Sexuelle Belästigung

Von Rechtslücken und Gegenstrategien

Auf einer Illustration berührt eine männliche Hand ein weibliches Knie - Symbolbild für sexuelle Belästigung.
Sehr viele Frauen können von physischen und verbalen sexuellen Übergriffen berichten: Studien beschreiben diese schlicht als "Alltagserfahrung". © Getty Images / fStop / Malte Mueller
03.07.2023
Sexuelle Belästigung ist seit 2016 strafbar – aber nur, wenn der Täter auch körperlich übergriffig wird. Verbale Entgleisungen sind hingegen nicht direkt mit Strafe bedroht. Sollte sich das ändern? Und was kann man tun, wenn man belästigt wird?
Sexuelle Belästigung ist weit verbreitet. Neun von zehn Frauen haben sich laut einer Studie des Instituts für Angewandte Sexualwissenschaft und der Hochschule Merseburg schon einmal verbal belästigt gefühlt - und fast genauso viele berichten von unerwünschten und unnötigen körperlichen Berührungen. Sechs von zehn Frauen sagen, sie wurden schon einmal durch Voyeuristen "beglotzt", zum Beispiel in der Sauna. Und knapp die Hälfte hat unerwünschte Nachrichten sexuellen Inhalts oder auch entsprechende Bilder bekommen. Es gibt natürlich auch männliche Betroffene: Doch hier sind die Zahlen sehr viel kleiner.

Was ist eine sexuelle Belästigung?

Im Allgemeinen wird unter sexueller Belästigung verstanden, dass sich eine Person einer anderen sexuell in einer Weise nähert, die als unangenehm oder verstörend empfunden wird und mit der die Betroffene nicht einverstanden ist. Das kann ein Klaps auf den Po sein, das berühmte "Grapschen", ein aufgedrängter Kuss oder eine erzwungene Umarmung.
Auch vollkommen unangebrachte Bemerkungen können sexuell belästigend sein. Erheblich sei eine solche verbale Belästigung vor allem dann, "wenn sie eine Person in ein sexuelles Geschehen einbezieht, einen erniedrigenden oder einschüchternden Charakter hat, eine gewisse Dauer hat oder wenn die betroffene Person ihr nicht auf zumutbare Weise ausweichen kann", heißt es in einem sozialdemokratischen Positionspapier aus dem Bundestag.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes weist zudem daraufhin, dass es auch sexuelle Belästigungen gibt, die weder physisch noch verbal sind: beispielsweise anzügliche Blicke oder das Zeigen pornografischer Bilder.
Die Sozialpsychologin Sandra Schwark betont, dass die Deutungshoheit über die jeweilige Belästigung immer bei der betroffenen Person liegt. "Häufig wird sexuelle Belästigung als fehlgeschlagener Flirtversuch abgetan", sagt Schwark. "Da muss man ganz klar sagen: Das ist nicht der Fall. Es geht letztendlich um Machtausübung."
Doch spätestens vor Gericht ist es vorbei mit der Deutungshoheit: Hier muss ein Richter oder eine Richterin überzeugt werden, dass ein Verstoß gegen einen Straftatbestand vorliegt.

Wann ist eine sexuelle Belästigung strafbar?

Entscheidend für diese Frage ist der Paragraph 184i im Strafgesetzbuch. Demnach macht sich strafbar, wer eine andere Person gegen ihren Willen in sexueller Weise körperlich berührt. Notwendig für die Strafbarkeit ist also eine "körperliche Berührung, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild in einem sexuellen Zusammenhang steht", wie eine Hamburger Fachkanzlei für Sexualstrafrecht ausführt. Das Opfer müsse sich zudem vom Täter durch dessen Handlung sexuell belästigt fühlen.
Verbale Entgleisungen sind hingegen derzeit nicht von Strafe bedroht, es sei denn, sie erfüllen den Tatbestand der Beleidigung. Eine Bemerkung wie “Hallo, schöne Frau” werde diesen Tatbestand nicht erfüllen, schreibt der Münchner Anwalt Florian Wehner. Es müssen demnach schon obszöne Äußerungen oder herabwürdigende Bemerkungen (“Flittchen”, “Schlampe”) gefallen sein, damit sich die Betroffene juristisch wehren kann.

