Tim Finch: "Friedensgespräche"

Diplomatie und Trauerarbeit

06:31 Minuten
Das Buchcover zeigt den Autorennamen und Buchtitel in roter Schrift, dazwischen ist eine gezeichnete Bergkette zu sehen.
© Rowohlt Verlag

Tim Finch

Übersetzt von Johann Christoph Maass

FriedensgesprächeRowohlt, Hamburg 2022

224 Seiten

22,00 Euro

Von Samuel Hamen · 31.01.2022
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Edvard Behrens soll zwei zerstrittene Delegationen versöhnen und sucht privat selbst vergeblich nach Frieden mit seiner verstorbenen Ehefrau. Einblicke ins Tagebuch eines lateinverliebten Diplomaten.
In den Schweizer Bergen, dort, "wo die Luft so dünn und schwindelerregend ist fast wie Lachgas", soll der Durchbruch in den titelgebenden Friedensgesprächen gelingen. Die Treffen zwischen zwei Delegationen aus einem namentlich nicht genannten Land aus dem Nahen Osten werden von Edvard Behrens geleitet, einem langgedienten und respektierten Diplomaten. Die Themen sind heikel, es geht um Massaker und Menschenrechtsverletzungen, derer sich beide Lager bezichtigen.

Politische und private Versöhnung gesucht

Gleich auf den ersten Seiten wird allerlei in Stellung gebracht, um den Anspruch des Romans zu markieren: Angereiste Berichterstatter lesen Thomas Manns "Der Zauberberg", Behrens wird eine Ausgabe des Korans samt Widmung ("in der Hoffnung auf Frieden") geschenkt.
Von den Verhandlungen erfährt der Leser durch Behrens' Tagebucheinträge, in denen schnell klar wird, dass die 57-jährige Hauptfigur ein weiteres Friedensgespräch führt: mit seiner verstorbenen Frau Anna, einer renommierten Ärztin.
Das Große und das Kleine unterscheiden sich bei Finch nur im Maßstab, nicht in der Sache: Es geht in beiden Fällen darum, einen zukunftsfähigen Weg einzuschlagen und Versöhnung nicht als bloße Idee, sondern als gelebte Praxis zu verstehen.

Erzählebenen kommen einander ins Gehege

Die Parallelisierung führt dazu, dass weder der privaten Trauer noch der politischen Debatte Genüge getan wird. Die Verschränkung der Sujets führt zu deren jeweiliger Verflachung: Der Reiz, als (lesendes) Mäuschen an den Verhandlungen teilzunehmen und den Machtspielen beizuwohnen, verläuft sich in der staksigen Sprache des kunstaffinen und lateinverknallten Behrens.
Sobald die Außenwelt endlich mal interessant wird, wendet er sich zuverlässig seinem Innenleben zu. Die Verlustgeschichte wiederum wird eingezwängt in einen gesellschaftspolitischen Rahmen, der natürlich etwas mit Radikalisierung und Migration zu tun haben muss.

Von Heucheleien in der noblen Hotelbar

"Aber warum erzähle ich dir das alles?", schreibt Behrens in sein Tagebuch, das zum Roman werden wird. Es bleibt unklar, wen er damit ansprechen möchte. Seine Frau? Den Leser? Seine trauergeschundene Seele? Nicht nur auf diese Frage weiß "Friedensgespräche" keine Antwort zu geben.
Das diplomatische Welt-Parkett verharrt im Halbdunkel. Die Bezüge zwischen Privatem und Politischem verheddern sich in einer unangenehm plakativen Parabel samt Enthauptungen und Islamisten, die eigentlich Rechtsextremisten sind.
Die Heuchelei, mit der in High-End-Räumen über Massaker verhandelt wird, handelt Finch mit schmalen, longdrink-benetzten Lippen ab: ein Brandy in der First-Class-Lounge, ein Kommentar zu Privilegien, gefolgt vom "Schlummertrunk" in der 5-Sterne-Hotelbar.

Geschwätziger Text führt zu Überdruss

Letztlich entzaubert sich in dieser Fiktion ein Schriftsteller-Diplomat selbst: Jemand, dessen Leben aus feinsinniger Etikette und rhetorischen Nuancen besteht, legt einen mal selbstgefällig vergeistigten, dann wieder belanglos geschwätzigen Text vor, veredelt diesen dann durch das Label einer literarischen Trauerarbeit. Wer möchte schon etwas gegen einen zwar sehr unsympathischen, aber auch sehr einsamen Witwer sagen?
Das alles ist "ad nauseam, nicht allerdings ad infinitum" fadenscheinig, um in Behrens' Jargon zu bleiben. Finchs Friedensgesprächen ist man in der Tat schnell überdrüssig.
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