Über Brendan Simms "Hitler: Eine globale Biographie"

"Die Geschichte muss nicht umgeschrieben werden"

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Buchcover: "Hitler: Eine globale Biographie" von Brendan Simms. Zu sehen ist ein historisches Militärfoto.
Brendan Simms 1056-Seiten-Buch rückt Hitlers Haltung gegenüber Großbritannien und Amerika ins Zentrum. © Deutsche Verlags-Anstalt
Winfried Sträter im Gespräch mit Florian Felix Weyh · 09.05.2020
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Hitler habe mehr mit den USA und Großbritannien auf Augenhöhe sein wollen als mit Russland, behauptet Brendan Simms in seiner umfangreiche Hitler-Biografie. Unser Rezensent bezweifelt diese These und sieht die Stärken des Buches woanders.
Brendan Simms Biografie über Adolf Hitler ist im April direkt auf Platz eins in die Sachbuchbestenliste von Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Die Zeit" eingestiegen. Der Professor für Geschichte an der Universität Cambridge breitet auf über 1000 Seite eine neue These zu Hitlers Motiven auf und stellt dabei Großbritannien und die USA stärker in den Vordergrund als andere Historiker.
Der Deutschlandfunk Kultur-Redakteur Winfried Sträter ist im Haus der Mann für alles Historische. Und dennoch habe eigentlich gar keine Lust gehabt, auch noch diese Hitler-Biografie zu lesen. Das Interesse sei dann beim Lesen aber aus einem speziellen Grund gewachsen: "Er nähert sich dieser Figur Hitler auf eine Weise an, wo man mal außen vorlässt, was für Furchtbares der alles angerichtet hat." Das wisse man ja alles, so Sträter. "Er versucht erstmal diese Figur zu verstehen, so ein bisschen wie in den 70er-Jahren der berühmte BKA-Chef Horst Herold, der versucht hat, Andreas Baader, den Top-Terroristen, zu verstehen, damit er ihn berechnen und erklären kann. Dieses Moment, das hat mich tatsächlich interessiert und deswegen habe ich auch mit Interesse gelesen."

Geschichte muss nicht umgeschrieben werden

Die Verlagsankündigung findet Sträter sehr vollmundig. "Man muss nicht die Geschichte immer umschreiben, wenn man einen anderen Aspekt in den Vordergrund zieht", ruft Sträter zu etwas mehr Zurückhaltung auf. "Simms zieht in den Vordergrund, dass Hitler sich vor allem abgearbeitet hat an den Briten und den Amerikanern." Die Sowjetunion habe Hitler geringgeschätzt, sein Anti-Bolschewismus habe laut Simms nicht im Vordergrund gestanden. Ihn überzeuge das nicht ganz, sagt Sträter zu den Erklärungen des Cambridge-Historikers. "Er kriegt es auch nur deswegen als Leitmotiv nur hin, weil er den Anti-Bolschewismus von Hitler kleiner redet als er wirklich gewesen ist."
Es sei richtig, dass in der Geschichtsschreibung dieser Aspekt – "dass Hitler tatsächlich sehr stark die Engländer und die Amerikaner bewundert hat und eigentlich mit ihnen auf Augenhöhe sein wollte" – nicht so viel Aufmerksamkeit gefunden habe, sagt Sträter. Simms zufolge habe Hitler die Sowjetunion Hitler hingegen für leichte Beute gehalten, wo er sich die großen Räume holen wollte, die die Amerikaner in Nordamerika und die Briten mit ihren Kolonien geholt hätten. Der Erklärungsansatz erkläre zwar etwas, meint Sträter, man müsse aber deswegen die Geschichte nicht umschreiben. "Es ist eine Facette."

Wahnvorstellungen in Dauerschleife

Die Schilderungen von Simms seien einerseits mitunter auch ermüdend, weil der irische Historiker die ganzen Phrasen von Hitler aus den 20er-Jahren, als Hitler ein Nobody gewesen sei und sich allmählich bis ins Zentrum der Macht vorarbeite, wiederhole, vielleicht auch gezwungenermaßen: "Hitler wiederholt ja ständig seine Wahnvorstellungen", sagt Sträter. "Und es ist dann ermüdend, dass man es auch immer wieder bei Simms liest."
Obwohl dieser Aspekt aber gar nicht Simms großes Thema sei, liefere der Ire da aber andererseits Stoff. "Dieser Aspekt ist genau unser gegenwärtig interessantes Thema", findet Sträter. "Wir haben sehr verrückte Leute, die politisch an die Macht streben – wie Höcke – und die an der Macht sind – wie Trump. Und dieses Phänomen – man hat aberwitzige politische Vorstellungen und ist eigentlich von politischem Wahn gefangen – und trotzdem hat man einen großen Resonanzraum und kann sogar an die Macht kommen." Das historisch zu erklären mit Hitler sei ein großes Thema und noch mal neu zu bespielen, meint Sträter.
Sträter sagt, einer weiteren großen Hitler-Biografie hätte es nicht bedurft, weil die von Ian Kershaw nicht überholt sei. Joachim Fests Biografie sei aus einer anderen Zeit: Fest versuche, die Interaktion des Menschen und Politikers Hitler und dem deutschen Volk mit dessen Sehnsucht nach so etwas zu erklären, dies komplexe Phänomen erkläre Fest noch besser, findet Sträter. Allerdings findet er ein anderes Werk noch besser als diese dicken Wälzer, ein kleines Büchlein: Sebastian Haffners "Anmerkungen zu Hitler" sei wirklich unübertroffen, so Sträter.
(mfu)

Brendan Simms: "Hitler. Eine globale Biographie"
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt
DVA, München 2020
1056 Seiten, 44 Euro

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