Hilfe für junge Pflegende: Darüber haben wir mit Benjamin Salzmann von Echt unersetzlich gesprochen: Audio Player
Wohin mit Wut, Ärger, Frust und Scham?
Etwa 230.000 Minderjährige müssen für einen pflegebedürftigen oder behinderten Angehörigen sorgen. Auch Joshua, der mit 15 den Schlaganfall seiner Mutter miterlebte, zählt zu ihnen. In Berlin bekommt er therapeutische Hilfe bei "Pflege in Not".
Marita steht im Wohnungsflur und hilft ihrer Freundin Carola, den neuen Pullover über den Kopf zu ziehen. Nach zwei Schlaganfällen kann die 57-Jährige den linken Arm und die Hand nur noch mit Mühe bewegen. Ihre Schulter hängt herab, die Hand ist spastisch gekrümmt. In den eigenen vier Wänden kann sie sich selbstständig bewegen. Doch ohne die Hilfe ihrer Freundin wäre die frühpensionierte Lehrerin aufgeschmissen.
"Super, klasse, der ist doch schick, was sagst du? Ja, ich finde ja, mit diesem blöden Arm…"
Fünf Minuten später sitzt Carola mit ihrer Freundin am Küchentisch, sieht zu, wie diese haufenweise Tablettenschachteln auf den Tisch kippt. Jeden Mittwochnachmittag kommt Marita zu Besuch, schreibt für sie Anträge auf Beihilfe an das Landesverwaltungsamt und füllt Formulare für die Krankenversicherung aus. Alles Dinge, die ihre Freundin seit dem zweiten Schlaganfall vor eineinhalb Jahren nicht mehr selbst machen kann. Auch das Verteilen der Tabletten in die portionierten Tagesschachteln ist mühsam. Marita drückt jede einzelne Pille mit den Fingern aus der Folie. Es dauert, bis die Wochenration fertig ist.
"Super, klasse, der ist doch schick, was sagst du? Ja, ich finde ja, mit diesem blöden Arm…"
Fünf Minuten später sitzt Carola mit ihrer Freundin am Küchentisch, sieht zu, wie diese haufenweise Tablettenschachteln auf den Tisch kippt. Jeden Mittwochnachmittag kommt Marita zu Besuch, schreibt für sie Anträge auf Beihilfe an das Landesverwaltungsamt und füllt Formulare für die Krankenversicherung aus. Alles Dinge, die ihre Freundin seit dem zweiten Schlaganfall vor eineinhalb Jahren nicht mehr selbst machen kann. Auch das Verteilen der Tabletten in die portionierten Tagesschachteln ist mühsam. Marita drückt jede einzelne Pille mit den Fingern aus der Folie. Es dauert, bis die Wochenration fertig ist.
"Hier ist nur noch Citiricin, sollen wir das noch reinmachen? Nein, das ist ja noch drin. Fertig!"
Intensivstation, wochenlanges Koma, monatelange Reha
Gelöste, freundliche Stimmung am Küchentisch. Carola trägt die Haare kurz geschnitten. Die ehemalige Sportlehrerin ist schlank und zierlich, sie lacht viel. Nach ihrem zweiten Schlaganfall war lange ungewiss, ob sie wieder in ihrer Wohnung leben kann. Intensivstation, wochenlanges Koma, monatelange Reha. Eine bange Zeit für die beiden Söhne, damals 15 und 8 Jahre alt, und für den Lebensgefährten und die Freunde von Carola. Marita erinnert sich genau an die erste wahrnehmbare Geste ihrer Freundin.
"Irgendwann, das war auch noch auf der Intensivstation, da habe ich gedacht, na, wenn sie nicht sprechen kann, vielleicht kann sie ja schreiben und bin rumgelaufen, nach so einer Zaubertafel wie man sie früher hatte, wo man so rauszieht. Dann war ich den nächsten Tag gleich da und da hat sie den Stift genommen und rumgekrakelt. Man muss ja auch alles wieder neu lernen, das kann man sich ja gar nicht vorstellen."
Marita, die in Kreuzberg ein Wollgeschäft führt, ist froh, dass sie sich als Freiberuflerin für ihre Freundin Zeit nehmen kann. Beide kennen sich seit Jahrzehnten. Durch die Krankheit sei die Freundschaft noch inniger geworden, sagen beide.
"Ja, man hat halt auch so eine Verantwortung die man auch gerne wahrnimmt, also ich jedenfalls. Ich bin mittwochs bei Carola, Punkt."
"Ja, man hat halt auch so eine Verantwortung die man auch gerne wahrnimmt, also ich jedenfalls. Ich bin mittwochs bei Carola, Punkt."
