Salman Rushdie: „Die elfte Stunde“

Erzählungen vom Herbst des Lebens

05:28 Minuten
Cover des Buches "Die elfte Stunde" von Salman Rushdie
© Penguin Verlag

Salman Rushdie

Die elfte StundePenguin , München 2025

288 Seiten

26,00 Euro

Von Kais Harrabi |
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Salman Rushdie ist zurück. Der Literatur-Megastar legt fünf Erzählungen über Alter und Sterblichkeit vor. Es geht um Geister, Väter auf Abwegen und eine Musikerin – märchenhaft überbordend, teils aber überfrachtet und ohne Stringenz.
Auch lebende Legenden müssen sich irgendwann Gedanken über den Tod machen. Salman Rushdie ist da keine Ausnahme. Sterblichkeit, Krankheit, Alter; Gedanken dazu fanden sich schon in seinem letzten Buch „Knife“, in dem er den versuchten Mord an ihm literarisch verarbeitet hat. In seinem neuen Buch „Die elfte Stunde“ bilden diese Themen nun den roten Faden für fünf Erzählungen – auch wenn es ein recht dünner Faden ist.
Oberflächlich betrachtet ist Salman Rushdie dabei ganz der Alte geblieben. Sein Quintett an Erzählungen besteht aus überbordenden, märchenhaften Geschichten, die literarisch aus dem Vollen schöpfen: Es geht um Geister, auf Abwege geratene Väter und sogar die Sprache selbst wird zur glamourösen Figur.

Mystisches, postkoloniales Chaos

„Die Musikerin von Kahani“ erzählt etwa von einem Klavier- und Sitar-Genie mit einer Begabung für magische Melodien, die in einer unglücklichen Ehe mit einem selbstsüchtigen Milliardärsfatzke gefangen ist. Eigentlich geht es in der Geschichte aber um ihren Vater, der sich aus verletzter Eitelkeit einem zwielichtigen Guru anschließt.
In „Saumselig“ erzählt Rushdie von einem College-Ehrenfellow namens S. M. Arthur, der eines Morgens tot aufwacht (!) und fortan als Geist durch die Gemäuer eines Oxford-Verschnitts spukt. Wie jeder Geist hat auch Arthur eine tragische Geschichte: Weil seine Homosexualität publik wurde, zwang man ihn zur chemischen Kastration. Von E. M. Forster über Alan Turing zur Artussage stecken allein in diesem Text genug Querverweise für einen ganzen Roman.
Man merkt den fünf Erzählungen in „Die elfte Stunde“ die große Erzähllust durchaus an. Allerdings fehlen dem Ganzen Stringenz und Kontrolle. Zuweilen wirken die Erzählungen, als hätte Rushdie aufgeschrieben, was ihm gerade durch den Kopf gegangen ist. Man kann da natürlich auch wieder den meisterhaften Erzähler des großen, mystischen, postkolonialen Chaos am Werk sehen, das unsere Gegenwart nun mal ist. Aber dafür ist viel zu oft in diesen Geschichten gar nicht richtig klar, wo Rushdie überhaupt hinwill.

Fantastisch fabulierter, übermütiger Fehlschuss

Insbesondere die drei bisher unveröffentlichten Texte wirken überfrachtet, überlang und unfokussiert. Die eigentlich interessanten Fragen, etwa nach der Trauer um vorzeitig gestorbene Freunde oder nach dem Umgang mit dem Blick der Nachwelt auf die eigene Arbeit als Schriftsteller – all das wird bei Rushdie unter einem riesigen Haufen von Handlung und Referenzen begraben: Kafka, indische Ragas, E. M. Forster und Alan Turing, Rudyard Kipling und andere.
Immerhin, das Ganze ist in einem zutiefst sympathischen Tonfall aufgeschrieben, der zwischen fantastischer Fabuliererei und liebenswürdiger Märchenonkeligkeit changiert. Bernhard Robben hat Rushdies Sprache über weite Strecken in mitreißendes Deutsch übertragen. Vor einer etwas altbackenen, professoralen Anmutung kann er sie aber auch nicht bewahren. Immerhin: Rushdies Lust am Erzählen ist nach dem Attentat also ungebrochen. In seinem Memoir „Knife“ erwähnte er vor zwei Jahren, dass er an einem neuen Roman arbeitet. Bleibt zu hoffen, dass er nach diesem übermütigen Fehlschuss wieder einen Volltreffer landet.
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