Teff

Kommt die äthiopische Superhirse bald nach Deutschland?

29:51 Minuten
Eine Schale mit ungekochter Hirse
Aus Teff wird Äthiopiens Nationalspeise Injera gemacht. Auch in Deutschland erfreut sich das Getreide einiger Beliebtheit. © Eyeem / Ekaterina Fedotova
Von Florian Felix Weyh · 17.10.2022
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Anspruchslos, hitzeresistent, nährstoffreich: Das äthiopische Nationalgetreide Teff könnte auch hierzulande wachsen. Doch Äthiopien gibt kein Saatgut heraus – weil das Land mit einem fragwürdigen europäischen Biopatent über den Tisch gezogen wurde.
„Ich kannte Teff aus meinem Privatleben nicht“, erzählt Anton Horn. „Ich hatte einen guten Freund aus Äthiopien, aus Studienzeiten, und der war mittlerweile Director General des Ethiopian Intellectual Property Offices geworden, also quasi Leiter des äthiopischen Patent- und Markenamtes. Der hat mich eines schönen Tages im Jahr 2016 angerufen und mir von diesem Fall erzählt und hat mich gebeten, mal in die Akten des Europäischen Patentamtes hineinzugucken. Schon nach einer halben Stunde erschien mir das ein bisschen komisch, was da passiert war.“
Anton Horn aus Düsseldorf ist Patentanwalt.
„Dann habe ich mich mit meiner Sekretärin besprochen, die mir gleich sagte: ‚Teff? Ja natürlich, das kenne ich! Das ist für mich unglaublich wichtig, ich bin nämlich gluten-intolerant, und für mich ist Teffmehl ganz wichtig und ganz lecker, es ist bloß leider so wahnsinnig teuer! Und wenn Sie es schaffen, Herr Horn, dass das Teffmehl billiger wird, dann bin ich Ihnen dankbar.‘“

So klein wie Sandkörner

Teff – je nach Sprachraum mal mit einfachem, mal mit Doppel-F geschrieben, wissenschaftlicher Name Eragrostis tef oder Eragrostis abyssinica, ist eine Pflanze aus der Familie der Süßgräser. Zu den Eragrostis gehört die Untergruppe der Hirse, deren Nennung uns signalisiert: Da gibt's was zu essen! Allerdings etwas, für das bei Teff die korrekte Bezeichnung "Zwerghirse" fast noch schmeichelhaft groß erscheint, wie Tsion Assefa Bellete demonstriert, als sie in ihrem Münchner Restaurant eine Schale auf den Tisch stellt:
"Sieht wie Sand aus, aber das ist ein Getreide. Das ist das kleinste Getreide von der Welt. Also das ist ganz klein und wird gemahlen."
Danach beginnt die Herstellung des Injera, des äthiopischen Fladenbrots.
"Wir tun nur noch Wasser dazu, und nach drei Tagen wird das fermentiert. Und dann wird das auch sauer", sagt Tsion Assefa Bellete. "Man schmeckt auch diesen sauren Geschmack im Mund. Man nimmt ein Stück Fladenbrot, und dann nimmt man ein bisschen was von der Soße."
Porträt Tsion Assefa Bellete.
Im Restaurant der Äthiopierin Tsion Assefa Bellete gibt es Gerichte mit Teff.© Florian Felix Weyh
"Teff stammt ursprünglich aus Äthiopien und ist eine Pflanze mit sehr kleinen Samen", erklärt der Molekularbiologe Zerihun Tadele. "Das Getreide wird von etwa 17 Millionen Menschen in Äthiopien konsumiert und auf über drei Millionen Hektar Land angebaut."
Zerihun Tadele von der Universität Bern ist einer der ganz wenigen Teff-Experten weltweit. Einerseits erstaunt das nicht. Wer kennt schon Teff, außerhalb von Tadeles äthiopischer Heimat? Anderseits aber hat Teff, das zu den "orphan and underutilized crops", zu den wenig studierten Kulturpflanzen gehört und in den Statistiken der Welternährungsorganisation nur unter ferner liefen rangiert, dieses Teff hat das Zeug zu einer Story – zur Teff-Story!

Weltrekorde dank Teff?