Bis zu fünf Jahre Gefängnis für schwere Fälle

Wehner verweist zudem darauf, dass es Grenzfälle gibt, "bei denen von außen betrachtet kaum zwischen einem unbeholfenen Annäherungsversuch und einem absichtlichen Zunahetreten unterschieden werden kann". Nicht jeder Flirtversuch oder jede "körperliche Annäherung mit dem Ziel, bei der anderen Person 'zu landen'”, stelle eine Belästigung dar, betont er.
Juristisch wird die sexuelle Belästigung von Straftatbeständen wie dem sexuellen Missbrauch, der sexuellen Nötigung oder der Vergewaltigung abgegrenzt - Straftaten, die noch schwerer wiegen. Die sexuelle Belästigung wird mit einer Geldstrafe oder einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren geahndet - in besonders schweren Fällen können auch bis fünf Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden.

Wie oft kommt es zu sexuellen Belästigungen? Wie groß ist das Problem?

Sexuelle Belästigung ist ein allgegenwärtiges Problem. Nach einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz eher die Regel als die Ausnahme. 62 Prozent der für die Untersuchung Befragten erlebten Belästigungen in Form von sexualisierten Kommentaren, 44 Prozent berichteten von unerwünschten Blicken und Gesten und 26 Prozent von unerwünschten Berührungen.
Andere wissenschaftliche Arbeiten kommen zu ähnlich hohen Zahlen. Laut einer Studie des Instituts für Angewandte Sexualwissenschaft und der Hochschule Merseburg haben sich neun von zehn Frauen schon einmal verbal belästigt gefühlt - und fast genauso viele berichten von körperlichen Grenzüberschreitungen.

Sexuelle Belästigung als "Alltagserfahrung"

Auch eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen beschreibt die sexuelle Belästigung schlicht als "Alltagserfahrung". Hier wird darauf verwiesen, dass sexuelle Belästigung nicht nur Frauen, sondern oft auch diverse Personen und solche aus dem LGBTQIA+-Personenkreis trifft.
Die Belästiger sind in der Regel männlich, die Belästigten meist weiblich und jung, berichtet Stefanie Lohaus vom Bündnis "Gemeinsam gegen Sexismus". "Je mehr man in einem Abhängigkeitsverhältnis ist, desto häufiger passiert es und umso schwieriger ist es, damit umzugehen", ergänzt die Sozialpsychologin Sandra Schwark.

Warum will die SPD auch verbale sexuelle Belästigungen unter Strafe stellen?

Die SPD-Bundestagsfraktion will die juristischen Möglichkeiten beim Kampf gegen sexuelle Belästigung erweitern. "Obwohl jede einfache Beleidigung strafbar ist, sind selbst anstößige und einschüchternde verbale sexuelle Belästigungen im Regelfall straflos", kritisiert die rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, Sonja Eichwede. Sie verweist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der die Aufforderung eines 65-jährigen Mannes an ein elfjähriges Mädchen, ihm zu folgen, da er "an ihre Muschi fassen wolle", als nicht strafbar wertete.
Die SPD-Fraktion schlägt deswegen nun einen neuen Straftatbestand für "gezielte, offensichtlich unerwünschte und erhebliche verbale und nicht-körperliche sexuelle Belästigungen" vor, wie es in einem Positionspapier heißt. Zwar gebe es Tatbestände im Strafgesetzbuch und im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Diese seien bei verbaler und nicht-körperlicher sexueller Belästigung in den meisten Fällen aber nicht erfüllt, so dass diese im Regelfall straflos bleibe.
"Das ist in einer gleichberechtigten Gesellschaft nicht akzeptabel", meint die Abgeordnete Carmen Wegge, die in der SPD-Fraktion für das Thema federführend zuständig ist. "Gewalt gegen Frauen wird in unserer Gesellschaft oft noch immer nicht ernst genommen, obwohl das Ausmaß riesig ist", sagt Wegge: "Auch verbale sexuelle Belästigungen werden verharmlost, dabei sind die Folgen erheblich: von der Vermeidung bestimmter öffentlicher Orte durch Betroffene bis hin zu psychischen Folgen wie Depressionen, Schlafstörungen und Antriebsarmut."
Unabhängig vom subjektiven Empfinden der Betroffenen liege bei einer verbalen sexuellen Belästigung objektiv eine Beeinträchtigung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung vor. "Solche Übergriffe nehmen der jeweils betroffenen Person das Recht, in einer Situation selbst zu bestimmen, ob sie Teil eines sexualbezogenen Geschehens sein möchte oder nicht. Jede sexuelle Belästigung beinhaltet eine Herabwürdigung zum Sexualobjekt", heißt es in dem Entwurf.

