Craig Whitlock: „Die Afghanistan Papers“

Krieg ohne Ziel

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Cover des Buchs "Die Afghanistan Papers" von Craig Whitlock. Der Titel steht mittig auf dem Cover in weißen Großbuchstaben vor schwarzem Hintergrund. Diese schwarze Fläche ist eingerahmt von weißen Dokumenten.
© Econ Verlag

Craig Whitlock

Übersetzt von Ralf Vogel, Stephan Gebauer, Christiane Frohmann und Ines Bergfort

Die Afghanistan Papers. Der Insider-Report über Geheimnisse, Lügen und 20 Jahre KriegEcon Verlag, Berlin 2021

400 Seiten

24,99 Euro

Von Jasamin Ulfat-Seddiqzai |
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In den „Afghanistan Papers“ untersucht der Journalist Craig Whitlock einen Krieg, über den viel geschrieben, der aber wenig verstanden wurde. Seine scharfe Analyse zeigt eine kopflose Politik, welche die Taliban stärker machte, als sie je waren.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass die Taliban das ganze Land überrennen und die Macht ergreifen, geht gegen Null“, verkündete Präsident Joe Biden noch am 8. Juli 2021 und wurde bereits Mitte August eines Besseren belehrt. Diese Fehleinschätzung ist bezeichnend für einen Krieg, der von Anfang an auf einem fragwürdigen Fundament stand.

Ein sehr spontaner Krieg

Die Afghanistan Papers beginnen mit dem 11. September 2001. Drei Tage nach dem Anschlag, während die Welt noch in Schockstarre verharrte, erteilte der US-Kongress der Bush-Administration eine weitgefasste „Erlaubnis, gegen al-Qaida und jeden Staat in den Krieg zu ziehen, der dem Terrornetz Zuflucht gewährte“. Zwei Jahre nach Beginn des Kriegs schreibt der mittlerweile verstorbene Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in einem Memo an seinen Nachrichtendienstchef, dass ihm immer noch nicht klar sei, wer in diesem Krieg eigentlich „die Bösen“ sind. Diese Bildungslücke zieht sich durch den gesamten Krieg.
Dabei war die Mission anfangs noch klar: Man wollte al-Qaida zerschlagen und ein zweites 9/11 verhindern. Whitlock schildert eindringlich, wie sich dieses simple Ziel innerhalb der nächsten Monate auflöste, mal Terrorbekämpfung und dann wieder Nation-Building im Vordergrund stand.
Besonders anschaulich beschreibt Whitlock eine Szene, in der Rumsfeld den politischen Staatssekretär im Pentagon Douglas Feith anweist, die Kriegsstrategie innerhalb von nur vier Stunden vollständig umzustrukturieren. Eine Aufgabe, die „normalerweise mehrere Monate in Anspruch genommen und ungezählte Mitarbeiter beschäftigt hätte“, beschreibt Feith im Nachhinein so, als „würde man vor einem Examen an der Uni die Nacht durchbüffeln“.

Unnütze Arabischkurse und Schulgebäude

Nicht nur die Formulierung eines Kriegsziels wurde versäumt, auch einzelne Projekte zeigen den Afghanistankrieg als eine Serie von Fehlern. Da wurden Schulgebäude in Gegenden gebaut, in denen es gar keine Kinder gibt. Amerikanische Truppen wurden zur Einsatzvorbereitung in Arabischkurse geschickt, obwohl man in Afghanistan kein Arabisch spricht. Und bunte Fußbälle mit der Aufschrift „Frieden und Einheit“ wurden als großer Erfolg psychologischer Kriegsführung gefeiert, weil man glaubte, die Kinder seien an der Botschaft interessiert. Dass Kinder Fußbälle eher kicken als lesen, wurde ausgeblendet.
Rumsfelds Verwirrung über die „Bösen“ löste auch die Obama-Administration nicht. Im Kampf gegen die Taliban schloss die US-Armee Bündnisse mit Kriegsverbrechern, Vergewaltigern und Drogenbossen und verlor so jede Glaubwürdigkeit. Geld versickerte in Schulen und Fabriken, die nur auf dem Papier existierten. Obama wollte die Fehler der Bush-Regierung mit mehr Truppen und noch mehr Geld wettmachen. Dafür belebte man sogar das Märchen vom „trickle-down-Effekt“, der sich natürlich nie einstellte.
Letztlich war der Afghanistankrieg nicht mehr als ein Goldesel für einige korrupte Afghanen, und für amerikanische und internationale Firmen, die schnell verstanden, wieviel Geld sich mit vorgetäuschten Projekten stehlen ließ. Die Welt hat diesen Krieg mit Steuergeldern bezahlt, das afghanische Volk mit Leid und dem eigenen Leben.
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