Berlin-Marathon 2019, Ergebnisse. Männer: Platz eins Kenenisa Bekele. Platz zwei Birhanu Legese. Platz drei Sisay Lemma. Frauen: Platz eins Ashete Bekere, sowie Platz zwei: Mare Dibaba – alle fünf aus einem einzigen afrikanischen Land: Äthiopien.
"Man hört auch in Äthiopien von vielen Leuten immer wieder, wie stolz sie darauf sind!", sagt die Filmemacherin Dorothee Wenner, die oft ans Horn von Afrika reist. "Dann ist es immer diese Mischung aus 'Unsere Herzen haben sich so erweitert dadurch, dass wir so hoch leben'. Aber dieses Injera, und dadurch, dass die seit mehreren Tausend Jahren Teff essen, führt dazu, dass sie heute die Weltmeister in jedem Marathonlauf sind, also diese unglaubliche sportliche Effektivität! Mal abgesehen davon, dass man auch viele Leute ewig rennen sieht."
Dorothee Wenners aktuelles Projekt beschäftigt sich mit dem landwirtschaftlichen Wissenstransfer von Europa nach Afrika und von Afrika nach Europa. Nicht grundlos trägt es den Titel "Teff Club". Denn Teff ist ein auf beiden Seiten begehrtes Produkt, und der Zusammenhang von äthiopischen Läuferkarrieren mit Teffmehl als äthiopischem Grundnahrungsmittel wird nicht nur von den Sportlern selbst betont.
"Da Teff nur einen niedrigen glykämischen Wert besitzt, stellt es über einige Stunden Energie in Form von Glukose in einer für den Körper leicht zu verarbeitenden Weise zur Verfügung", heißt es – etwas vereinfacht ausgedrückt – in einem Schulungspaper für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit der katholischen Kirche.
"Zusätzlich sorgt der sehr hohe Eisengehalt von Teff für eine Erhöhung der roten Blutkörperchen. Diese binden den Sauerstoff schneller, was wiederum zu verbesserter Ausdauer und athletischen Leistungen führt."[1]

Ein gefundenes Fressen für westliche Ernährungsachtsamkeit

"Ich kenne den wissenschaftlichen Hintergrund nicht genau", sagt der Molekularbiologe Zerihun Tadele. "Aber ich denke, am wichtigsten ist die Frage, woher sie kommen, wo sie ihr Training machen. Die Äthiopier trainieren nahe Addis Abeba auf 2500 Metern Höhe. Dort ist die Sauerstoffsättigung anders, und wenn sie dann gegen jemanden aus dem Flachland antreten, gewinnen sie leicht. Meiner Meinung nach ist das entscheidend – die Ernährung macht nicht den Unterschied!"
Ob echte Kausalität oder populärer Mythos – der Teff-Marathonsieg-Zusammenhang passt jedenfalls in die Wertschätzung, die das äthiopische Urgetreide in der westlichen Welt erfährt. Genauer: in der Welt westlicher Ernährungsachtsamkeit, also überall dort, wo man sich gesund, ausgewogen und ein bisschen exklusiver verköstigen will. Die inneren Werte von Teff klingen jedenfalls fantastisch:
"Teff enthält alle essenziellen Aminosäuren, auch solche, die im Weizen und anderen Getreidesorten, wie Roggen oder Hafer, nicht oder nur unzulänglich vorkommen, beispielsweise Lysin. Aufgrund seiner Eiweißzusammensetzung sind alle Mineralstoffe (…) optimal verfügbar. Die niedrige Rate von Osteoporosekrankheiten in Äthiopien wird dem Verzehr von Teff zugeschrieben. Zudem ist es absolut glutenfrei und damit für Allergiker, die auf Gluten reagieren, von besonderer Bedeutung."[2]
Solchen Menschen dient Teff als Alternative zu Reis, Mais und exotischen Getreidesorten. Mithin kein Massengeschäft, aber ein interessantes Nischenprodukt für spezialisierte Anbieter. Die Perspektive äthiopischer Bauern auf ihr Grundnahrungsmittel ist indes seit jeher eine andere und lautet: Was gibt unser Klima und unser Boden überhaupt her?
Das ist der springende Punkt, denn auch in Europa rückt diese essenzielle Frage immer mehr in den Mittelpunkt: Was werden unsere Böden in Zukunft noch hergeben?

