Streitschrift

Analyse kollektiver Fantasien

Eine Frau mit einem teilweise transparenten Rock steht mit High-Heels an einer rot beleuchteten Bar und unterhält sich mit einem Mann.
Projektionen zur Prostitution: seziert von Gira Grant © picture-alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Susanne Billig |
Kondome als Verhaftungsgrund und Diskriminierung auf Schritt und Tritt: In "Hure spielen - Die Arbeit der Sexarbeit" zeigt die ehemalige Sex-Arbeiterin Melissa Gira Grant auf, was angesichts der aktuellen Anti-Prostitutionskampagne drohen kann. Außerdem, dass sich diese Branche nicht nur aus Männer-Wünschen speist.
"Dieses Buch ist keine Peepshow", stellt Melissa Gira Grant in ihrer Streitschrift "Hure spielen" klar. Die Journalistin und ehemalige Sexarbeiterin bietet weder einen Blick hinter die Kulissen von Rotlicht-Etablissements und Straßen-Sexarbeit noch den Seelenstriptease einer Hure. Statt dessen dreht sie den Spieß um und legt die kollektiven Fantasien und Projektionen zur Prostitution unter ihr analytisches Messer.
Während das deutsche Gesetz die Prostitution - nicht Vergewaltigungen, nicht Misshandlungen, nicht Entführungen, sondern das mündige Aushandeln sexueller Dienstleistungen zwischen Erwachsenen - straffrei stellt, ist der käufliche Geschlechtsverkehr in den USA noch immer vollständig verboten. Da Melissa Gira Grant vor allem die dortige Lage untersucht, zeigt ihr Buch, wie es hier aussähe, wenn sich die derzeitig heftig in die Medien getragene Anti-Prostitutionskampagne um "Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer durchsetzen sollte.
Kondome als Verhaftungsgrund in New York
In einer Stadt wie New York reicht der Besitz von Kondomen aus, um in den Anfangsverdacht der Prostitution zu geraten und verhaftet zu werden. Transsexuelle werden ohnehin auf Schritt und Tritt kontrolliert. Wenden sich Prostituierte als Gewaltopfer an die Polizei, finden sie häufig kein Gehör - gleichzeitig begründet die konservative moralische Mehrheit das Prostitutionsverbot mit dem Argument, die Integrität der Frau müsse beschützt werden. 97 Prozent der Gerichtsurteile im Zusammenhang mit käuflicher Sexualität richten sich gegen die Sexarbeiterinnen selbst, rechnet die Autorin vor.
In historischen Rückblenden untersucht Melissa Mira Grant die Herkunft von Begrifflichkeiten wie Prostitution oder Sexarbeit, lässt Geschichte und Forderungen der Hurenbewegung Revue passieren und erläutert die vielen Facetten der Diskriminierung. Radikal prostitutionskritische Feministinnen sind der Autorin dabei ein besonderer Dorn im Auge und die Auseinandersetzung mit ihnen durchzieht das gesamte Buch. Scheinheilig schlössen sie Sexarbeiterinnen von der Debatte um die Prostitution aus und inszenierten sich anschließend als "Sprachrohr der Stummen".
Schattenseite des Sex-Business fehlt
Die Autorin bearbeitet in ihrem Buch schwieriges Terrain, auf dem es von moralisch übererregten und ausgrenzenden Zuschreibungen wimmelt. Aufrecht kämpft sie sich durch dieses Dickicht, dabei gerät ihr Text streckenweise unsortiert und assoziativ, dann wieder dicht und pfeilgenau. In ihrem Unmut gegen die Kritikerinnen und Kritiker der Sexbranche lässt Melissa Gira Grant vieles unter den Tisch fallen, was sehr wohl in ein solches Buch gehört hätte. So finden die Schattenseiten des Sex-Business im Buch nirgendwo statt - selbst wenn ein Übermaß an Elend zur kollektiven Prostitutionsfantasie gehört, hätte man sich Einlassungen aus ihrer Feder zu diesem Thema gewünscht. Dennoch klingt die Kernthese der Autorin so bodenständig, dass man ihr nur beipflichten kann: Armut, Überschuldung, Mangel an gesellschaftlichen Chancen, ein unbezahlbares Gesundheitssystem erzeugen die Sex-Branche - nicht die sexuellen Wünsche der Männer.

Melissa Gira Grant: "Hure spielen - Die Arbeit der Sexarbeit"
aus dem Englischen von Georg Felix Harsch, mit einem Vorwort von Mithu M.Sanyal
Verlag Nautilus Flugschrift, Hamburg 2014
192 Seiten, 14,90 Euro

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