Bernardine Evaristo: "Manifesto. Warum ich niemals aufgebe"

    Wild, ungehorsam und kühn

    06:49 Minuten
    Das Cover zeigt Buchtitel und Autorennamen sowie ein Foto der Autorin. Sie trägt eine Schleife im Haar und eine bunte Bluse.
    © Klett-Cotta

    Bernardine Evaristo

    Aus dem Englischen von Tanja Handels

    Manifesto. Warum ich niemals aufgebeKlett-Cotta, Stuttgart 2022

    256 Seiten

    22,00 Euro

    Von Jackie Thomae · 08.02.2022
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    In ihrem Memoir beschreibt die britische Booker-Preisträgerin ihren Weg zum Erfolg. Persönlich und dabei hochpolitisch erzählt sie von ihrer Herkunft, ihrem Leben als Künstlerin und ihren Erfahrungen in unterschiedlichsten Liebesbeziehungen.
    Als Bernardine Evaristo 2019 den Booker Prize für ihren Roman „Girl, Woman, Other“ erhält, ist sie sechzig Jahre alt, ihre Mit-Preisträgerin Margaret Atwood knapp achtzig. Beide Autorinnen sind leuchtende Beispiele dafür, dass die Schriftstellerei ein Beruf ist, in dem es sich gut altern lässt, beide bezeichnen sich selbst als Feministinnen.
    Bernardine Evaristo, Londonerin mit englischen und nigerianischen Wurzeln, hat ihren Welterfolg nun zum Anlass genommen, auf ihren Weg zu diesem Erfolg zurückzublicken und nennt ihr Memoir kämpferisch "Manifesto". Vielleicht auch, weil es sich so hervorragend auf ihren Nachnamen reimt, denn Evaristos Karriere als Schriftstellerin hat mit Lyrik begonnen.

    Zu keinem Zeitpunkt Opfergeschichte

    Evaristo beschreibt einen Lebensweg, der nicht immer einfach ist, aber zu keinem Zeitpunkt eine Opfergeschichte. Im Gegenteil. Es ist ein Rückblick, der von seiner Eigenironie lebt, von seiner Selbstreflexion und seiner Großzügigkeit den eigenen Irrtümern und Fehltritten gegenüber.
    Dabei verknüpft sie ihre persönlichen Erinnerungen mit den gesellschaftlichen Entwicklungen, vergleicht die Welt und insbesondere Großbritannien damals und heute miteinander, und stellt fest, dass vieles viel besser geworden ist. Seit ihre Eltern das Wagnis einer Ehe zwischen einem Nigerianer und einer Britin eingegangen sind, seit sie, Evaristo, die einzige nichtweiße Schülerin auf ihrer katholischen Mädchenschule war, seit sie Ende der Siebziger in die Londoner Kreativszene eintauchte.
    Der Blick auf Politik und Gesellschaft hält sich die Waage mit den Fragen nach den eigenen Entscheidungen. Ihre prekären Lebensumstände sind, wie in vielen Künstlerbiografien, ein einerseits hoher Preis, andererseits auch ein freiwillig gezahlter. Sie tingelt zwischen Wohngemeinschaften und Beziehungen umher und sehnt sich irgendwann nach einer gesicherten Existenz, wenn auch nicht nach einem Nine-to-Five-Bürojob.

    Zerstörerische Liebesbeziehung

    Sie beschreibt, wie sie erst Jungs, dann Frauen, später wieder Männer begehrt, wie aus wild und ungebunden einsam werden kann und wie sie schließlich ihren heutigen Ehemann kennenlernt. Sie untersucht, wie sie in eine zerstörerische Liebesbeziehung geraten konnte, schreibt über die verschlungenen Wege, auf denen ein Roman entstehen kann, erzählt, wie sich der Blick auf die eigenen Eltern mit dem Älterwerden wandelt.
    Den humorvollen, warmherzigen Blick, der ihre Romanfiguren so lebendig macht, wendet sie in ihrem Memoir auf sich und ihre Weggefährten an. Es ist das Buch einer Frau, die lange an ihren Erfolg geglaubt hat, bevor der sich tatsächlich einstellte. Es ist keine Lektion im vielzitierten positive thinking, aber es strahlt einen Optimismus aus, der wohltut.

    Ratschläge wie ein Grappa aufs Haus

    Das Manifest selbst besteht aus nur knapp anderthalb Seiten am Ende des Buchs. "Sei wild, ungehorsam & kühn in deiner Kreativität", steht da. Oder: "Weise Menschen suchen Partnerschaften, die sie in ihrer Kreativität unterstützen, & entledigen sich derer, die sie untergraben, sabotieren oder gar zerstören."
    Diese Affirmationen hätten sich am Anfang des Buchs nach amerikanischer Ratgeberprosa angefühlt. Nach Evaristos Lebensgeschichte aber, nachdem wir erfahren haben, wie schwer es zuweilen gewesen ist, weise oder kühn zu sein, fühlen sie sich diese Ratschläge fast an wie ein großzügiger Grappa aufs Haus.
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