Eine Pflanze, die auch bei Trockenheit wächst

"Teff könnte für uns seine völlig neue Kulturpflanze bedeuten. Etwas, was wir ja ganz selten haben", sagt die Agraringenieurin Regina Asendorf von der Niedersächsischen Landwirtschaftskammer Hannover.
"Darauf gekommen sind wir in dem Zuge, dass wir uns über Klimafolgenanpassung Gedanken gemacht haben und was wir da machen könnten. Und gerade im Nordosten Niedersachsens haben wir sehr viel leichte Böden und oft auch zu geringen Niederschlag. Wir müssen viel beregnen. Niedersachsen ist das Bundesland mit der meisten Beregnung. Und insofern schien uns eine Pflanze, die eine gewisse Trockenresistenz versprach, ganz interessant."
Blick auf ein Teff-Feld in Äthiopien mit Heuballen und Ziegen.
Was in der äthiopischen Trockenheit wächst, könnte auch auf Niedersachsens trockenen Böden gedeihen, dachte sich Regina Asendorf.© www.imago-images.de
Letztlich sei sie durch einen Zufall auf Teff gekommen, sagt Asendorf:
"Ich habe eine Sendung darüber gesehen, im Fernsehen, und da wurde diese Pflanze vorgestellt, und anhand der Kriterien, die genannt wurden, habe ich dann gesagt: 'Okay, das könnte auch für Niedersachsen passen!' Einmal wird sie in sehr großer Höhe angebaut in Äthiopien, bei einem Niederschlag von 450 bis 55 Millimeter und einem Temperaturbereich von 10 bis 27 Grad. Also im Sommer durchaus vorstellbar bei uns. Sie verträgt Dürreperioden und auch Staunässe und ist sehr anspruchslos. Und vor allem ist es eine sehr extensive Pflanze, das heißt, sie braucht nur geringe Düngegaben und wenig Pflanzenschutz."
Obwohl das niedersächsische Uelzen auf keinem Hochplateau liegt, ließ Regina Asendorf dort von 2010 bis 2013 Versuchsfelder mit Teff anlegen und erzielte respektable Ergebnisse. Verglichen mit hochgezüchtetem Brotgetreide erbringt die Graspflanze natürlich viel geringere Erträge, doch dafür fallen die Einzelhandelspreise für Teffmehl höher aus als die von Roggen- oder Weizenmehl – nämlich derzeit zwischen 8 und 10 Euro pro Kilo. Durch niedrige Erzeugerkosten – keine Beregnung, kaum Düngung – könnten somit auch deutsche Landwirte von der exotischen Pflanze profitieren. Doch ganz so komplikationslos sollte die Sache nicht verlaufen.

Das Problem: Auf Teff lag ein Patent

"Wir sind ja relativ naiv auch in die Sache reingestolpert, weil wir einfach nur gesagt haben: 'Superkultur, das klingt gut, das bauen wir an!' Wir wussten am Anfang ja gar nicht, dass es dies Patent gibt!", sagt Regina Asendorf.
Dabei dürfte das eigentlich nicht sein:
"Patente auf Pflanzen sind eindeutig nicht erlaubt, das sagt Artikel 53 des Europäischen Patentübereinkommens," betont Patentanwalt Anton Horn.
"Genauso übrigens wie medizinische Behandlungsmethoden. Die beiden Basisbedürfnisse des Menschen, Pflanzen und Heilbehandlung, darauf gibt es keine Patente. Auf Pflanzensorten, darauf kann es Sortenschutzrechte geben. Aber keine Patente!"
"Sortenschutz", den man für Pflanzenvarianten geltend machen kann, bezeichnet die vom Bundessortenamt verwaltete Privilegierung wirtschaftlicher Interessen eines Züchters. Im Gegensatz zum Patent, das lediglich den Eigentumsgedanken betont, enthält der Sortenschutz noch einen Gemeinwohlaspekt. Zunächst besitzt der Inhaber eines Sortenschutzrechtes – wie beim Patent – alle Nutzungsbefugnisse.
Wenn er beispielsweise Saatkartoffeln an Landwirte verkauft, kann er von ihnen eine Lizenzgebühr verlangen – auch für jene Kartoffeln, die zur neuen Aussaat verwendet werden und eigentlich vom Bauern selbst erzeugt wurden.

