Scholastique Mukasonga: "Frau auf bloßen Füßen"

Liebeserklärung an die ermordete Mutter

05:59 Minuten
Buchcover "Frau auf bloßen Füßen" von Scholastique Mukasonga
© Peter Hammer Verlag

Scholastique Mukasonga

Übersetzt von Gudrun und Otto Honke

Frau auf bloßen FüßenPeter Hammer Verlag, Wuppertal 2022

157 Seiten

22,00 Euro

Von Claudia Kramatschek |
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Eisern kämpfte sie ums Überleben: Dennoch fiel die Mutter der ruandischen Schriftstellerin Mukasonga Scholastique 1994 dem Völkermord an den Tutsi zum Opfer. Mit „Frau auf bloßen Füßen“ erinnert sich die Tochter ohne nostalgische Verklärung.
„Ruanda ist für mich das Land des Todes“: Mit diesem bitteren Resümee endet „Die Heilige Jungfrau vom Nil“ aus dem Jahr 2012. Der Roman von Scholastique Mukasonga ist 2014 auch auf Deutsch erschienen. Seine Autorin, deren Familie der Ethnie der Tutsi angehört, kam selbst 1956 in Ruanda zur Welt und sah sich schon als junges Mädchen Gewalt und Verfolgung ausgesetzt.
Im Jahr 1973 ging sie – gezwungenermaßen – nach Burundi ins Exil. Lange schon lebt sie nun in Frankreich.

Ein Buch zur Wiedergutmachung

Scholastique Mukasonga hatte so das Glück, zu überleben. Der Großteil ihrer Familie ist 1994 dem Völkermord an den Tutsis zum Opfer gefallen. Das gilt auch für ihre Mutter. Ihr ist der nun auf Deutsch vorliegende Band „Frau mit bloßen Füßen“ gewidmet, Memoir und Liebeserklärung zugleich.
Das Buch beginnt mit einem schmerzlichen Bekenntnis der Schriftstellerin und Tochter. Denn entgegen dem Versprechen, das sie und ihre Geschwister der Mutter zeitlebens geben mussten, hatte Mukasonga den Körper der ermordeten Mutter nicht mit dem traditionellen Tuch, der „pagne“, bedecken können.
Was auf diesen Auftakt folgt, sind zahlreiche Erinnerungen an ihre Mutter – die nur ein Ziel im Leben hatte: wenigstens ihre Kinder zu retten.

Einblicke in die Kultur der Tutsi

„Die Kinder retten“ lautet deshalb auch das erste von insgesamt zehn Kapiteln, aus denen der Band besteht. Es sind in sich abgeschlossene Betrachtungen, in denen die Schriftstellerin den eisernen und bewundernswerten Überlebenskampf der Mutter festhält: Fintenreich sucht und findet sie immer neue Verstecke, keine Minute lässt ihre Wachsamkeit nach. Für jede Krankheit hat sie eine passende Heilpflanze oder einen passenden Zauberspruch zur Hand.
Nicht zuletzt errichtet sie noch im Lager, in das ihr ganzer Stamm vertrieben worden war, ein traditionelles Tutsi-Haus und erlangt so jene Würde zurück, die Frauen ihres Alters in ihrer Kultur zusteht.
Mukasonga gibt auf diese Weise auch Einblick in die Traditionen des ruandischen Volks, sei es die Bedeutung von Hirse für das Gemeinwohl und das Zusammenleben, seien es Schönheitsideale oder kulturelle Rituale.

Kraft einer Frau und eines Kontinents

Von nostalgischer Verklärung ist der Text gleichwohl weit entfernt. Denn im Subtext von Mukasongas Erinnerungen klingen immer wieder die – bis heute – historisch nicht wirklich aufgearbeiteten Erfahrungen eines ganzen Volkes an: Vertreibung, Flucht und der todbringende westliche Kolonialismus, der den Tutsis zum Verhängnis wurde.
Dieser Subtext rückt mit fortschreitender Lektüre immer mehr in den Vordergrund. Tatsächlich endet der Band mit einem wiederkehrenden Albtraum der Autorin: Sie sieht türmende Knochenberge. Und doch überlässt Scholastique Mukasonga sich nicht der Verzweiflung.
In „Frau mit bloßen Füßen“ feiert sie die Kraft nicht nur der eigenen Mutter, sondern auch die von Mutter Afrika. Nicht zuletzt ist dieses Buch ein Akt der Wiedergutmachung: Mit ihrem Memoir – von Gudrun und Otto Honke ins Deutsche übertragen – hat Mukasonga schlussendlich doch ein nachgereichtes Leichentuch erschaffen, dicht gewoben aus Wörtern.

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