Skincare-Hype im Netz

Wie viel Hautpflege brauchen wir wirklich?

07:14 Minuten
Zwei Mädchen legen sich Gesichtsmasken auf.
Reinigungsschaum, Hyaluronspray, Retinolserum: Influencer empfehlen zahlreiche Produkte zur Gesichtspflege. © imago / Westend61
Von Caren Miesenberger · 12.01.2023
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Hautpflege ist ein riesiger Social-Media-Trend. Gerade Jugendliche informieren sich auf Instagram und TikTok darüber, benutzen mitunter mehr als zehn Produkte bei der täglichen Pflegeroutine. Das ist teuer – aber ist es auch wirklich gut für die Haut?
Montag, 21 Uhr: Ich stehe im Badezimmer und pflege meine Haut. Erst ein Reinigungsöl in die trockene Haut einreiben, dann abwaschen. Dann wasche ich mein Gesicht mit einem Reinigungsschaum. Das sogenannte Double Cleansing soll wirklich allen Schmutz entfernen. Kurz trocknen, weiter geht es. Ein Hyaluronspray als Toner, früher Gesichtswasser genannt. Dann trage ich ein Retinolserum auf. Das soll die Hautalterung verlangsamen. Zum Schluss reibe ich eine Feuchtigkeitscreme ein, die dafür sorgen soll, dass die Wirkstoffe alle auch gut in die Haut einziehen können.
Jeder Abend sieht so oder so ähnlich aus. Morgens geht es etwas schneller. Aber insgesamt kostet meine Skincare-Routine mich täglich rund 40 Minuten Lebenszeit. Habe ich das schon immer so gemacht? Nein. 2020 habe ich wie so viele andere mehr Zeit auf Social Media verbracht als vor der Pandemie. Auf Instagram und TikTok wurde Skincare zu einem riesigen Trend, bis heute, und auch ich wurde in den Sog gezogen.

Viele Pflegetipps, viele Produkte

Leon aka Xskincare ist wohl der bekannteste Hautpflege-Influencer Deutschlands. Auf Instagram und TikTok folgen ihm zusammen rund 1,3 Millionen Accounts – manche, so wie ich, auf beiden Kanälen. Leon, der weder Nachname noch Wohnort preisgibt und auf meine Presseanfrage nicht reagiert, gibt an, Biologie studiert zu haben. Für den Großteil seiner Follower spielt das aber kaum eine Rolle. Denn er gibt Hautpflegetipps, bewertet Produkte und teilt Fachwissen und wirkt dabei authentisch, kompetent und lebensnah.
Oft kritisiert Leon Firmen, die teure Hautpflegeprodukte verkaufen. Das macht ihn glaubwürdig. Er wirkt wie ein guter Freund, der nur dein Bestes will. Aber Leon entwickelt und vermarktet auch selbst Hautpflegeprodukte, und auch ich kaufe ich mir sehr viel von dem, was er empfiehlt. Bis ich 2021 meine Haut durch Überpflege ruiniere.

Zu viel Pflege kann Haut krankmachen

Wie konnte das passieren? Das weiß Claudia Borelli. Sie leitet die Einheit für Ästhetische Dermatologie und Laser an der Universitätshautklinik Tübingen und ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Ästhetische Dermatologie und Kosmetologie. Eine periorale Dermatitis durch eine überpflegte Haut entstehe, weil viele Hauttypen gar nicht so reichhaltige Produkte benötigten. Es werde einfach zu viel aufgetragen. „Die Haut reagiert daraufhin mit vielen kleinen Eiterpickeln, vor allen Dingen um den Mund oder auch um die Augen herum.“
Das habe es auch früher schon gegeben, vor allem bei jungen Frauen. „Es heißt ja auch umgangssprachlich Stewardessen-Krankheit. Das ist natürlich jetzt nicht ganz richtig, aber wer viel Hautpflege betreibt, den kann das dann ereilen.“ Das Phänomen trete heutzutage auch im Rahmen der extensiven Beauty-Routine aus dem Internet auf. „Dass es zu viel ist, weil viele gar nicht so viele Produkte auf dem Gesicht täglich benötigen.“
Das war auch bei mir der Fall: Ich habe mir irgendwann so viele Produkte ins Gesicht geschmiert, dass ich überall rot wurde. Das sah nicht nur unschön aus, sondern tat auch weh. Weil ich drei Monate hätte warten müssen, um dermatologisch behandelt zu werden, mache ich mich im Internet schlau. Es verordnet mir eine Nulltherapie. Also erstmal gar keine Produkte mehr.