Patente auf Pflanzen wirken sozialschädlich

Gewinnt jemand allerdings aus der geschützten Sorte eine grundlegend neue Variante, muss er dafür dem Züchter der Ausgangssorte nichts bezahlen. Ja, er kann die neue Sorte sogar auf sich anmelden und seinerseits Nutzungslizenzen vergeben.
Dieser sogenannte "Züchtervorbehalt" soll Wege offenhalten, pflanzliche Nahrungsmittel weiterzuentwickeln, und sie eben nicht auf Zeit zu monopolisieren, wie es beim Patentrecht der Fall ist. Als man vor etwa 90 Jahren die ersten Sortenschutzgesetze in den USA und Europa etablierte, erkannte man also durchaus, dass sich das Patentrecht an dieser Stelle sozialschädlich auswirken würde.
Und doch wurde Teff, das sich durch archäologische Funde schon 4000 Jahre vor Christi als menschliche Kulturpflanze nachweisen lässt, durch ein europäisches Patent aus dem Jahr 2007 blockiert. Eine niederländische Firma galt seither als einzig vom Patentrecht begünstigte "Erfinderin" dieses Naturprodukts. Lässt sich dieser Vorgang überhaupt irgendwie erklären?
"Doch, das kann ich erklären!", meint der Patentanwalt. "Und zwar ist es eigentlich ein Phänomen, das man häufig antrifft: Ein unbekanntes Produkt, hier also Teff, wird kombiniert mit irgendetwas Technischem, und diese Kombination gibt es so noch nicht beschrieben, und deswegen war es halt hier die 'Fallzahl', die der Anmelder genommen hat. Die 'Fallzahl' ist letztlich nur eine Aussage über die Fähigkeit zur Verkleisterung. Also dass Mehl zu Teig wird und dass dann die Backware zusammenbleibt und nicht auseinanderbröselt. Und diese 'Fallzahl', ein technischer Parameter, hat der Anwender kombiniert mit dem Teffmehl."
Eine echte Erfindung versteckt sich nirgendwo in diesem Patent, denn Teff wurde schon immer gemahlen, und die "Fallzahl" – vereinfacht ausgedrückt ein Kennzeichen der Mehlqualität –, spielt bei Brotgetreiden eine Rolle, bei Teff überhaupt nicht, weswegen sie nirgends je ermittelt und niedergeschrieben wurde. In diese Lücke stießen die niederländischen Geschäftsleute, denn beim Europäischen Patentamt wird der Neuheitswert nicht mit einer Jahrtausende alten Praxis abgeglichen, sondern rein nach Aktenlage bestimmt. Patentanwalt Anton Horn:
"Der Prüfer beim Europäischen Patentamt kannte diese Kombination aus eigener Anschauung nicht, weil Teff ja auch in Europa jetzt nicht so bekannt ist", sagt Horn. "Und er fand es anscheinend auch nicht in seinen Datenbanken. Und deswegen war es für ihn aus seiner Sicht, wenn er auf seinen Bildschirm guckte, anscheinend neu! Und dann dachte er sich anscheinend: 'Ja, dann ist es wohl eine Erfindung!'"

