Querdenker

Die Wurzeln einer rechtsoffenen Bewegung

09:03 Minuten
Eine Menschenmenge mit Plakaten auf einer Straße in Stuttgart. Menschen in neongelben Westen stehen vorn, einige Demonstranten schwenken Deutschlandfahnen, eine Regenbogenfahne ist zu sehen, andere halten ein Schild im Stil eines Ortschilds hoch, auf dem Stuttgart steht.
Demonstration von Querdenken 711 in Stuttgart am 3. April 2021: Das Spektrum der Teilnehmer ist breit, Kulturwissenschaftler Steffen Greiner hat eine Gemeinsamkeit ausgemacht. © imago / Arnulf Hettrich
Steffen Greiner im Gespräch mit Christian Rabhansl · 28.05.2022
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In der Coronapandemie demonstrierten Menschen mit Friedensfahnen und Reichsflaggen gemeinsam. Steffen Greiner erklärt in seinem Buch, warum Querdenken keine neue Erscheinung und Schwaben ein regionaler Schwerpunkt der Bewegung ist.
Vor zwei Jahren sind sie plötzlich in Bussen quer durch die Republik gefahren, um schließlich auch in der Hauptstadt Berlin zu demonstrieren: Es war ein bunter Haufen – Friedensfahnen wurden neben Reichsflaggen geschwenkt, Hippie-Frisuren waren ebenso zu sehen wie höchstwahrscheinlich politisch motivierte Glatzen.

Der Wanderprediger und die Realpolitik

Der Kulturwissenschaftler Steffen Greiner ist dem Phänomen nachgegangen und sucht in seinem Buch „Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern“ nach historischen Wurzeln der Bewegung. Der Buchtitel etwa ist ein Zitat von Ludwig Christian Haeusser, genannt Louis Haeusser, der auch als Volkskaiser, Anführer der Wahrheitsarmee und Diktator der Vereinigten Staaten von Europa in der frühen Weimarer Republik firmierte und reüssierte.
„Er ist ein Bauernbub aus Schwaben, der zum Hochstapler wird, als Sektfabrikant in Paris agiert, bevor ihn eine Vision ereilt und er sein ganzes Vermögen verschenkt und kurz nach dem Ersten Weltkrieg als Wanderprediger durch Deutschland zieht“, beschreibt Greiner den Spross eines Weinbauern.
Haeusser findet damals eine beträchtliche Anhängerschar, darunter auch Walter Gropius, der Haeusser ans Bauhaus einlädt. „Es ist vor allem interessant, weil Haeusser aus dieser Wanderprediger-Figura eine realpolitische Persona macht“, findet Kulturwissenschaftler Greiner. „Er gründet Parteien, etwa die ‚Christlich-radikale Volkspartei‘ die in den frühen 1920er-Jahren sehr viel davon vorwegnimmt, was wir heute kennen von Parteien der spirituellen Querfront, wie ich es nenne.“
Ein aktuelles Beispiel davon sei „Die Basis“, aber auch die Grünen hätten ursprünglich eine Bewegung sein wollen, die jenseits von links und rechts steht und von innen heraus gegen das Parteiensystem agiert.

Querfront und Impfgegner

Die Querfront sei tatsächlich eine Strategie, die von rechts kommt, erklärt Greiner. „Im Fall der 20er-Jahre hatte es noch einen anarchistischen Reiz, der heute verloren gegangen ist.“ Historisch sei es eine „total vielfältige Bewegungssoße“, so Greiner weiter: Alle vereine aber, „dass sie daran glauben, dass es eine Reinheit gibt, die von außen, von Fremden angegriffen werden kann.“

Steffen Greiner: "Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern"
Tropen Verlag, Stuttgart 2022
272 Seiten, 20 Euro

Das mache die frühe Bewegung anschlussfähig für die Impfgegner von heute: „Es geht immer um was ganz Authentisches, was beschmutzt werden kann.“ Das könne sehr schnell ins Menschenfeindliche kippen, denn Ideen wie Antisemitismus und Eugenik steckten strukturell immer schon mit in dieser Gedankenwelt, betont Greiner.
Es habe in der Querdenken-Bewegung in der Zeit der Coronapandemie auch eine Tendenz gegeben, darüber hinwegzusehen, dass Rechtsaußen die Bewegung beeinflussen oder übernehmen wollte, meint Greiner.

Das ist das, was realpolitisch gefährlich ist: Es war ein Einfallstor dafür, dass rechtsextreme Positionen und Verschwörungstheorien hörbar wurden auf einer Straße, wo man die vielleicht vorher nicht vermutet hätte.

Steffen Greiner

Schwäbisches Bürgertum und Anthroposophie

Auf die Frage, warum immer wieder Schwaben – Greiner hat ein ganzes Kapitel zu Stuttgart in seinem Buch – sagt der Autor: „Es gibt insbesondere im späteren Königreich Württemberg, also in Schwaben, eine unglaublich große Anzahl von freien Reichsstädten, in denen ein selbstbewusstes Bürgertum schon im Mittelalter oder der frühen Neuzeit regierte“, führt Greiner einen möglichen Grund für das Erstarken der Bewegung ausgerechnet im Südwesten Deutschlands auf.
Hinzu komme eine lange Tradition von Pietismus, die sehr stark mit dem Individuum und einem antiautoritären Impuls arbeite, aber zugleich erzkonservativ sei. Auch Anthroposophie und Homöopathie, die dort besonders stark seien, bieten Anschlussmöglichkeiten, so der Kulturwissenschaftler.

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