Algen aus den Niederlanden

Das Gemüse der Zukunft?

24:38 Minuten
Zwei Hände voll mit frisch geernteten Algen.
Von circa 12.000 bekannten Algenarten werden nur ungefähr 20 für die Zucht genutzt, sagt Algenzüchter Joost Wouters. © picture alliance / Zoonar / Dasha Petrenko
Von Marten Hahn · 12.07.2022
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Algen leben seit Milliarden Jahren auf der Erde. Der Mensch entdeckt sie gerade erst richtig: als Beimischung in Spaghetti, Schokolade oder Hautcremes. Sie gelten als nachhaltig und gesund. Algenfarmer in den Niederlanden haben große Hoffnungen.
Die Antios ist ein roter Schlepper. Wann immer nötig fährt Joost Wouters damit zu seiner Farm in der Nordsee. Der Niederländer ist Mitbegründer der Seaweed Company. Die Firma betreibt mehrere Algenfarmen weltweit. Auch eine hier zwölf Kilometer vor der niederländischen Küste bei Scheveningen, einem Stadtteil von Den Haag.
Wouters denkt jetzt schon wieder an die Ernte im nächsten Jahr: “Die Algen, die wir hier in Europa züchten sind Winteralgen. Wir pflanzen sie im Oktober und ernten im Mai.“
Dafür werden Algensetzlinge an Netzen ins Meer gelassen. Nach circa sieben Monaten werden die Netze wieder eingeholt und Maschinen schneiden die Pflanzen dann von den Seilen.
Algenfarmer Joost Wouters aus den Niederlanden steht auf einem Boot an der Küste. Er trägt kurze Hose und T-Shirt. Die Sonne scheint.
Joost Wouters glaubt, Algen können uns helfen, den Planeten zu retten.© Marten Hahn
Joost Wouters glaubt, dass Algen deswegen bei vielen Menschen noch nicht auf dem Speiseplan stehen. Auch er selbst begann sich erst vor sechs Jahren für Algen zu interessieren. Wouters war begeistert von der Vielseitigkeit der Pflanzen und gründete seine Firma. Davor wusste er nichts über Algen.
„Überhaupt nichts. Für mich war das braune, schleimige Zeug, das am Strand zwischen deinen Zehen hängen bleibt. Oder das Zeug, was dich beim Schwimmen ärgert. Ich wusste nichts.“
Heute glaubt er, Algen können uns helfen, den Planeten zu retten. Wenn Wouters von seinen Algen schwärmt, klingt er nicht mehr wie ein Nordseefarmer, sondern wie ein Marketingexperte.
„Wir verkaufen keine Algen. Wir verkaufen Lösungen. Landwirten verkaufen wir eine Lösung, die ihre Böden verbessert und mehr CO2 absorbieren lässt. Damit meine ich ein Algenextrakt. Und für Kühe haben wir ein Präparat entwickelt, das sie gesünder und entspannter macht.“
Auch die Milchproduktion der Kühe soll das Algenpräparat verbessern: „Sie brauchen damit weniger Futter für die gleiche Leistung. Das hat eine riesige Auswirkung auf das Klima. Stell dir vor, wir bräuchten weniger Sojafutter und würden weniger Regenwälder in Brasilien abholzen.“

40 Algenprodukte im Supermarkt

Die Seaweed Company versorgt aber nicht nur Landwirtinnen und Landwirte, sondern auch andere Lebensmittelproduzenten, die auf Algen setzen. Und die Firma ist nicht die einzige in den Niederlanden. Auch Unternehmen wie Seaweed Tech und The Dutch Seaweed Group bedienen eine steigende Nachfrage. Wer in den Supermarkt z. B. in Rotterdam geht, wird schnell fündig: Algenchips, Algenburger, Algenpasta.
„Algen-Gin, Algen-Mayonnaise. Das gibt es alles. Die Organisation North Sea Farmers hat jüngst gezählt und in niederländischen Supermärkten 40 Algenprodukte gefunden. Das ist aber immer noch eine Nische", sagt Sander van den Burg.
Der Algenexperte forscht an der Universität Wageningen. Für das Gespräch hat er eine Kollegin am Bildschirm zugeschaltet. Meeresforscherin Sophie Koch, sie ist Deutsche, arbeitet gerade in Berlin:

In Sanders Team bin ich der Algennerd. Ich esse das wirklich regelmäßig. Ich bin die, die in der Bioabteilung im Supermarkt nach dem neuesten Algensalat greift.

Sophie Koch

Die Forscherin Koch und ihr Kollege Van den Burg sehen ähnlich wie Unternehmer Joost Wouters viele Vorteile.
„Algen sind eine gute Idee, weil es sich um ein umweltfreundliches Produkt handelt. Man kann es im offenen Meer züchten. Es braucht keine Ackerflächen oder andere zusätzliche Ressourcen. Und langfristig gesehen müssen wir über andere Quellen für Lebensmittel nachdenken. Die Weltbevölkerung wächst, aber die Flächen für Landwirtschaft sollte nicht wachsen. Das ist also ein nachhaltiges Lebensmittel.“

Eine Nische mit Wachstumspotenzial

Allerdings eines, das vorhandene Schwermetalle aus dem Meerwasser absorbiert. Van den Burg würde deswegen empfehlen, nicht jeden Tag große Mengen davon zu essen. Momentan verbrauchen die Menschen in Europa zehn Prozent der weltweiten Algenproduktion, produzieren selbst aber nur ein Prozent. So hat es der Branchenverband North Sea Farmers berechnet.