Die Einspruchsfrist war fast vorbei

Selbstredend ist gegen Erfindungsanmaßungen ein Einspruch möglich, doch der unterliegt einer Frist. Für die 2007er-Patentbewilligung war sie fast abgelaufen, als Regina Asendorf von der Niedersächsischen Landwirtschaftskammer überhaupt Wind von der Sache bekam.
"Das war zwei Wochen vor Ablauf der Frist, und wir haben so was noch nie gemacht", sagt sie. "Das war alles furchtbar knapp! Wir haben es trotzdem versucht, weil wir der Meinung waren, dass sowas nicht Schule machen darf, das ist ein Unding! Aber wir haben eben keinen Erfolg gehabt, leider!"
"Der Einspruch wurde auf einen einzigen Einspruchsgrund gestützt, nämlich auf den Einspruchsgrund der sogenannten "mangelnden Ausführbarkeit", erklärt Patentanwalt Horn. "Die 'mangelnde Ausführbarkeit' besagt sinngemäß: Wenn jemand dieses Patent liest, weiß er nicht, was er machen soll! Und weil er nicht weiß, was er machen soll, kann es keinen Schutz genießen. Und die anderen üblichen Einspruchsgründe – nämlich, es ist gar nicht neu und es ist gar keine Erfindung – wurden nicht geltend gemacht. Und das Europäische Patentamt kam zu der Auffassung: Doch, man kann schon verstehen, was gemeint ist! Und deswegen wurde dieser konkrete eine Einspruchsgrund als nicht begründet angesehen."
Ähre der Zwerghirse Teff
Teff ist nährstoffreich - aber ist es auch "Superfood", wie manche glauben?© imago / imagebroker / Günter Fischer
Damit war Teff als mitteleuropäische Kulturpflanze in spe erledigt, denn das niederländische Verarbeitungspatent blockierte indirekt auch alle Anbauprojekte. Regina Asendorf stellte ihre Versuche ein, in Reformhäusern und Bioläden blieb Teff teuer, was wiederum das wirtschaftliche Interesse daran wachhielt, wie der Berner Molekularbiologe Zerihun Tadele als einer der wenigen Saatgutbesitzer zu seiner Verwunderung bemerkte:
"Ein Haufen Bauern aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich kamen, einmal sogar jemand mit einem Lkw, um Teff-Saatgut abzuholen. Ich sagte ihm: 'Ich habe nur ganz kleine Mengen in Papiertüten, die kann ich Ihnen nicht geben!' Er hatte acht Hektar Land und wollte darauf Teff anbauen. Es gibt eine große Nachfrage. Alle wollen anbauen."

Superfood - das bezweifelt der Ernährungsforscher

Warum eigentlich? Weil Teff als "Superfood" gilt. Ein Begriff, den der Mediziner Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam nicht so recht mag:
"Superfood ist kein wissenschaftlich günstiger Begriff! Es braucht keine Superfoods, und ich finde auch, es gibt keine Superfoods! Die gesündeste Ernährung, die wir wählen können, ist eine, die vielseitig ist, die sich nicht auf irgendeine besondere magische Substanz stützt, sondern die aus der Fülle an ganz verschiedenen Lebensmitteln das Optimum generiert. Und all diese Superfoods, die so beworben werden, die haben durchaus einen etwas höheren Gehalt an bestimmten Vitaminen, bestimmten Fettsäuren, bestimmten Mineralien. Das gilt aber für eine Fülle anderer Lebensmittel genauso, die dieses Label nicht haben, und deswegen ist dieser Begriff völlig unnütz!"
Für Goji-Beeren ebenso wie für Avocados, Chiasamen und natürlich auch für Teff:
"Teff ist von der Zusammensetzung allen anderen Getreiden ziemlich ähnlich", sagt Kabisch. "Es enthält eben kein Gluten, dafür aber andere Eiweiße. Der Gesamteiweißgehalt ist nicht so abweichend, der Ballaststoffgehalt ist nicht so abweichend. Es gibt ein paar kleine Unterschiede bei Mineralien, beim Vitamin E."
Aber nichts, was den Ernährungsplan der Mitteleuropäer grundstürzend verändern könnte, so Stefan Kabisch. Bleibt der erwähnte niedrige glykämische Index, eine Kennzahl, wie schnell sich Kohlenhydrate auf den Blutzuckerspiegel auswirken. Je niedriger, desto langsamer – desto länger hält auch das Sättigungsgefühl an. Allerdings:
"Zwischen den Getreiden sind die Unterschiede da nicht so groß. Der größere Unterschied: Vollkorn gegen Weißmehl."
Und heimisches Vollkorn hat auch Vorteil der Regionalität.
"Wir brauchen nicht jedes denkbare Lebensmittel aus allen Ecken der Welt!", meint Kabisch. "Für bestimmte Lebensmittel ist es völlig in Ordnung, wenn die in kleinem Maße produziert werden, wenn die nur regional verzehrt werden, wenn die eben nicht überall auf dem Teller auftauchen!"