Andere Hauttypen, andere Pflege

Nach einem Monat ist meine Haut wieder okay, und natürlich will ich wieder mit Skincare anfangen. Aber ich frage mich: Braucht die Haut wirklich so viel, wie ich in meiner eingangs erwähnten Routine unterbringe? „Nicht jeder braucht das alles“, betont Borelli. Menschen mit einer sehr trockenen Haut sollten sich nach dem Waschen auf jeden Fall mild reinigen und brauchen auch eine Rückfettung, also Feuchtigkeit, sonst werden sie mit einer trockenen Haut reagieren.“ Dabei geht es um Hauttypen, die eher zu einer Neurodermitis neigen, eine Rosazea oder empfindlichere Haut haben. „Bei denen ist es durchaus richtig, nach dem Waschen etwas aufzutragen.“
Wer eine fettige Haut hat und zu Entzündungen und Akne, Pickeln neigt, brauche eine solche Pflege nicht in dem Maße. „Die brauchen die Reinigung“, sagt Borelli. „Aber dann brauchen sie nicht noch die nächste Lage und die nächste Lage und die nächste Lage.“ Eine gute Reinigung sei übrigens für alle Hauttypen zu empfehlen. „Damit wir einfach das, was über den Tag auf unserer Haut landet, Rußpartikel, Dieselpartikel, Talg, abends und morgens runternehmen. Das ist für die Haut gut. Da gibt es gute Studien, die das zeigen, dass das eben das Hautbild länger gut erhält.“

Influencer-Empfehlungen hinterfragen

Eine Sache, die ich auf Social Media von Influencern gelernt habe, ist: Man soll täglich Sonnenschutz benutzen. Es soll vor Hautkrebs schützen, aber auch Pickeln und Falten vorbeugen. „Völlig richtig“, sagt dazu Hautärztin Borelli. „Das propagieren wir Dermatologen ja schon lange.“ Es sei wichtig, „dass wir jeden Tag UV-Schutz brauchen, nicht nur an den Tagen mit einer fantastischen Sonne. UV kommt auch durch die Wolkendecke durch. Das ist richtig, dass man darauf achtet.“
Was Influencer so posten, ist also nicht prinzipiell Humbug. Trotzdem vermischen viele Skincare-Influencer wie Leon Information und Werbung. Claudia Borelli plädiert deshalb dafür, mit Vorsicht zu genießen, was Influencer so empfehlen. „Die Menschen sind ja nicht unbedingt dafür ausgebildet. Da ist auch viel Wildwuchs dabei, viel Werbung. Er wird viel Geld verdient. Das ist etwas, was den Usern bewusst sein sollte. Da muss man einfach selber auch ein bisschen aufpassen: Von wem habe ich meine Informationen und ist er eigentlich dafür geschult, mir diese zu geben.“
Empfehlenswert für Skincare-Fans auf Instagram ist also: Kritisch gucken, wer mir da überhaupt Informationen vermittelt. Macht der Influencer Markenkooperationen? Hat er eigene Produkte herausgebracht? Hat die Hautärztin mit 10.000 Followern zwar eine eigene Praxis, aber in dieser kann nur privat gezahlt werden?
Diese Fragen können helfen, herauszufinden, wie finanzielle Interessen gelegen sind, und so viel Spaß es auch macht: Social Media kann eine persönliche Behandlung bei Hautkrankheiten nicht ersetzen. „Ich schaue jeden Patienten mit einer großen Lupe an, damit ich wirklich sehe, was auf dieser Haut los ist“, sagt Borelli. „Man kann nicht pauschal beraten. Das ist Unsinn.“
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