Sexuelle Belästigung

Was Männer für die Sicherheit von Frauen tun können

Frau wird unbemerkt von Mann in Geschlechtssymbolen beobachtet.
Statt einer Frau im Dunkeln hinterherzulaufen, könnten Männer vielleicht auch einfach selbst mal die Straßenseite wechseln. © imago images / Ikon Images / Gary Waters
02.11.2023
Bei der Debatte über sexuelle Belästigung wird viel darüber gesprochen, wie sich Frauen selber schützen sollen. Dabei können vor allem Männer dazu beitragen, dass sich Frauen sicherer fühlen.
Etwa jede dritte Frau in Deutschland erlebt laut einer Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums von 2004 in ihrem Leben physische oder sexualisierte Gewalt. Noch viel häufiger sind sexuelle Belästigungen, bei denen es nicht zu Körperkontakt kommen muss. Das Spektrum dabei ist groß: Das können Hinterherpfeifen, sexistische Witze oder schlüpfrige Anmerkungen von Männern sein, die plumpe Anmache im Bus oder auf dem dunklen Nachhauseweg.
Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen auf Basis einer Online-Umfrage mit fast 4.000 Teilnehmern im Jahr 2021 ergab: Fast alle Befragten haben in den vergangenen drei Monaten erlebt, dass ihr Aussehen bewertet und dass sie angestarrt wurden. Mehr als die Hälfte gab an, sexuellen Annäherungsversuchen, sexistischen Sprüchen und anzüglichen Bemerkungen ausgesetzt gewesen zu sein. Die Studienteilnehmer waren durchschnittlich 30 Jahre alt und fast 90 Prozent waren Frauen.

Gegenstrategien von Männern statt Täter-Opfer-Umkehr

Es gibt zahlreiche Empfehlungen, wie sich Frauen vor solchen Situationen angeblich schützen können. Aber ist es die richtige Strategie, Frauen in die Hauptverantwortung zu nehmen und ihnen bestimmte Verhaltensregeln nahezulegen? Sollte man die Frage stattdessen nicht an Männer richten: Was könnt ihr tun, damit sich Frauen sicherer fühlen können?
Auf Seiten der Männer braucht es dafür Sensibilität für solche Fragen und die Bereitschaft, sich in die weibliche Perspektive hineinzudenken. Männer, die mit Schwestern aufwachsen, haben da womöglich einen Vorsprung. Aber auch Erfahrungen in Kindergarten und Schule können eine entscheidende Rolle spielen, um positive Männlichkeitsbilder und den Umgang mit Frauen frühzeitig als gleichberechtigtes Miteinander einzuüben.

Die eigene Männlichkeit kritisch hinterfragen

Ein erster Schritt könnte sein, über das eigene Selbstverständnis als Mann nachzudenken. Und dabei auch das eigene Verhalten in der Vergangenheit zu hinterfragen. Eine Studie der Hochschule Merseburg im Auftrag des Landes Sachsen-Anhalt hat ergeben, dass Jüngere in Bezug auf sexuelle Grenzverletzungen sensibler sind. Das liege daran, dass der gesellschaftliche Diskurs über das Thema zunimmt.
"Es gibt sie, Männer, die offen zugeben, welches nervtötende Verhalten sie früher mal für besonders männlich gehalten haben", schildert die Journalistin Christina Küfner die mögliche Wandlung.
In diesem Fall fühlte sich Küfners Gesprächspartner beispielsweise früher männlicher, wenn er einen sexistischen Witz machte. Das Gefühl der eigenen Männlichkeit habe bei ihm zum Teil darauf beruht, sich gegenüber Frauen klar abzugrenzen und andere abzuwerten. Ein kritischer Umgang mit solchen Selbstbildern könnte also ein wichtiger Anfang sein.