Äthiopien verhängte ein Teff-Ausfuhrverbot

"Der Export von Injera ist nicht limitiert. Bei Äthiopiens stark negativer Handelsbilanz ist die Regierung anscheinend an allen Exporten interessiert"[3], heißt es in einem Übersichtsartikel zu Teff in der "Schweizerischen Zeitung für Ganzheitsmedizin" vom August 2016.
Sehr wohl limitiert war allerdings lange Zeit der Export von Teff an sich.
"2006 befürchtete die äthiopische Regierung, dass die Tef-Produktion den einheimischen Bedarf nicht mehr deckt, und verhängte ein Ausfuhrverbot sowohl für Tef-Körner als auch für Tef-Mehl."
Jeder wolle Teff importieren, sagt Zerihun Tadele. "In der Schweiz, Deutschland, den USA. Aber die Regierung erließ Beschränkungen, weil sie den Preisanstieg befürchtete und dass Teff für die Verbraucher damit unbezahlbar werde."
"Anfang Juli 2015 hob Äthiopien das Exportverbot für Tef teilweise wieder auf und erlaubte 48 Landwirtschaftsbetrieben, (…) Tef für den Export anzubauen"[4], heißt es in der "Schweizerischen Zeitung für Ganzheitsmedizin" vom August 2016.

Nur 4000 Euro Ausgleichszahlung für Äthiopien

In diesen elf Jahren zwischen 2006 und 2015 spielte sich eine zentrale Episode der Teff-Story ab, die das Bild ein bisschen verändert. Einerseits gab es zwar ein europäisches Patent, das eine regionale Bioressource weitgehend blockierte – andererseits aber schlossen die Patentinhaber einen sogenannten ABS-Vertrag mit der äthiopischen Regierung.
Ein ABS-Vertrag ist ein "access of benefit sharing", also ein Übereinkommen über die genetischen Ressourcen, indem man sich gegenseitig versichert, diese genetischen Ressourcen so zu nutzen, dass kein Nachteil für diejenigen entsteht, die diese Ressourcen besitzen, dass sie auch einen gewissen Vorteil davon haben", erklärt Regina Asendorf. "Dass zum Beispiel Zahlungen an die Ressourceninhaber daraus entstehen, aber auch der Austausch von Wissen." Der – zynisch formuliert – folgenden Erkenntniszuwachs erbracht haben dürfte: Ihr Ressourceninhaber der Dritten Welt werdet von uns, den Industriestaaten, über den Löffel balbiert!
"Es war so, dass dieser Teff-Fall eigentlich ein Vorzeigeprojekt dieser ABS-Verträge war! Und Äthiopien hat daran auch sehr viel mitgearbeitet. Und insofern war’s besonders bitter, dass ausgerechnet dieses Vorzeigeprojekt derartig gescheitert ist!
Denn was passierte? Gerade mal 4.000 Euro flossen der äthiopischen Regierung als Vorteilsausgleich zu, dann machte die niederländische Firma Pleite und übertrug das Teff-Patent an ein anderes Unternehmen. Dieses wurde von keinem ABS-Vertrag mehr zu irgendwas verpflichtet. Bingo! So einfach ließ sich ein "access of benefit sharing" aushebeln, um das gute alte Prinzip des Westens hochleben zu lassen, für das schon Abraham Lincoln ein einprägsames Bild gefunden hat:
"Das Patentsystem hat der Flamme des Genius den Brennstoff des Geldvorteils hinzugefügt."[5]
Doch Rettung nahte.

Anton Horns Klage hatte Erfolg

"Es gab ja schon Kongresse, internationale Kongresse zu diesem Teff-Patent", erklärt Anton Horn. "Es gab Anfragen beim Deutschen Bundestag, beim Europäischen Parlament. Das wurde schon lange auf politischer Ebene diskutiert. Es hat aber noch keiner auf die juristische Ebene gebracht, was man dagegen juristisch macht? Man hat sich ja darüber beschwert, dass es das gibt, war aber anscheinend noch nicht so weit, auch juristische Schritte dagegen einzuleiten."
Das tat – als Privatmann ohne Fremdmandat – der Düsseldorfer Patentrechtler Anton Horn. Auf welche Weise denn?
"In diesem Fall, weil das Patent schon erteilt war, ist der Fachbegriff 'Nichtigkeitsklage'. Und das ist dann in jedem Land, wo das europäische Patent gilt, separat einzulegen. Also, ich kann nicht durch eine zentrale Nichtigkeitsklage das gesamte europäische Patent mehr aus der Welt schaffen, sondern ich muss Land für Land vorgehen. Und ich hab’s dann halt in Deutschland gemacht."
Und er hatte Erfolg: Seit Sommer 2019 ist das deutsche Teff-Patent annulliert.
Warum aber ein Privatmann – freilich mit Expertise! –, warum keine NGO, kein Institut, keine Behörde?
"Wir haben mehrere Gesprächsrunden gehabt", erinnert sich Regina Asendorf. "Das Problem war eben, dass die Bundesregierung an sich – und die Ministerien – nicht klagen dürfen. Und das hätte uns 50.000 Euro gekostet, das konnten wir nicht so richtig verantworten."
Anton Horn sagt: "Ich habe schon eine Entscheidung des Bundespatentgerichts, dass der Gegner die Verfahrenskosten zu tragen hat. Nun ist dieses gegnerische Unternehmen in den Niederlanden wahrscheinlich nicht mehr existent, sobald ich diesen Zahlungsanspruch geltend machen werde. Sodass ich am Ende davon ausgehe, dass ich auf dem Geld sitzenbleibe."

