Leif Randt: „Let’s Talk About Feelings“

Willkommen in der Zeitblase

06:31 Minuten
Buchcover von Leif Randts Roman „Let’s Talk About Feelings“: Geschwungene Schrift vor bunten Farbverläufen.
© Kiepenheuer & Witsch

Leif Randt

Let’s Talk About FeelingsKiepenheuer & Witsch, Köln 2025

306 Seiten

24,00 Euro

Von Meike Feßmann |
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Leif Randts neuer Roman „Let’s Talk About Feelings“ spielt in einer friedlichen Parallelwelt: Die Rechten liegen unter zehn Prozent, statt Trump regiert Bernie Sanders, keine Zeitenwenden, kein Putin, kein Netanjahu. Es herrscht ein sanfter Schleier des Wohlwollens.
Deutschland hat eine neue Bundeskanzlerin. Fatima Brinkmann heißt sie und ihr Vizekanzler Robert Habeck. Die Rechten drohen bei der nächsten Bundestagswahl zehn Prozent zu bekommen. Doch die steht erst 2026 an, noch ist alles im Lot. Die Politik spielt ohnehin nur eine Statistenrolle am Rande des Settings. „Let’s Talk About Feelings“, der neue Roman von Leif Randt, ist konstruiert wie eine kleine Beule in der Zeit, eine Ausbuchtung direkt an unserer Gegenwart, eine Luftblase, ein imaginäres Biosphärenreservat. Und das ganz ohne Aufwand, einfach so.
Der Roman beginnt mit einer hippiesken Trauerfeier Anfang Juni 2025 in Berlin. Die Asche von Carolina Flanders, fiktives ikonisches Fotomodell der 1970er- und 80er-Jahre, wird vom Boot ihres Ex-Mannes aus im Wannsee verstreut. Es soll ein heiteres Fest werden. Trotzdem ist es ihrem Sohn Marian ein wenig unheimlich mit seiner vielleicht doch zu wohltemperierten Trauerrede. Sein Freund Piet, ein freischaffender Werbetexter, hat ihn dabei beraten. Er war „in Windeseile durch Marians Notizen gepflügt und hatte aufgeräumte Sätze daraus geformt, die Marian im Anschluss noch einmal mit sich und seinen Gefühlen in Einklang bringen sollte“.

Sedativum gegen die Panik-Stimmung der Gegenwart

Sich mit seinen Gefühlen in Einklang bringen, das ist die große Aufgabe, nicht nur des Trauerredners, sondern auch der Leserinnen und Leser von Leif Randt. Zu Recht spricht er in seiner Dankesrede zum Friedrich-Hölderlin-Preis 2023 von den „leicht sedierten Realitäten“ seiner Romane.
Über „Let’s Talk About Feelings“ liegt ein sanfter Schleier des Wohlwollens, eine Art Sedativum gegen die Panik-Stimmung der Gegenwart. Und man muss zugeben: Das tut ziemlich gut. Keine Kriege, keine Zeitenwenden, kein Putin, kein Netanjahu, kein Trump. Bernie Sanders soll dort drüben, in einem weichgezeichneten Amerika, gerade seine zweite Amtszeit als US-Präsident hinter sich bringen. Und hier am Wannsee, bei der Trauerfeier, sind die Eltern einmal nicht an allem schuld. Obwohl sie sich getrennt haben und der Vater, ein gleichfalls fiktiver, ehemaliger Nachrichtensprecher der Tagesthemen, eine zweite Familie gegründet hat.
„Im Alter von einundvierzig kann ich sagen, dass ich die meiste Zeit – trotz diverser Irritationen – ein Fan meiner Mutter geblieben bin“, erzählt Marian in seiner Trauerrede. „Manchmal hätte ich mir vielleicht bedingungsloseren Rückhalt gewünscht und weniger Skepsis, weniger implizite Forderungen ihrerseits. Unter diesen Umständen, die sich als mental gesunde Umstände hätten lesen lassen, wäre ich heute vielleicht eine entspanntere Person, aber ich habe gegen die Person, die ich geworden bin, nichts grundlegend einzuwenden.“ 
Ist das nicht eine ganz gute Lebenshaltung? So einigermaßen einverstanden zu sein mit sich selbst, auch den Eltern zuliebe? In einer Zeit gigantischer männlicher Egos, die sich über den ganzen Erdball spreizen wollen, ist dieser sanfte Middle-Ager fast schon eine utopische Gestalt. Er hat Kunstgeschichte und Soziologie studiert, einen Master in Curatorial Studies, eröffnete dann aber lieber eine Boutique für sorgfältig kuratierte Männermode in Berlin-Schöneberg.

Shoppen und Kinder kriegen

Die Beziehung zu seiner Freundin Franca ist gescheitert, kaum überraschend bekommt sie nun doch ein Kind – nur nicht von ihm. So war das schon bei zwei anderen Ex-Freundinnen zuvor. Als er Selin Odün, die junge Hausärztin seiner Mutter, datet, dröhnen sie sich so mit Drogen zu, dass es weder zur erhofften Club-Nacht noch zu irgendetwas anderem kommt. Doch dann trifft er Kuba Kötting, eine Filmemacherin, deren Langfilmdebüt auf der Berlinale läuft: ein Roadmovie quer durch Europas Outlet-Center. Es geht ums Shoppen, um den Kaufrausch, um Kompensation und Konsum.
Etwas verteidigen, indem man es auf mittlerer Leidenschaftsebene einfach durchführt, ist Marians Lebenshaltung, und so bewegt sich der Roman auch stilistisch. Keine großen Amplituden, keine Euphorie, kein Geschrei. Ob sich der Held in Berlin aufhält, auf Rügen oder Teneriffa, in Osaka, Sapporo oder Neu-Delhi: Sein Gleichmut lässt ihn widerstandslos durch die Welt gleiten. Und es ist etwas dran, wenn er die Würde des Apolitischen zumindest in Hinsicht auf zwischenmenschliche Freundlichkeit zu schätzen weiß:
„Im Apolitischen, fand Marian, lag eine besondere, bindende Kraft, die ein friedfertiges Miteinander überhaupt erst möglich machte. Nur wer in der Lage war, nicht in politischen Kategorien zu denken, konnte sich offen unterhalten und andere wirklich kennenlernen.“ 

Ein federleichtes Eskapismus-Konstrukt

In der unter medialer Dauererregung leidenden Gegenwart ist dieser heitere Pop-Roman, der das Spiel mit Distinktionen ohne Überlegenheitsgestus spielt, eine willkommene Abwechslung. Geschichten über Klassismus, über Rassismus, über psychische und andere Krankheiten gibt es inzwischen in allen Schattierungen. Und das ist auch gut so. Dass der Autor seinen ziemlich durchschnittlichen Helden einfach nur darüber nachdenken lässt, ob er von einer möglichen Vaterrolle allmählich in die „Onkelpersona“ rutscht, ist für einen früheren Jungstar durchaus ein Wagnis.
Anders als in seinen früheren Romanen „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ und „Planet Magnon“ braucht er dieses Mal keine aufwendige Genre-Konstruktion mit Sci-Fi-Elementen. Der Witz steckt in der Nebensächlichkeit, mit der er die drängenden Probleme der Gegenwart in ein paar Sätzen einfach aus dem Weg räumt. Dass Robert Habeck mit seinem Rückzug aus dem Bundestag der kontrafaktischen Fiktion eine zusätzliche Pointe spendiert hat, erhöht das Vergnügen. Eine gute Gelegenheit, die Zeitblase dieses federleichten Eskapismus-Konstrukts zu genießen.
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