Carola ist psychisch noch immer labil
Ohne die Hilfe von Familie und Freunden hätte Carola mit ihren 57 Jahren als alleinerziehende Mutter eines 15-Jährigen keine Chance auf ein Leben in den eigenen vier Wänden gehabt. Sie ist psychisch noch immer labil, es gibt gute und schlechte Tage. Dann lasten bürokratische Herausforderungen und die Ungewissheit um die eigene Zukunft umso schwerer. Sie sitzt auf ihrem Lieblingsplatz, einem Ecksofa im Wohnzimmer.
"Dann bin ich sehr empfindlich, dann fange ich an zu weinen bei der kleinsten Kleinigkeit bei irgendwelchen Widerständen. Wenn es dann darum geht bei Ablehnungen von der Kasse Widerspruch einzulegen und wenn ich dann über meine Situation sprechen soll, dann fange ich an zu heulen am Telefon. Als es jetzt um die Frühpensionierung ging, das hat auch ewig gedauert."
Immer wieder gerät sie ins Stocken. Dann knetet sie mit der rechten ihre verkrümmte linke Hand, erzählt, wie begeistert sie früher Ballett, Gymnastik, Yoga gemacht hat. Nur mit der Disziplin einer Sportlerin kann sie ihren Tagesablauf meistern.
"Geschirrspülmaschine ein- und ausräumen, Waschmaschine ein- und ausräumen, Wäsche aufhängen, abhängen, zusammenlegen. Ein bisschen aufräumen. Mittag kochen für meinen Sohn, aber mit Hilfe, weil ich einen Gasherd habe, da brauche ich jemand, der den anzündet, und Rechnungen bezahlen, das kann ich online machen."
Physio- und Ergotherapeuten kommen dreimal pro Woche ins Haus. Für Einkauf und Müll ist der 15-jährige Sohn zuständig. Er hilft der Mutter auch beim täglichen Blutdruckmessen.
"Er misst mir vor dem Schlafengehen den Blutdruck und legt mir so eine Nachtlagerungsschiene an und fühlt sich auch verantwortlich und das belastet ihn schon. Er ist auch schlechter in der Schule geworden und er ist auch immer froh, wenn jemand hier schläft, weil er dann quasi für sich selber frei hat. So drückt er es auch aus und er ist auch froh, wenn am Wochenende mein Partner da ist."
Auch die wöchentlichen Besuche von Freundin Marita sind eine große Hilfe. Wenn es Carola gut geht, wie an diesem Tag, dann belohnen sich die beiden Freundinnen mit einem Ausflug zum Italiener um die Ecke.
"Dann bin ich sehr empfindlich, dann fange ich an zu weinen bei der kleinsten Kleinigkeit bei irgendwelchen Widerständen. Wenn es dann darum geht bei Ablehnungen von der Kasse Widerspruch einzulegen und wenn ich dann über meine Situation sprechen soll, dann fange ich an zu heulen am Telefon. Als es jetzt um die Frühpensionierung ging, das hat auch ewig gedauert."
Immer wieder gerät sie ins Stocken. Dann knetet sie mit der rechten ihre verkrümmte linke Hand, erzählt, wie begeistert sie früher Ballett, Gymnastik, Yoga gemacht hat. Nur mit der Disziplin einer Sportlerin kann sie ihren Tagesablauf meistern.
"Geschirrspülmaschine ein- und ausräumen, Waschmaschine ein- und ausräumen, Wäsche aufhängen, abhängen, zusammenlegen. Ein bisschen aufräumen. Mittag kochen für meinen Sohn, aber mit Hilfe, weil ich einen Gasherd habe, da brauche ich jemand, der den anzündet, und Rechnungen bezahlen, das kann ich online machen."
Physio- und Ergotherapeuten kommen dreimal pro Woche ins Haus. Für Einkauf und Müll ist der 15-jährige Sohn zuständig. Er hilft der Mutter auch beim täglichen Blutdruckmessen.
"Er misst mir vor dem Schlafengehen den Blutdruck und legt mir so eine Nachtlagerungsschiene an und fühlt sich auch verantwortlich und das belastet ihn schon. Er ist auch schlechter in der Schule geworden und er ist auch immer froh, wenn jemand hier schläft, weil er dann quasi für sich selber frei hat. So drückt er es auch aus und er ist auch froh, wenn am Wochenende mein Partner da ist."
Auch die wöchentlichen Besuche von Freundin Marita sind eine große Hilfe. Wenn es Carola gut geht, wie an diesem Tag, dann belohnen sich die beiden Freundinnen mit einem Ausflug zum Italiener um die Ecke.
Der Sohn wohnt drei Stockwerke über der Mutter
"Schlüssel haste, Stock auch. Soll ich schon runter gehen? Treppe runter."
