Sylvie Schenk: "In Erwartung eines Glücks"

Die Welt nicht lauwarm erleben

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Cover des Romans "In Erwartung eines Glücks" von Sylvie Schenk
© Hanser

Sylvie Schenk

In Erwartung eines GlücksHanser, München 2025

176 Seiten

23,00 Euro

Von Sigrid Brinkmann |
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Schweres in Leichtes verwandeln und sich selbst ironisch betrachten, das gehört zur Kunst der Schriftstellerin Sylvie Schenk. In ihrem neuen Roman ist die Ich-Erzählerin in einer schwierigen Lebensphase: im Krankenhaus nach einem Schlaganfall.
Für einen perversen Macho, Rassisten und reaktionären Zyniker hat die deutsch-französische Schriftstellerin Sylvie Schenk den französischen Erfolgsautor Michel Houellebecq nie gehalten. Die französische Presse registrierte enttäuscht, dass der notorische Provokateur in seinem 2022 erschienenen Roman „Vernichten“ statt ätzender Satire plötzlich melancholische Reflexionen über das Alter, das Sterben und den Wert der Ehe bot. Sylvie Schenk hingegen fand Halt in dem vielschichtigen Epos über einen untröstlichen Mann, der sein nahendes Ende schließlich inmitten einer „stummen Gemeinschaft von Unheilbaren“ akzeptiert. Das Buch „Vernichten“ ist die zentrale Achse in Sylvie Schenks Buch „In Erwartung eines Glücks“.
Die Unterscheidung von Fiktion und Autofiktion ist für Sylvie Schenk irrelevant, basiert jede Fiktion doch auf gelebter Erfahrung. Und so verkörpert Irène, die Protagonistin und Ich-Erzählerin des neuen Buches, die Autorin in einer schwierigen Lebensphase. Der Mann, für den die Französin Irène - gleich Sylvie Schenk – ein Leben in Frankreich aufgegeben und sich mit der deutschen Provinz arrangiert hatte, war gestorben, und sie selbst ist wegen des Verdachts auf einen Schlaganfall längere Zeit hospitalisiert. Geradezu „eruptionsartig“ erwacht in der klinischen Atmosphäre das Verlangen der Schriftstellerin Irène, ein Buch „in Anlehnung“ an Houellebecqs Roman „Vernichten“ zu schreiben: „Sie wusste nicht genau, was sie wollte, nur nicht allein schreiben, nicht in der Einsamkeit ihres eigenen Ichs.“

Begegnungen mit dem "Froschmann"

Empathisch interpretiert Schenk Veränderungen, die der todgeweihte Houellebecqsche Held durchläuft. Äußerlich gleicht ein Patient, dem sie auf ihren abendlichen Gängen über den Krankenhauskorridor begegnet, dem vorzeitig gealterten Schriftsteller. Der „Froschmann“, wie sie ihn nennt, schwadroniert gern über sein Liebesleben und animiert die schreibende Mitpatientin, ihre Jahrzehnte währende Ehe mit einem deutschen Mann zu prüfen. Das verliebte Paar hatte an ein „speziell für sie ausgebrütetes Schicksal“ geglaubt. „So schnell“, kommentiert die Autorin in bestechend nüchterner wie erheiternder Weise, „entstehen Missverständnisse“.
Literarisch findet der von Untersuchungen, Besuchs- und Essenszeiten rhythmisierte, kleinteilige Krankenhausalltag bei Schenk eine Entsprechung im fragmentarischen Erzählen. Hier und da seziert sie ein "Duden-Wort des Tages“. Es gibt der auf „Zersetzungsprozesse des Daseins“ fokussierten Autorin Gelegenheit, Wörter wie „aufdröseln“, „fußläufig“ oder „geht nicht mehr“ zu „zerbröseln“. Schenk erhebt das „Herumirren“ zum Prinzip und verbindet spielend leicht weit zurückliegende Erinnerungen mit sinnträchtigen Träumen. Da gibt es etwa vehement geführte Streitgespräche mit einem französischen Übersetzer, der der Erzählerin vorhält, sie würde sich in ihrem „egozentrischen literarischen germanischen Wald vom Weltgeschehen abschirmen“. Diese setzt die Autorin neben besorgte, wenngleich irregeleitete Projektionen über die dunkle Zukunft ihrer minderjährigen, wortkargen muslimischen Bettnachbarin.

Uneitle Reflexionen der eigenen Rolle

Sylvie Schenk reflektiert ihre Rolle als Schriftstellerin uneitel: Schreiben ist für sie ein „Festhalten am Grashalm“, auch ein „Zeitvertreib“ und unzweifelhaft ein „ernsthaftes Spiel“. Diese Haltung zeigen die lose eingestreuten, auf Reim getrimmten Gedichte, mit denen sie augenzwinkernd ihre Anfänge als Lyrikerin zu parodieren scheint, oder sich einfach nur einen Spaß erlaubt. Das von Schenk wachgerufene Glücksgefühl, als junger Mensch an heißen Sommertagen in eiskaltes Wasser zu tauchen, umfasst mehr als den sinnlichen Genuss. Die Welt nicht lauwarm erleben zu wollen, diese Gewissheit durchströmt und treibt die heute achtzigjährige Schriftstellerin noch immer an.
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