Bachmann und Böll: „Was machen wir aus unserem Leben?“
© Salzburger Bachmann Edition
Vom schönen und kräftezehrenden Schriftstellerleben

Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll
„Was machen wir aus unserem Leben?“Kiepenheuer & Witsch, Piper, Suhrkamp , Köln, München, Berlin 2025487 Seiten
44,00 Euro
Vertraut, aber immer diskret: Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll tauschten sich in Briefen über ihr Leben aus. Verlagsstrategien, aber auch Schreibdruck waren Themen. Eine faszinierende Literaturgeschichte der ersten Nachkriegsjahrzehnte.
Die junge Österreicherin Ingeborg Bachmann lernt den neun Jahre älteren Heinrich Böll 1952 auf ihrer ersten Tagung der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee kennen. Während Böll schon bekannt ist – ein Jahr zuvor hatte er den Preis der Gruppe 47 gewonnen – fiebert die 26-Jährige ihrem Debüt entgegen. Flüsternd, stockend trägt sie ihre Verse vor, bis sie ganz verstummt; um ihren Auftritt wurden Legenden geschrieben.
Dass Böll und Bachmann in ihren ersten Briefen diese Episode aussparen, setzt den Grundton ihrer Korrespondenz: vertraut, aber immer diskret. „Literaturmüde“ sei sie, schreibt Bachmann nach der Tagung, und später vertraut sie Böll an, dass sie sich vor der „Literatur als Beruf fürchte“ und ihre Ahnungen in seinen Briefen bestätigt findet, weil er wie ein Irrer schuftet, „aber probieren möchte ich es trotzdem.“ In diesem vorsichtig freundschaftlichen Briefwechsel wird viel vom schönen, aber auch kräftezehrenden Schriftstellerleben die Rede sein.
Der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll setzt ein, als beide am Beginn ihrer Karriere stehen. Eine Brieffreundschaft auf Augenhöhe, eine Zeit lang stehen ihre Bücher gemeinsam auf den Bestsellerlisten. Obwohl die junge Dichterin, bald umworben und gefeiert, es vor Böll auf die Titelseite des „Spiegel“ schafft, ist von Neid oder Rivalität keine Spur. Vielmehr begleiten sie sich auf ihren Lebensstationen.
Bachmanns Weggang aus Wien als junge Rundfunkredakteurin, ihr Aufbruch nach Italien, dazwischen immer wieder Klagenfurt bei ihrer Familie, die für sie, „wenn auch mehr als imaginierter Fixstern, das Verlässliche in meinem Leben ist“. Böll hingegen zeigt sich als unermüdlicher Häuslebauer in Köln, auch als „leidenschaftlicher Vater“, der berichtet, dass er am liebsten „mit Kaffeekanne, Cigaretten, Wein neben mir – im Bett liege … und meinen Kindern, die um mich herumliegen, Geschichten erzähle“.
Bei allem Respekt und der Sympathie, die beide einander entgegenbringen, manches bleibt nicht ironiefrei: Bölls Klagen über sein großes teures Haus prallt an der mittel- und heimatlosen Dichterin ab: „Das dumme Haus. Ich glaube, wir haben alle kein Glück mit unbeweglichem Gut“.
Böll gibt sich väterlich, Bachmann selbstbewusst
Ihre Briefe haben privaten, aber immer auch professionellen Charakter. Viel Platz nehmen die Strategien mit Verlagen ein. Nahezu „väterlich“ berät Böll seine jüngere Freundin verlegerisch, unüberhörbar reichen die traditionellen Geschlechterverhältnisse der 1950er auch in diese Schriftstellerfreundschaft hinein: „Lassen Sie sich nie auf Termine ein … verstanden, mein liebes, liebes Kind? Verstanden? So wird der Speck geräuchert“.
Wie selbstbewusst Bachmann dagegen selbst die Vertragsknoten lösen konnte, zeigt ihre Antwort an den Berater Böll: „Ein paar Tage nach einem diplomatischen Brief schickte Piper einen zweiten, in dem er auf 900 DM hinaufging; … Denn es geht ja … auch um die Position … ich komm mir jetzt nicht so „abgespeist“ vor“.
Trotz unterschiedlicher Lebensentwürfe und der Unterschiedlichkeit ihres Schreibens gibt es Gemeinsamkeiten. Beide leiden am massiven Schreib- und Arbeitsdruck. Böll arbeitet wie ein Berserker, sitzt an Kurzgeschichten und Hörspielen gleichzeitig, um „irgendwie Geld zusammen zu raffen“. Bei Bachmann klingt es nicht anders: „Man hetzt mich mit dem Libretto und ich muss sofort nach Neapel und retten, was noch zu retten ist“. Und ihr Fragen „Was machen wir aus unserem Leben?“, das dem Briefwechselband den Titel gibt, wiederholt nichts Geringeres, „als dass es so nicht geht, so nicht geht“.
Ein Leben im Rampenlicht, bis Krankheiten und Zusammenbrüche sie völlig zum Rückzug zwangen, 1972 verlischt der Austausch zwischen beiden vollends. Dieser kenntnisreich edierte Briefwechsel von Renate Langer, der zugleich eine faszinierende Literaturgeschichte der ersten Nachkriegsjahrzehnte ist, führt noch einmal vor Augen, was gestern wie heute eine Schriftstellerexistenz abverlangt.