrt werden, wurden gerade mal zehn Prozent von Fischern angelandet. Der Rest kommt aus Karpfen- oder Forellen-Teichen. Und einigen wenigen Kreislaufanlagen.
Rasant steigende Produktionszahlen
Das Gros des Zuchtfisches aber wird heute importiert. Aus China kommen Barscharten wie der Tilapia, aus Vietnam Pangasius aus der Wels-Familie, in Norwegen und Dänemark, werden Lachs und Forelle in großen Meeresanlagen gezüchtet.
Im großen Besprechungsraum wartet griffbereit ein Stapel Unterlagen. Müller-Belecke lehrt auch an der Humboldt-Universität. Doziert über Aquakulturen im internationalen Vergleich.
Aquakultur ist heute ein globales Geschäft. Die Bevölkerung wächst, der Fischhunger steigt, die Fischfangflotten werden größer, die Fischschwärme in den Meeren kleiner – das sorgt für einen beständigen Boom der Fischzucht. Die großen Produzenten sitzen in China und Indien.
"Und insofern ist die Nachfrage groß. Und um diese Lücke zu füllen ist die Aquakultur seit den 1970er, 80er-Jahren doch recht intensiv im Wachsen. Über viele Jahre mit einer jährlichen Wachstumsrate von 10 Prozent. Und jetzt hat sich das etwas abgeflacht auf knapp 5. Aber nach wie vor ist es der im Nahrungssektor am schnellsten wachsende Bereich."
In Europa hat die Branche aus Fehlern gelernt
Heute kommt bereits jeder zweite verzehrte Fisch aus der Aquakultur. Das rasante Wachstum der industriellen Fischzucht brachte die Branche seit den 80er-Jahren aber immer wieder in Verruf. Zu hoher Fischbesatz, zu viele Krankheiten, zu viel Antibiotika, zu viel Futtereinsatz, zu viele Abwässer.
"In Norwegen in Netzgehegen zur Lachserzeugung wurden doch große Mengen an Antibiotika genutzt, um bei diesen damals noch recht hohen Besatzdichten, den dann nicht mehr optimalen Umweltbedingungen für die Fische, die Krankheitsausbrüche, die darauf folgten, zu bekämpfen."
Die Branche hat dazugelernt, sagt Müller-Belecke. Verdreckte Fjorde und verendete Fische sind schlecht fürs Image - heute werden in Europa die Zuchtlachse gegen bakterielle Infektionen geimpft, der Antibiotikaeinsatz ist stark zurückgegangen. Gegen die gefürchtete Lachslaus, einen Parasiten, der die Tiere befallen kann, werden Lippfische und Laser eingesetzt.
Massentierhaltung auf dem Land als abschreckendes Beispiel
"Die Aquakultur ist sich der Sache relativ schnell bewusst geworden. Sie lebt mit der Umwelt, sie muss sich Bedingungen erhalten in denen die Fischerzeugung möglich ist. Und das bedeutet, dass wir uns dieser Sache ganz massiv widmen müssen. Und Verfahren wählen müssen, die nachhaltig sind."
Als abschreckendes Beispiel für die Fischwirte gilt die Massentierhaltung in Hühner- und Schweineställen. Mit ihren Folgen für Umwelt, Tierwohl und Gesundheit. Diese Fehler muss die Aquakultur in Zukunft vermeiden, fordert Müller-Belecke.
Forscher entwickeln Tierwohlstandards für Fische
Allerdings: "Die Aquakultur ist da vielleicht noch schwieriger zu händeln. Bei der Aquakultur ist die Haltungsumwelt das Wasser. Wir können nicht mit den Fischen reden, wir können sie schlechter sehen, als es in der Landtierhaltung der Fall ist.
Trotzdem aber lassen sich Tierwohlkriterien festlegen, glaubt der Wissenschaftler. Er hat mit seinen Kollegen für den Zander schon einmal eine Liste zusammengestellt, die umfasst 18 Punkte. Von der Wasserqualität, wie pH-Wert und Ammoniumanteil, über Besatzdichten bis hin zum Kiemen- und Flossenzustand.
"Wir haben versucht für den Zander einen sogenannten Tierwohl-Index zu entwickeln, wo wir in Gesprächen mit Experten und Praktikern nach Parametern gesucht haben, mit denen wir das Tierwohl so gut wie möglich abbilden können. Es ist ein Ansatz, der Schwächen hat, weil einfach die Unterhaltung mit dem Fisch kann man nicht führen, man kann ihn ja nicht fragen: 'Wie geht es Dir?' Das wäre schön." Und bleibt eine Illusion.
Klasse statt Masse, regional statt global
Mit dem Verbraucher aber lässt sich kommunizieren. Und da sieht Müller-Belecke auch die große Chance für die Aquakultur in Deutschland. Auf der einen Seite anonyme Importware, deren Produktion sich nur selten nachvollziehen lässt, auf der anderen Seite Zuchtfisch aus kleinen- und mittelgroße Anlagen. Für die Fischfreunde vor Ort.
"Wir machen es klein aber fein. Und versuchen über die Direktvermarktung Premiumpreise zu erzielen. Und dabei müssen wir natürlich dann auch Premiumprodukte liefern. Wir können das als superfrische Produkte anbieten, die qualitativ hochwertig produziert werden können in unseren Haltungseinheiten."
Und das müssen nicht immer Hightech-Kreislaufanlagen sein. Auch die traditionelle Teichwirtschaft erweitert immer mehr ihr Angebot. Eine fischige Innovation hatte Müller-Belecke erst vor zwei Wochen auf dem Teller.
"Es war ein sogenannter Emmafisch. Eine Kreuzung aus Karpfen und Karausche, der sehr gut in der klassischen Teichwirtschaft aufzuziehen ist. Das war ein Genuss. Er ist schon marktgängig in der sächsischen Lausitz, der hat sich bewährt, weil er gut beschuppt ist und den Kormoranen, die uns da große Schwierigkeiten machen, etwas einfacher entwischen kann, durch ein sehr straffes Schuppenkleid können die Kormorane ihn nicht mehr so einfach greifen. Und das lohnt sich für die Teichwirte dort."