Die "normierende" Wirkung von Strafe

Auch Stefanie Lohaus vom Bündnis "Gemeinsam gegen Sexismus" spricht von Schutzlücken. Über den Straftatbestand der Beleidigung zu gehen finde bei verbaler sexueller Belästigung in der Rechtspraxis nur selten statt. Ein neuer Straftatbestand hätte eine "normierende Wirkung", betont sie - könne aber nur eine Maßnahme von vielen sein. Ihr "Bündnis gegen Sexismus" versucht deswegen, das Problem noch weiter in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken. Auch der Deutsche Juristinnenbund hat schon gefordert, für verbale sexuelle Belästigung einen Straftatbestand zu schaffen.

Was kann man tun, wenn man sexuell belästigt wird?

"Sexuelle Belästigung führt zu einem Gefühl der Unsicherheit, zu einem Gefühl der Wut. Ich merke, ich werde hier zum Objekt gemacht. Mein Handlungsspielraum fühlt sich eingeschränkt an", sagt Stefanie Lohaus vom Bündnis "Gemeinsam gegen Sexismus". Wie man sich dann in einer solchen Situation wehrt? Es sei schwierig, darauf pauschal zu antworten, betont die Expertin.
Wie man reagiere, habe auch mit der eigenen Persönlichkeit zu tun, sagt Lohaus. Sie selbst werde bei sexueller Belästigung "wahnsinnig wütend und auch aggressiv". Sie wisse aber nicht, "ob das immer die richtige Antwort ist".

Flüchten, wenn es gefährlich wird

Es gehe letztlich auch um die Frage, wie bedrohlich die Situation sei. Wenn es gefährlich werde, versuche sie selbst, sich zu entfernen, sagt Lohaus. Wenn es hingegen Dritte als Ansprechpersonen wie beispielsweise im Freibad gebe, die helfen könnten, würde sie immer diese Option wählen.
Die Reaktion hängt also auch vom Ort ab, an dem die sexuelle Belästigung stattfindet. Auch in Bussen und Bahnen kann es helfen, eine nicht beteiligte Person anzusprechen oder sich einfach umzusetzen, notfalls auch auszusteigen. Priorität hat immer die eigene Sicherheit.
Chiara Makowski vom Frauenberatungszentrum Köln betont, dass die Betroffenen nicht viel Einfluss darauf haben, wie sie auf eine sexuelle Belästigung reagieren: "So eine Situation löst eine Art Notfallreaktion im Gehirn aus. Deshalb ist es auch völlig 'normal', wenn man in einer Schockstarre ist", sagt sie. Jede Person stecke für sich selbst die Grenzen ab, sagt Makowski - und diese sollte man immer ernstnehmen und auch benennen.
Ist die Situation vorbei, kommt die Frage auf: Was jetzt? Chiara Makowski rät dazu, eine Beratungsstelle zu kontaktieren und über die Situation und mögliche nächste Schritte zu sprechen. Das kann dann auch eine Anzeige bei der Polizei sein - öffentliche Räume wie Bahnsteige werden oft von Kameras überwacht. Fand die sexuelle Belästigung hier statt, gibt es eine Chance, dass sie aufgenommen wurde und damit zweifelsfrei bewiesen beziehungsweise der Täter identifiziert werden kann.

ahe, dpa
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