Das ist ein kleiner Sektor. Algen finden sich in keiner Exportstatistik. Aber die Nachfrage ist höher als das Angebot. All die Leute, die Algen in Burgern, Spaghetti und so weiter verarbeiten, die fragen mehr nach, als der Markt liefern kann. Es gibt da also Wachstumspotenzial.

Sander van den Burg

Den Großteil importiert Europa derzeit aus Asien. Der Verband der Nordsee-Farmer will das ändern und bis 2030 ein Viertel des europäischen Bedarfs lokal anbauen. Nach erfolgreicher Lobbyarbeit sind Algen schon jetzt Teil der Eiweißstrategie, einem Papier des niederländischen Landwirtschaftsministeriums.
„Ich glaube, vor der jüngsten Wahl haben alle Parteien in den Niederlanden Algen irgendwo in ihren Wahlprogrammen erwähnt. Und es gibt viel Druck von der Regierung, Mehrfachnutzung auf See zu entwickeln. Zwischen all den Windturbinen soll etwas passieren. Und Algenanbau ist da eine Möglichkeit.”

Verändern große Algenfarmen die Wellen?

Direkt an den niederländischen Küsten ist Algenzucht schwer, weil die Böden zu sandig sind. Und weiter draußen in der Nordsee herrscht zu viel Verkehr. Nur zwischen den Windturbinen ist es ruhig. Größere Schiffe dürfen Windparks nicht durchfahren. Algenfarmen könnten den Platz also effizient nutzen. Aber noch sind nicht alle Fragen geklärt, sagt Meeresforscherin Sophie Koch.
„Es gibt genetisch veränderte Spezies. Sollten die angepflanzt werden, könnten die sich zu einer invasiven Spezies entwickeln. Außerdem könnte es sein, dass Algenfarmen, die zu groß sind, die kinetische Energie der Wellen ändern. Das könnte langfristig zu einer Veränderung des Meeresbodens führen. Diese Risiken schauen wir uns gerade an. Es gibt viel Positives, aber wir wollen mögliche negative Effekte vermeiden.“
„Eine große Frage ist auch: Wie viele Algen kann man produzieren, ohne die Nährstoffe der Meere zu erschöpfen. Diese Nährstoffe werden ja auch von anderen Spezies benötigt, Microalgen zum Beispiel, die wichtig für die Nahrungskette sind. Fügt man also mehr Seetang hinzu, könnte das einen Wettbewerb um diese Nährstoffe stimulieren. Dann ist da die Gefahr, dass Algenfarmen den Meeresboden verdunkeln, weil sie Schatten werfen. Oder das invasive Spezies die Farmen als Sprungbretter nutzen, und sich so zum Beispiel von der Nordsee bis hoch nach Norwegen verbreiten", sagt Sander van den Burg.
Derzeit wird in Europa ein großer Teil der Algen wild geerntet. In Frankreich, Irland und Schottland zum Beispiel. Wird mehr gesammelt, als nachwächst, kann das verheerende Auswirkungen auf marine Ökosysteme haben.
Hier kommen die Anpflanzungen ins Spiel, meint Sophie Koch. Deswegen werde Algenzucht derzeit so intensiv erforscht.

20 von 12.000 Algenarten für die Zucht

Die Seaweed Company von Joost Wouters züchtet Algen nicht nur in der kalten Nordsee. Farmen in Marokko und Indien erlauben der Firma mit verschiedenen Arten zu experimentieren.

Wir kennen heute circa 12.000 Algenarten. Davon nutzen wir nur ungefähr 20 für die Zucht. Man kann sie grob in drei Gruppen einteilen: rote, braune und grüne Algen.

Joost Wouters

Jede Art hat andere Eigenschaften und eignet sich so für unterschiedliche Produkte: von der Hautcreme bis zur Schokolade. Und wie isst der Algenfarmer eigentlich seine Algen?
„Getrocknet, als Extrakt oder in flüssiger Form. Meist aber getrocknet, zum Beispiel einen halben Teelöffel Algenflocken in meinen Shake. Oder einmal die Woche mache ich Fleischbällchen mit Algen.“
Dass Algen häufig getrocknet verkauft werden, hat einen Grund: „Algen überleben die Ernte nicht lange. Man muss sie innerhalb von ungefähr drei Stunden verarbeiten. Derzeit heißt das, dass wir sie trocknen. Aber wenn die Menge zunimmt, wird Trocknen schwierig, weil man dafür viel Platz und Energie braucht. Dann wäre es besser, wenn die Algen direkt aus dem Meer in einer Bioraffinerie landen und dort verarbeitet werden.“

Alkoholische Brause mit Algen

Bevor wir uns verabschieden, will Wouters noch etwas zeigen. Er steuert den nächsten Supermarkt an.
In der Ecke mit dem Alkohol greift Wouters eine Dose aus dem Regal. Seine Firma arbeitet seit Kurzem mit einer kleinen Brauerei zusammen. In einer neuen alkoholischen Brause der Brauerei sind Algen enthalten.
“Fragt man die Leute auf der Straße: ‚Magst du Algen? Glaubst du, die schmecken?’ Dann sagen sie: ‚Nein, ich glaube nicht.‘ Fragt man dann, ob sie glauben, dass Algen gesund sind, sagen sie: ‚Oh ja, sehr gesund.‘ Die Menschen wissen also, dass sie gesund sind, aber nicht schmecken und sie haben recht. Wir müssen Algen also den richtigen Produkten hinzufügen.“
Algen im alkoholischen Mixgetränk. Die Welt rettet das nicht. Aber der Algenfarmer hofft, die Konsumenten so an das Gemüse aus dem Meer zu gewöhnen.

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