Slawistik
Selbst in der Ostslawistik gibt es mangelnde Sprachkenntnisse des Ukrainischen, sagt Alexander Kratochvil. © picture alliance / dpa / CTK / Vit Cerny
Ukrainisch ist ein blinder Fleck
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Das Wissen über die Eigenständigkeit der Ukraine sei in Deutschland kaum ausgeprägt, sagt der Slawist Alexander Kratochvil. Auch in den Sprachwissenschaften gebe es kaum Kontinuität bei der Forschung zur ukrainischen Sprache.
Der Angriff auf die Ukraine hat auch den Blick auf Kultur, Sprache und Geschichte des Landes geschärft. Die Kenntnis über die Ukraine hierzulande ist bisher oft verengt durch ihre Zugehörigkeit zur Sowjetunion und überlagert von der Geschichte Russlands.
Veraltete Denkstrukturen verengen den Blick
Eine speziell auf die Ukraine ausgerichtete Forschung fehle in Deutschland, sagt der Historiker Martin Schulze Wessel, der auch vor der Zerstörung ihrer kulturellen Identität warnt. In den Sprachwissenschaften gebe es immer wieder einzelne Studien zur ukrainischen Sprache und Literatur, aber eine institutionalisierte und kontinuierliche Forschung dazu finde nicht statt, sagt der Slawist Alexander Kratochvil.
Das habe mit historischen und imperialen Konstellationen zu tun: "Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat es sich sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR eingebürgert, dass sowjetisch in der Regel mit russisch gleichgesetzt worden ist. Diese Denkstrukturen haben sich fortgesetzt und sind möglicherweise auch vielen Slawisten nicht bewusst."
Die Russistik dominiert die Ostslawistik
Das fehlende Bewusstsein habe mit mangelnden Sprachkenntnissen und der Dominanz Russlands zu tun. Viele studierten im Fach Ostslawistik Russisch und hätten dann Sprachaufenthalte und Kooperationspartner in russischen Städten. Dadurch fahre man auf einer bestimmten Schiene und schaue nicht mehr nach rechts oder links.
"In der deutschen Slawistik gibt es im Bezug auf die ukrainische Sprache Wahrnehmungsdefizite, die geprägt sind durch einen gewissen russischen kulturellen Kolonialismus", sagt Kratochvil.
Der Krieg habe aber dazu beigetragen, dass sich die Ostslawistik verändere: "Man überlegt nun, wie man Studien zur ukrainischen Literatur und Sprache über internationale Kooperationen und wissenschaftlichen Austausch mehr in den Mittelpunkt rücken kann. Das wird aber nicht ausreichen, solange es keine Lehrstühle gibt, die mit Slawisten besetzt sind, die eine Kompetenz im Ukrainischen mitbringen. Fast alle Lehrstühle in der Ostslawistik sind mit Russisten besetzt."