Roman „Knife"

Salman Rushdies Buch über den Messerangriff

07:18 Minuten
Der Schriftsteller Salman Rushdie bei einer Presiverleihung in New York.
Salman Rushdie beschreibt in seinem Buch "Knife" das Attentat auf ihn und die Rückkehr ins Leben nach Krankenhausaufenthalt und Reha. © picture alliance / Evan Agostini / Invision / AP / Evan Agostini
Von Joachim Scholl · 16.04.2024
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2022 sticht ein Fanatiker auf Salman Rushdie ein. Der Schriftsteller wird lebensgefährlich verletzt und zurückgeworfen in sein altes bedrohtes Leben, das 1988 mit einem Bannfluch begann. Diese Erfahrung verarbeitet er in seinem neuen Roman "Knife".
„Warum heute? Echt jetzt? Es ist so lang her. Warum heute? Warum nach all den Jahren?“ – Diese Gedanken seien ihm durch den Kopf gerast, als auf ihn eingestochen wurde, 27 Sekunden lang, wie der Polizeibericht später vermeldete.
Auf offener Bühne, ausgerechnet bei einer Veranstaltung, auf der Salman Rushdie über die weltweit bedrohte Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern sprechen sollte. Am vornehm-gemütlichen Chautauqua Institut im Bundesstaat New York. Es war der 12. August 2022, ein sonniger Tag. „Schneiden Sie den Anzug auf, damit wir die Wunden sehen können“, schrie irgendwer. „Oh, dachte ich, doch nicht meinen schönen Ralph-Lauren-Anzug!“

Packendes Bewusstseinsprotokoll

Es ist ein packendes Bewusstseinsprotokoll, mit dem Salman Rushdie sein Buch beginnt: Die Stunden vor dem Attentat, die Minuten, als der Attentäter überwältigt und Rushdie blutüberströmt am Boden lag, die Tage danach, als die Ärzte um sein Leben rangen, die erste Operation dauerte acht Stunden. Wie in einer US-Crime-TV-Serie – Rushdie nennt sich einen suchtgefährdeten Law-and-Order-Fan – entwirft er plastische Bilder, mit all den schmerzhaften Details seiner Verletzungen. 15 Messerstiche, in Gesicht, die Arme, den Oberleib, das rechte Auge ist rettungslos verloren. Fast drei Wochen liegt er auf der Intensiv-Station. – „Lebe! Flüsterte es in mir. Lebe!“

Eine einzige körperliche Tortur

Die folgenden Monate sind eine einzige körperliche Tortur, die der 75-Jährige mit enormer Willenskraft übersteht. Und mit vielerlei Unterstützung, die er nicht müde wird, immer wieder zu betonen: die Liebe seiner Frau, der Dichterin Eliza Rachel Griffiths, die Fürsorge seiner Familie und die weltweite Solidarität, die ihn noch auf dem Krankenbett erreicht. Ohne Humor kann dabei ein auch schwer verletzter Salman Rushdie nicht sein: „Viele Menschen schrieben, sie beteten für mich, obwohl sie doch wussten, dass ich ein gottloser Bastard war.“

„Das Messer“ sucht ihn immer wieder heim

Aber dann ist es immer wieder „das Messer“, das ihn heimsucht, als reales Mordinstrument wie Metapher zugleich, und nach einem Jahr Rekonvaleszenz wird ihm klar, dass er darüber schreiben muss, um es sich buchstäblich vom Hals zu schaffen: „Leben war mein Sieg. Doch die Bedeutung, die das Messer meinem Leben gab, war meine Niederlage.“
Diese besteht vor allem darin, dass der Angriff ihn zum alten „Fatwa-Rushdie“ macht, ihn zurückschleudert in das alte bedrohte Leben im Verborgenen, das er vor mehr als 20 Jahren selbst beendete, entgegen dem Rat seiner Beschützer der Special Branch von Scotland Yard, die ihn seit dem Bannfluch des Ayatollah Chomeini 1988 und dem ausgesetzten Millionen-Kopfgeld rund um die Uhr bewachten: „Hatte ich mir ein Wolkenkuckucksheim geschaffen, nur um zwei Jahrzehnte später herauszufinden, was für ein Traumtänzer ich gewesen war? Hatte ich mich dem Messer gleichsam dargeboten?“

Bewegendstes Buch von Rushdie

„Knife“ ist das bewegendste Buch, das Salman Rushdie je geschrieben hat. Man liest es mit Bewunderung und Bedrückung zugleich. Sein Witz, die gewohnte stilistische Brillanz, das erneut entschiedene Bekenntnis zur Freiheit des Wortes und der Literatur machen es zu einem literarischen Ereignis, können aber nicht von der tristen Gewissheit ablenken, dass Salman Rushdie wieder ein Gefangener sein wird.
Das irre Gespenst der „Satanischen Verse“ ist zurück. Er weiß es selbst, wie die Schilderung eines Familienbesuchs in London zeigt: Persönlich ruft er „alte Freunde“ in Großbritannien an, die prompt wieder alles bereitstellen – gepanzerte Limousinen, bewaffnete Hünen mit Knopf im Ohr. Er kennt das, nimmt es mit sardonischem Humor. Seine Frau Eliza nicht. Ihren Schock, die Gedanken beim Blick durch Autoscheiben mit schusssicherem Glas teilt man als Leser. Wird das nun in Zukunft immer so sein?

Salman Rushdie: "Knife. Gedanken nach einem Mordversuch“
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Penguin, München
256 Seiten, 25,00 Euro

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