Während die beiden Frauen langsam die Treppe runtergehen, steht der erwachsene Sohn Joshua drei Stockwerke höher in der Dachgeschosswohnung und sieht aus Fenster. Der 23-Jährige weiß immer, was bei seiner Mutter im ersten Stock vor sich geht. Wenn sie anruft, will er parat sein.
"Da gab es mal eine Situation, da hatte sich meine Mutter mit meinem kleinen Bruder gezankt und es gab Schwierigkeiten, dass er ihr abends den Blutdruck misst und so sehe ich eigentlich meine Rolle gerade mehr. Dass ich vor Ort bin, dass ich erreichbar bin, dass ich für alle ansprechbar bin, aber dass ich im Alltag mich eher zurückziehe."
Er möchte schnell erreichbar sein, ein Grund, weshalb der Student seine Wohnung in Neukölln gekündigt hat, um sich in Steglitz, wo die Mutter wohnt, etwas Neues zu suchen. Natürlich ist er froh, dass eine Mietwohnung im selben Haus frei war. Doch mit dem Umzug hat er auch sein eigenes, unabhängiges Leben aufgegeben. Joshua ist ein zierlicher Typ mit blassem Gesicht und roten Haaren. Seine Verfassung: achtsam und nachdenklich.
"Dadurch, dass diese Rollen so getauscht wurden, von der Mutter, die ihr Kind bemuttert hat, und jetzt ich als Sohn, der sich um die Mutter kümmert, das ist für alle Beteiligten schwierig, dieser Rollentausch."
Als Heranwachsender hatte er den ersten Schlaganfall seiner Mutter erlebt, damals war er so alt wie sein 15-jähriger Bruder heute. Intensivstation, Koma und Zukunftsängste haben ihn geprägt. Heute schwankt er zwischen dem Instinkt, beschützen zu wollen und gleichzeitig loslassen zu können.
"Aber dann denke ich wieder, es ist doch total schön, dass meine Mutter wieder so viel selbst machen kann und ich helfe ihr, wenn ich sie darin unterstütze und verändert."
Während die beiden Frauen langsam die Treppe runtergehen, steht der erwachsene Sohn Joshua drei Stockwerke höher in der Dachgeschosswohnung und sieht aus Fenster. Der 23-Jährige weiß immer, was bei seiner Mutter im ersten Stock vor sich geht. Wenn sie anruft, will er parat sein.
"Da gab es mal eine Situation, da hatte sich meine Mutter mit meinem kleinen Bruder gezankt und es gab Schwierigkeiten, dass er ihr abends den Blutdruck misst und so sehe ich eigentlich meine Rolle gerade mehr. Dass ich vor Ort bin, dass ich erreichbar bin, dass ich für alle ansprechbar bin, aber dass ich im Alltag mich eher zurückziehe."
Er möchte schnell erreichbar sein, ein Grund, weshalb der Student seine Wohnung in Neukölln gekündigt hat, um sich in Steglitz, wo die Mutter wohnt, etwas Neues zu suchen. Natürlich ist er froh, dass eine Mietwohnung im selben Haus frei war. Doch mit dem Umzug hat er auch sein eigenes, unabhängiges Leben aufgegeben. Joshua ist ein zierlicher Typ mit blassem Gesicht und roten Haaren. Seine Verfassung: achtsam und nachdenklich.
"Dadurch, dass diese Rollen so getauscht wurden, von der Mutter, die ihr Kind bemuttert hat, und jetzt ich als Sohn, der sich um die Mutter kümmert, das ist für alle Beteiligten schwierig, dieser Rollentausch."
Als Heranwachsender hatte er den ersten Schlaganfall seiner Mutter erlebt, damals war er so alt wie sein 15-jähriger Bruder heute. Intensivstation, Koma und Zukunftsängste haben ihn geprägt. Heute schwankt er zwischen dem Instinkt, beschützen zu wollen und gleichzeitig loslassen zu können.
"Aber dann denke ich wieder, es ist doch total schön, dass meine Mutter wieder so viel selbst machen kann und ich helfe ihr, wenn ich sie darin unterstütze und verändert."
"Davon wegkommen, dass man ständig traurig ist"
Auch sein Leben hat sich durch die Krankheit der Mutter verändert. Joshua studiert Verfahrens- und Umwelttechnik an einer Fachhochschule. Mindestens ein Semester musste er schon aussetzen wegen der Situation zu Hause . Er fühlte sich lange Zeit unverstanden und isoliert. Nach dem, was er erlebt hat, stellt er alles in Frage. Joshua plant nicht den großen Lebensentwurf. Sein Fokus liegt im Hier und Jetzt.
"Sowohl in der Uni, da eine gewisse Leistung zu erbringen, als auch in der Freizeit, davon wegzukommen, dass man ständig traurig und nicht gut drauf ist, sondern auch wieder Genuss und Freude zu entwickeln, das ist auch eine Sache, da kann man eigentlich auch aktiv dran arbeiten."
