Stefano Mancuso: "Die unglaubliche Reise der Pflanzen"

Ein Loblied auf das grüne Leben

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Die Abbildung zeigt ein Buchcover auf einer Grafik: Stefano Mancuso, "Die unglaubliche Reise der Pflanzen"
Pflanzen sind faszinierende Lebenskünstler. Das lässt sich in dem schön illustrierten Buch von Botanikprofessor Stefano Mancuso nachlesen. © Klett-Cotta / Deutschlandradio
Von Susanne Billig · 03.03.2020
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Der italienische Botanikprofessor Stefano Mancuso erzählt von Bäumen, Sträuchern, Kräutern und wie ihre Ausbreitung über den gesamten Erdball gelang. Nämlich selbst in unwirtlicher Kälte, feindlicher Hitze und größter Kargheit.
Es begann mit Meersenf: Zwei Jahre, nachdem eine Vulkanexplosion 1963 südlich von Island die "Insel des Surt" aus der Tiefe gehoben hatte, landete sein Samen an deren Küste – und das unscheinbare Kraut bildete den Anfang neuen Lebens auf dem nackten Fels.
In seinem Buch "Die unglaubliche Reise der Pflanzen" erzählt der italienische Botanikprofessor Stefano Mancuso – bekannt für seinen Bestseller "Die Intelligenz der Pflanzen" – von Bäumen, Sträuchern, Kräutern, die in ihrer Ausbreitung über den gesamten Erdball unwirtlichste Kälte, feindlichste Hitze, sterile Inseln, ja, selbst Atombombenabwürfe überstehen.
"Es sind Geschichten über Pioniere, Flüchtlinge, Heimkehrer, Kämpfer, Einsiedler und Zeitreisende", preist der Autor seine grünen Protagonistinnen im Vorwort.

Schöne Geschichten über Biologie, Kultur und Menschen

Meersenf ist solch ein Pionier. Begeistert erzählt Stefano Mancuso von den ausgetüftelten Überlebensmechanismen des Kreuzblütlers: Wenn seine Samen reif sind, öffnet sich eine zweigliedrige Samenschote. Eine Hälfte fällt nah bei der Mutterpflanze in den Sand, wo es mit Sicherheit gute Keimbedingungen gibt. Die andere Hälfte lässt sich vom Meer forttragen und kann, eine Seltenheit im Pflanzenreich, jahrelang Salzwasser ertragen, bis sie eines Tages irgendwo an eine Küste gespült einen neuen Lebenszyklus beginnt.
Als geschickter Erzähler mischt Stefano Mancuso viele schöne Geschichten von Landschaften, Kulturen und botanikverliebten Menschen in seine 16 Pflanzenporträts, die solch vielversprechende Titel tragen wie "Die schöne Abessinierin", "Die Wasserhyazinthe oder Flusspferde in Louisiana" und "Der Baum des Lebens in Bahrain".

Zart illustriertes Lob der Pflanzen

In einem seiner literarischen Ausflüge stellt er den Apothekergehilfen August Engelhardt vor, der im frühen 20. Jahrhundert einen Kult für Nudisten und Kokosnuss-Verehrer gründete. Mit einem Erbe erwarb Engelhardt auf der melanesischen Insel Kabakon eine Plantage und ließ sich dort – nackt und nichts als Kokosnüsse essend – mit 30 treuen Anhängerinnen und Anhängern nieder; was die 40 ansässigen Melanesier davon hielten, ist nicht überliefert.
Doch die kokovoren Europäer starben hintereinander weg - an Unterernährung, Infektionen und Malaria, bis auch der Gründer der Kommune tot am Strand lag. Was aber hat das mit Pflanzenverbreitung zu tun? Zu seinen Lebzeiten verschenkte Engelhardt so viele Kokosnüsse, dass die Palme überhaupt erst in zahlreichen neuen Siedlungsgebieten heimisch werden konnte.
Die Reisen der Pflanzen werden im Buch begleitet von Bildern der Illustratorin Grisha Fisher. Ihre zart aquarellierten Landkarten und Stefano Mancusos Erzähltalent verbinden sich zu einer Lektüre, die bunt und leicht dahin fließt und gleichzeitig auf jeder Seite Bemerkenswertes zu berichten hat. Das Buch ist ein Loblied auf das grüne Leben, das nicht nur weit mehr wahrnehmen und kommunizieren kann, als ihm bislang zugetraut wurde, sondern es trotz seiner sesshaften Lebensweise auch geschafft hat, noch bis in den entferntesten Winkel der Erde vorzudringen.

Stefano Mancuso: "Die unglaubliche Reise der Pflanzen"
Aus dem Italienischen von Andreas Thomsen
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019
154 Seiten, 22 Euro

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