Ursula Schwitalla (Hg.): "Frauen in der Architektur"

In Beton gegossene Diskriminierung

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Buchcover des Sachbuchs "Frauen in der Architektur"
Wie sehr Architektur noch immer eine Männerdomäne ist, zeigt das Buch "Frauen in der Architektur". © Deutschlandradio / Hatje Cantz
Von Eva Hepper · 12.03.2021
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Starkult, Vorurteile und Sexismus: Frauen waren lange nicht sichtbar in der Welt der Architektur. Zeit, dass sich das ändert! Ein prächtiger Bildband feiert nun die Arbeit von zeitgenössischen Architektinnen und wegweisenden Pionierinnen.
Seit 1907 ehrt das "American Institute of Architects" (annähernd jährlich) eine Persönlichkeit, die "Theorie und Praxis der Architektur nachhaltig beeinflusst". Über 100 Jahre fiel die Wahl dabei ausschließlich auf Männer, erst 2014 kam mit Julia Morgan eine Frau an die Reihe. Leider war die Amerikanerin, die über 700 Bauten konzipiert hatte, da schon 57 Jahre tot!
Kaum anders sieht die Geschlechtergerechtigkeit beim Pritzker-Preis aus. Noch 1993 verweigerte die Jury Denise Scott Brown die Ehrung und würdigte allein ihren Partner Robert Venturi, obwohl dieser sich für eine gemeinsame Auszeichnung eingesetzt hatte. So war Zaha Hadid 2004 die erste Architektin, der die weltweit bedeutendste Auszeichnung der Zunft verliehen wurde.

Beeindruckende Zeugnisse modernen Bauens

Wie schwer es für Frauen war und teils noch immer ist, sich in der männlich dominierten Welt der Architektur durchzusetzen, beleuchtet nun ein eindrucksvoller Bildband, der in die (weibliche) Architekturgeschichte einführt, einen Ausblick in die Zukunft wagt und 36 internationale Architektinnen mit aktuellen Bauten vorstellt; darunter Museen, Universitäten, Wohnhäuser, Villen und experimentelle Positionen.
Die Niederländerin Nathalie de Vries etwa ist mit ihrer an einen Bücherberg erinnernden Bibliothek (Spijkenisse, 2012) vertreten, die Dänin Lene Tranberg wird mit einem visionären Studentenwohnheim (Kopenhagen, 2005) vorgestellt, Farshid Moussavi aus dem Iran ist mit spektakulären Wohnhäusern (Montpellier, 2017) dabei und die in Pune, Indien, geborene und in Potsdam lehrende Anupama Kundoo mit ihren "Full Fill Homes" (Auroville, 2016): nachhaltigen, in Modulbauweise zu errichtenden Wohnstätten.

Inspirierend und überfällig

Es sind durchweg beeindruckende Zeugnisse modernen Bauens, und gerade in der Zusammenschau zeigt sich die ganze Bandbreite der porträtierten Architektinnen. Tatsächlich ist es so unverständlich wie beschämend, dass sich Zaha Hadid anlässlich einer Preisverleihung 2013 noch immer genötigt sah, die Vorstellung zurückzuweisen, "Frauen könnten nicht dreidimensional denken".
Ursula Schwitalla, Herausgeberin des üppigen Bandes und Initiatorin einer Tübinger Vortragsreihe zum Thema, zitiert die irakische Architektin in ihrem aufschlussreichen Text, der dem Bildteil vorangestellt ist. Darin blickt sie zum einen in die Historie und weist auf berühmte Vorgängerinnen hin, die den widrigen Bedingungen erfolgreich trotzten; etwa Julia Morgan (1872-1957), Elisabeth von Knobelsdorff (1877-1959) oder Lilly Reich (1885-1947), die erste Meisterin am Bauhaus. Zum anderen stellt sie den Status Quo dar und thematisiert aktuelle Missstände.
Weitere Essays beschäftigen sich mit Emilie Winkelmann, Deutschlands erster akademisch ausgebildeter Architektin, mit den Bauten Eileen Grays oder dem Werk Zaha Hadids. Besonders aufschlussreich ist zudem der Essay von Odile Decq, die sehr persönlich erzählt, was es heißt, sich als Architektin fortwährend gegen Vorurteile und frauenfeindliche Strukturen behaupten zu müssen. Ein inspirierendes und überfälliges Buch!

Ursula Schwitalla (Hg.): "Frauen in der Architektur. Rückblicke, Positionen, Ausblicke"
Hatje Cantz Verlag, Berlin 2021
216 Seiten, 48 Euro

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