Einige Tage später steht in seinem Terminkalender ein Treffen mit der Beratungsstelle von "Pflege in Not". Das Angebot vom Diakonischen Werk Berlin-Stadtmitte ist für Joshua ein Glücksfall. Mit der Psychotherapeutin Dorothee Unger kann er seine persönlichen Probleme besprechen. Normalerweise werden Minderjährige und Erwachsene, die sich um Pflegebedürftige in der eigenen Familie kümmern, nur über Online-Portale oder am Telefon beraten. Dorothee Unger konnte Joshua schon in mehreren "Sitzungen" helfen. Sie hat einfach nur zugehört. Der kleine Raum liegt am Rande eines großen Friedhofs in Berlin-Kreuzberg. Es gibt kein Wartezimmer, Joshua ist der einzige Besucher und die beiden kennen sich seit einem Jahr und sitzen sich jetzt gegenüber.
"Wir haben damals viel darüber gesprochen, was ihm am meisten zu schaffen macht, die Verantwortung in der Familie und auch die Vorstellung, was er alles leisten müsste. Das geht ganz vielen so, dass wir immer eine Vorstellung haben, was wir schaffen müssten, wie entspannt wir sein müssten, wie wenig genervt wir sein müssten. Das waren Themen, die am Anfang in den Gesprächen wichtig waren."
Bis zu zehn Termine, kann Dorothee Unger kostenfrei anbieten. Zuhören, die Situation erfassen, einen Raum für Emotionen schaffen, so beschreibt sie ihre Aufgabe. Wut, Ärger, Frust, Scham und Schuld, all das loszuwerden habe ihm geholfen, sagt Joshua.
"Für mich, was wirklich hängen geblieben ist, ist eben die Entlastung. Wenn ich hier rausgehe und auch die Bestätigung, es ist okay, Wut zu spüren, auch auf die Mutter, die gerade gar nichts dafür kann und gerade in einer ganz schwierigen Situation ist. Trotzdem ist das ein normales Gefühl, für das man sich nicht sofort schämen muss und das man nicht sofort unterdrücken muss. Dieser emotionale Beistand, das war für mich das Wichtigste."
"Sowohl in der Uni, da eine gewisse Leistung zu erbringen, als auch in der Freizeit, davon wegzukommen, dass man ständig traurig und nicht gut drauf ist, sondern auch wieder Genuss und Freude zu entwickeln, das ist auch eine Sache, da kann man eigentlich auch aktiv dran arbeiten."
Einige Tage später steht in seinem Terminkalender ein Treffen mit der Beratungsstelle von "Pflege in Not". Das Angebot vom Diakonischen Werk Berlin-Stadtmitte ist für Joshua ein Glücksfall. Mit der Psychotherapeutin Dorothee Unger kann er seine persönlichen Probleme besprechen. Normalerweise werden Minderjährige und Erwachsene, die sich um Pflegebedürftige in der eigenen Familie kümmern, nur über Online-Portale oder am Telefon beraten. Dorothee Unger konnte Joshua schon in mehreren "Sitzungen" helfen. Sie hat einfach nur zugehört. Der kleine Raum liegt am Rande eines großen Friedhofs in Berlin-Kreuzberg. Es gibt kein Wartezimmer, Joshua ist der einzige Besucher und die beiden kennen sich seit einem Jahr und sitzen sich jetzt gegenüber.
"Wir haben damals viel darüber gesprochen, was ihm am meisten zu schaffen macht, die Verantwortung in der Familie und auch die Vorstellung, was er alles leisten müsste. Das geht ganz vielen so, dass wir immer eine Vorstellung haben, was wir schaffen müssten, wie entspannt wir sein müssten, wie wenig genervt wir sein müssten. Das waren Themen, die am Anfang in den Gesprächen wichtig waren."
Bis zu zehn Termine, kann Dorothee Unger kostenfrei anbieten. Zuhören, die Situation erfassen, einen Raum für Emotionen schaffen, so beschreibt sie ihre Aufgabe. Wut, Ärger, Frust, Scham und Schuld, all das loszuwerden habe ihm geholfen, sagt Joshua.
"Für mich, was wirklich hängen geblieben ist, ist eben die Entlastung. Wenn ich hier rausgehe und auch die Bestätigung, es ist okay, Wut zu spüren, auch auf die Mutter, die gerade gar nichts dafür kann und gerade in einer ganz schwierigen Situation ist. Trotzdem ist das ein normales Gefühl, für das man sich nicht sofort schämen muss und das man nicht sofort unterdrücken muss. Dieser emotionale Beistand, das war für mich das Wichtigste."