Äthiopien will nicht wieder über den Tisch gezogen werden

Anfangs habe sie gar nicht gewusst, ob Teff tatsächlich Potenzial habe, sagt Regina Asendorf. "Ich konnte das schlecht beweisen. Und insofern hat die Kammer diese 50.000 Euro nicht aufbringen können. Das ist auch nicht ihre Aufgabe."
Doch jetzt... "Jetzt ist eigentlich der Weg frei", sagt sie. Aber es gibt kein Saatgut. Nicht für Niedersachsen, auch nicht für die trockenen Böden Brandenburgs oder Mecklenburg-Vorpommerns. "Alle haben gewonnen – nur ich hab kein Saatgut am Schluss. Ja, so ist das!"
Äthiopien lässt keine Teff-Samen aus dem Land, zu groß ist die Angst, noch einmal über den Tisch gezogen zu werden. Und Regina Asendorf weiß nicht, wie sie ihre Anbauversuche wieder aufnehmen soll. Die kleine Schweizer Forschungseinheit von Zerihun Tadele arbeitet mit Äthiopien zusammen und stellt natürlich ihre Forschungsergebnisse jedem zur Verfügung – doch in Form von Wissen, nicht in Form von Saatgut. Dass Teff auch für Europa interessant werden könne – und zwar ganz unabhängig von der Bewertung als Hauptnahrungs- oder nur Nahrungsergänzungsmittel – sieht der Berner Molekularbiologe auch. Doch das sei nirgendwo in entsprechenden Forschungsgeldern reflektiert:
"Das Problem ist der Mangel an Interesse! Man hält Teff für ein global unbedeutendes Getreide. Das sagen die Geldgeber überall. Ich habe verschiedene Institutionen in der Schweiz und Europa angesprochen: 'Ja gut, Teff ist nur regional wichtig!' Wir kriegen keine positiven Antworten. Sogar die Schweizer Entwicklungshilfe sagt, Teff sei zu klein für sie."
Porträt Zerihun Tadele 
Der Molekularbiologe Zerihun Tadele gehört zu den wenigen Teff-Experten weltweit.© Florian Felix Weyh
Klein an Teff ist vor allem das Korn und niedrig – diesen Punkt mag man mit westlicher Arroganz denn für unbedeutend halten – niedrig sind die Erträge pro Hektar. Genau daran forscht Zerihun Tadele seit Jahrzehnten und versucht, ertragreichere und vor allem windstabile Sorten zu züchten. In einem seiner Gewächshäuser zeigt er, worum es geht:
"Das Hauptproblem von Teff ist, es knickt um. Entweder bleibt es hier nahe der Wurzel aneinander hängen oder hier am Halm und knickt. Beides passiert in Äthiopien auf den Feldern, ganz besonders, wenn man Kunstdünger verwendet. Dünger macht die Pflanzen groß, aber knickanfällig."
"Ich denke mal, Kulturgut ist Teff allemal!", sagt Regina Asendorf. Ob ein Land sich das alleine zusprechen sollte, ist eine schwierige Frage. Ich kann verstehen, dass sie ihre Ressourcen schützen wollen. Und dass sie auch ein bisschen Geld damit verdienen sollen, ist unbestritten! Das muss aber auch rechtlich ein bisschen besser geregelt werden, als es jetzt mit dieser holländischen Firma war. Denn so haben sie’s wirklich vollbracht, dass sie viele Verträge abgeschlossen haben, und am Schluss hatten sie weniger Rechte als vorher."