Sexualisierte Gewalt fängt früher an

Der Autor Fikri Anıl Altıntaş fordert schon länger, dass sich Männer mit Gewalt gegen Frauen auseinandersetzen. Auch wenn sie für sich festhalten, dass sie mit physischer Gewalt nichts zu tun haben. Denn: „Es gibt, glaube ich, eine starke Unwissenheit darüber, wann eigentlich sexualisierte Gewalt anfängt“, sagt Fikri Anıl Altıntaş. „Sexualisierte Gewalt fängt nicht erst bei physischer Gewalt an, sondern hört genau da im Zweifel auf. Aber sie fängt viel früher an.“
Deshalb müssten sich Männer stärker damit auseinandersetzen, wie sie ihre Männlichkeit leben, so der Autor. Das sollten sie kritisch, aber auch „ganz resolut“ tun. Denn sonst schützten und reproduzierten sie ein System, das Täter schütze, erklärt Fikri Anıl Altıntaş.
Wie sich die Gewalt gegen Frauen in den vergangenen Jahren entwickelt hat, werden 2025 die ersten Ergebnisse einer aktuellen repräsentativen Befragung unter Beteiligung des Bundesfamilienministeriums zeigen. Silvia Zenzen vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe geht davon aus, dass sich die Ergebnisse von 2004 nicht verbessert haben werden. Eher im Gegenteil. Die Zahl an Hilfsanfragen sei konstant hoch.

Solidarität auf der Straße

Männer können aktiv dazu beizutragen, dieses System aufzubrechen. Dazu könnte zum Beispiel auch gehören, dass sich große, kräftig gebaute Männer ihrer Statur bewusst sind und reflektieren, dass sie möglicherweise einschüchternd wirken. Allein aus Rücksicht könnte ein Mann in der Dunkelheit selbst die Straßenseite wechseln, statt hinter einer Frau herzugehen.
Und wer sich selbst nicht als Täter sieht, sollte aufmerksam bleiben, wie sich andere gegenüber Frauen verhalten. Nähert sich jemand in aufdringlicher Weise in der U-Bahn oder im Club einer Frau, sollte man nicht wegschauen und passiv bleiben, sondern fragen, ob die Frau Unterstützung oder Hilfe braucht.

Solidarität mit Frauen im Berufsleben

Einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2019 zufolge war jede elfte erwerbstätige Person in den vergangenen drei Jahren von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen. Frauen dabei deutlich häufiger und vor allem im Gesundheits- und Sozialwesen.
Am Arbeitsplatz könnten Männer deshalb darauf achten, dass ihre Kolleginnen nicht alleine für sich kämpfen oder von männlichen Stimmen unterbrochen werden. Statt Ausgrenzung und Männerkumpanei sollte Solidarität mit Kolleginnen selbstverständlich sein. Das kann dazu beitragen, ein gleichberechtigtes Klima für alle zu schaffen, in dem sexuelle Belästigungen keinen Raum haben.

Privatleben ist kein Tabu

Jede vierte Frau in Deutschland wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner, unabhängig von ihrem Alter oder ihrer sozialen Herkunft. Das heißt, aufmerksam zu sein, ist nicht nur im öffentlichen Leben wichtig, sondern auch im Freundes- und Bekanntenkreis. Wer verbale Entgleisungen oder gar gewaltsame Übergriffe miterlebt, sollte die eigene Scheu, sich in Privatangelegenheiten einzumischen, überwinden.
Die Opfer-Anwältin Christina Clemm wirbt dafür, auch in Alltagssituationen im Freundeskreis aufmerksam zu sein. „Das kennen wahrscheinlich viele von uns, dass man mit einem Paar unterwegs ist und dann gibt es so ganz abwertendes Verhalten“, sagt sie. „Und alle lächeln das weg und übergehen das.“
Dabei könne man bei dem Mann nachfragen „Warum machst Du das eigentlich?“ Es sei besser, ein aggressives Verhalten einmal zu viel anzusprechen und im besten Fall ein Nachdenken anzuregen, als zu schweigen, ist das Plädoyer von Clemm.

Anlaufstelle für Männer

Bei Gewalttätigkeiten gegen Frauen bleibt der Weg zur Polizei oft die einzige Alternative. Auch davor sollte man nicht zurückschrecken, wenn man Zeuge wird.
Für Männer, die gewalttätig werden und selbst Hilfe suchen, gibt es bisher nur wenige Anlaufstellen. Eine ist der Verein „Männer contra Gewalt e.V.“, der eine bundesweite Hotline anbietet. Dort haben sich Männer zusammengetan, in deren beruflichem Umfeld Männergewalt immer wieder vorkommt, darunter Ärzte, Psychotherapeuten, Polizisten, Rechtsanwälte und andere Männer, die gegen Männergewalt etwas tun wollen.

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