Susanne Mayer über eine Hausauflösung

Was unser Besitz erzählt

09:43 Minuten
Susanne Mayer im Gespräch am Messestand des Deutschlandfunks.
Die Autorin Susanne Mayer schreibt in dem Sachbuch "Die Dinge unseres Lebens" über Gegenstände, an denen Erinnerungen hängen. © Deutschlandradio/ David Kohlruss
Susanne Mayer im Gespräch mit Joachim Scholl · 16.10.2019
Audio herunterladen
Auch Dinge können sprechen. Man muss ihnen nur zuhören. Die Journalistin Susanne Mayer hat genau das getan, als sie das Haus ihrer Mutter ausräumte – und sieht die Geschichte ihrer Familie nun in einem neuen Licht.
Das Haus auszuräumen dauerte einen ganzen Sommer. Susanne Mayers Mutter war gerade in eine Seniorenresidenz gezogen. Dass ihre Mutter sehr viele Sachen besaß, sei immer klar gewesen, erzählt die Journalistin: "Es war kein Messi-Haushalt, aber es gab viele Dinge, viel Geschirr etwa. Meine Mutter kaufte auch schon mal eine neue Vitrine für neue Sektkelche. Die mussten ja irgendwohin."
Mayer räumte Schränke und Kisten aus. Sie stieg hinab in den großen, verzweigten Keller des Hauses, in dem sich "das Sediment verschiedener Generationen" angesammelt hatte, so Mayer: Familienbesitz von der Bonner Republik übers Dritte Reich bis ins vorherige Jahrhundert. Sie ging diese Aufgabe ohne Angst an. Ein Fehler, wie sich später herausstellte. "Ich gehöre zur Generation, die stolz darauf war, mit den Eltern geredet zu haben. Ich dachte, ich wisse ja, was die alle so gemacht haben damals. Doch ich musste feststellen, dass ich mich in meiner Vorstellung ‚Ihr seid ja alles Mitläufer‘ einer Täuschung hingegeben habe."

Erschießungsbilder und Umschläge, auf denen "Ostfront" steht

Beim Stöbern in Kisten und Taschen machte die Journalistin Entdeckungen, die ihren Blick auf die Vergangenheit veränderten. "Und dann macht man so eine Schatulle auf und sieht ein Bild von seiner Mutter in einem schönen Jackett, mit einem Hakenkreuz unterm Kinn, und das ist die Führerin der Jungschar in einem Hitlerjugend-Pulk. Man macht einen Karton auf, und es quillt einem die Vergangenheit entgegen, in vielen kleinen Fotos, in vielen kleinen Umschlägen, und da steht dann drauf: ‚Ostfront‘ oder ‚Der Weg nach Paris‘. Man sieht plötzlich Erschießungsbilder, aber auch deutsche Soldaten kurz vor Dünkirchen, die in der Brandung rumspringen."
Die Dinge, die Mayer fand, erzählten Geschichten, die ihre eigene Erinnerung neu ordneten. Deutsche Zeitgeschichte und Mayers persönliche Familiengeschichte vermischten sich. So etwa bei Hitlers "Wunderwaffe", der Rakete V2:
"Mein Vater sagte immer so Sätze wie: 'Wie gut, dass die nicht fertig wurde, das hätte alles noch mal geändert.' Und da habe ich festgestellt – wie bei vielen Dingen während meiner Recherche – dass ich es missverstanden hatte", erzählt Mayer. "Der Satz ‚Das hätte alles nochmal gerissen‘ war ein Nazi-Satz. Das war sozusagen der feuchte Traum der Nationalsozialisten: Wenn wir diese Waffe fertig kriegen, dann wuppen wir das. Aber natürlich war die Front schon zusammengebrochen, die Amerikaner schon im Anmarsch. Dieser feuchte Traum einer technischen Revolutionierung wurde in KZ-Stollen von Menschen zusammengebaut, die da zu Tausenden starben."

"Er wollte, dass wir das finden. Und dass wir das wissen."

Bei den Stücken im Haus ihrer Eltern glaubt Susanne Mayer nicht an einen Zufallsfund. Alles, was sie gefunden habe, hätten ihre Eltern zurückgelassen, damit man es finde. So wie den Notenstapel des Vaters, der nicht nur einen Chopin-Band aus St. Petersburg enthielt, sondern auch einen in einem Notenheft liegenden Stellungsplan für die Blockade von St. Petersburg. Bei der Blockade starben mehr als eine Million Menschen.
"Ein bitterer Fund. Aber irgendwie muss es so gewesen sein, dass er auch wollte, dass wir das finden – und dass wir das wissen. Es sind ja auch Zeugnisse von etwas, worüber diese Generation nicht sprechen konnte. Man könnte auch sagen, sie haben die Dinge für sich sprechen lassen."
(rod)
Mehr zum Thema