Biopatente als Problem

Biopatente, die in Verbindung mit technischen Erfindungen durchaus möglich sind – Gentechnik genügt –, gelten gleichermaßen als schwieriges Feld wie als heißes Eisen, ob mit oder ohne Verträge zum Vorteilsausgleich. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung weist für 2015 interessante Zahlen aus:
"BASF hatte damals um 777 Patente angesucht, von denen nur 211 auch erteilt wurden. DuPont hat 756 Anträge eingereicht, von denen 227 genehmigt wurden. Monsanto hatte 600 Patente beantragt und immerhin 221 Mal Erfolg."[6]
"Diese Zahlen zeigen zweierlei", sagt Patentanwalt Anton Horn.
"Erstens, es gibt ein großes Interesse daran, in diesem Bereich Geld zu verdienen, und wirtschaftliches Potenzial. Deswegen meldet man einfach mal viel an und versucht es einfach mal! Vielleicht kommt es ja durch, so wie es bei dem Teff-Patent ja auch passiert ist: Der Anmelder hat auch nicht damit gerechnet, dass es so durchgewunken wird und genauso erteilt wird wie beantragt! Bin ich ganz sicher, dass er selber am meisten überrascht war, dass es erteilt wurde. Und deswegen: Auch große Unternehmen melden einfach viel an und haben halt manchmal einfach Glück. Und das zweite, was diese Zahl zeigt: Das Patentamt macht seine Aufgabe schon meistens richtig! Manchmal halt nicht, aber meistens sortiert es Anmeldungen schon aus, die nicht berechtigt sind."
Allerdings scheint dieses Glücksspiel viel, viel aussichtsreicher als andere Glücksspiele, lautet ein häufig kolportierter Satz in der Branche doch:
"First patent, ask later!" – Erst patentieren, dann fragen!

Bringt der Klimawandel Teff nach Europa?

"Das stimmt in gewisser Weise schon!", räumt Horn ein. "Das Europäische Patentamt ist auch komplett selbstfinanziert durch die Gebühren, die die Anmelder zahlen. Und eine Gebühr ist die Erteilungsgebühr. Also, wenn ein Patent erteilt wird, fällt eine Gebühr an, die zur Finanzierung des Europäischen Patentamts beiträgt. Und außerdem hat der Prüfer in dem Moment keinen Stress mehr mit dem Anmelder, der Anmelder ist ja zufrieden! Und deswegen kann er die Akte schließen und sich dem nächsten Fall widmen. Das sind beides natürlich Motivationsfaktoren, die dazu führen, dass der Prüfer im Zweifelsfall lieber erteilt als zurückweist."
Dass sich manchmal ein "weißer Ritter" wie Anton Horn findet, der auf eigene Kosten den Übereifer der Patentvergeber ausbremst, ist schön, aber selten. Für die Teff-Story bedeutete das ein glückliches Ende … oder vielmehr den eigentlichen Beginn. Mit der grundlegenden Frage nach dem Klimawandel:
"2050 wird es vielleicht zwei Grad wärmer sein", sagt Zerihun Tadele. "Welche unserer Getreidesorten überleben das? Wir wissen es nicht. Heute benutzen wir keinerlei Bewässerung, die Pflanzen ernähren sich vom Regen. Vielleicht müssen wir dann Getreide anbauen, das Trockenheit toleriert."
Zum Beispiel – Teff?

[1] Thomas Kamp-Deister, Holger Furtmayr: "Vom Grundnahrungsmittel zum Kassenschlager: Die Karriere der äthiopischen Hirse", Hamminkeln o.J. https://docplayer.org/38193140-Vom-grundnahrungsmittel-zum-kassenschlager-die-karriere-der-aethiopischen-hirse-teff.html
[2] a.a.O.
[3] Ursula Heiniger "Tef – glutenfreies Getreide aus Äthiopien" https://www.karger.com/Article/Fulltext/446455
[4] a.a.O.
[5] zit nach Saeger, Manfred, 1991: "Ethische Aspekte des Patentwesens", in: GRUR 4/1991, Weinheim.
[6] https://www.biorama.eu/patentlösung-gesucht-wenn-pflanzen-erfindungen-werden/

Das Feature ist eine Wiederholung vom 16. Juni 2020.

Autor: Florian Felix Weyh
Regie: Stefanie Lazai
Tonmeister: Christoph Richter
Sprecher: Trosten Föste, Niklas Korth, Birgit Paul
Redaktion: Martin Hartwig

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