Briefwechsel von Max Frisch und Ingeborg Bachmann

"Es lag ein Unheil auf dieser Beziehung"

10:00 Minuten
Max Frisch mit Ingeborg Bachmann in einer Wohnung in Rom.
Das literarische Liebespaar: Max Frisch und Ingeborg Bachmann. 1962 entstand in Italien das einzige bekannte Foto, auf dem beide zu sehen sind. © Suhrkamp Verlag / MFA Zürich / Mario Dondero
Thomas Strässle im Gespräch mit Joachim Scholl · 17.11.2022
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Max Frisch und Ingeborg Bachmann führten eine der berühmtesten Liebesbeziehungen der literarischen Welt. Nun erscheint der Briefwechsel der beiden. Stilistisch großartig, bietet er sehr menschliche Einblicke und rückt einige Anekdoten in neues Licht.
„Statt ins Theater gingen wir zu unserem ersten Abendessen, die ersten Küsse auf einer öffentlichen Bank, dann in den Hallen, wo es den ersten Kaffee gibt, am Nebentisch die Metzger mit den blutigen Schürzen. Diese zu plumpe Warnung.“ Diese ahnungsvolle Erinnerung an den Beginn der Liebe zu Ingeborg Bachmann stammt von Max Frisch. Die Beziehung avancierte zu einer der berühmtesten Liebesgeschichten in der Welt der Literatur.

Briefe an einander und an Dritte

Manche Vorstellung von dieser Beziehung muss nun im Licht eines nun erschienenen Editionswerks neu gesehen werden: Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann haben die Briefe der Liebenden im Buch "Wir haben es nicht gut gemacht" herausgebracht – inklusive einiger, in denen sie zwar Dritten schreiben, aber sich eigentlich doch aneinander wenden.
„Es ist ein ziemlicher Ziegelstein geworden. Ich entschuldige mich in aller Form“, sagt Thomas Strässle gewitzt. Aber das Team habe einiges erläutern müssen, Hintergründe, Geschehnisse, Chronologie. „Ich glaube, diese Sorgfalt war geboten angesichts der Brisanz dieses Briefwechsels“, so der Literaturwissenschaftler.
Ermöglicht wurde das Buch dadurch, dass die Geschwister von Ingeborg Bachmann die Briefe freigaben.

"Beide haben alles aufs Spiel gesetzt"

„Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, war ich schon sehr mitgenommen und am Ende geradezu erschüttert über die Dimensionen dieser Liebe, über die Intensität, mit der sie geführt wurde, und auch über die Tragik, die zum Vorschein kommt. Die haben beide alles aufs Spiel gesetzt und entsprechend tiefe Verwundungen, aber auch große Glückszustände erlebt.“
Von 1958 bis 1965 dauerte die Beziehung der beiden Literaten. Im Lauf der Zeit rankten sich zahlreiche Legenden darum.

Bachmann war bei "Gantenbein" eingeweiht

Auf zwei für die Literaturgeschichte neue Aspekte weist Strässle besonders hin. Der erste betrifft den Roman „Mein Name sei Gantenbein“ von Max Frisch, dem immer der Vorwurf gemacht wurde, der Schweizer hätte darin die Liebesbeziehung der beiden ohne Bachmanns Kenntnis und Zustimmung vor den Augen der Öffentlichkeit ausgeschlachtet.
Porträt von Max Frisch in schwarz-weiß. Er hat eine Tabakpfeiffe im Mund und trägt eine Brille mit dickem, dunklen Rand. Er hat ein helles Hemd an und trägt eine helle Cordjacke.
Max Frisch auf einem Fotos aus den 1980er-Jahren. Von 1958 bis 1965 war er mit Ingeborg Bachmann zusammen.© imago / Leemage / Sophie Bassouls
„Jetzt weiß man, dass Ingeborg Bachmann dieses Projekt von Anfang an kannte, es auch geradezu begeistert begleitet hat", so Strässle. "Max Frisch hat ihr alle Fassungen vorgelegt, er hat alle ihre Korrekturwünsche eingearbeitet und schließlich das Manuskript mit ihrer Zustimmung an den Verlag gegeben.“

Bruch des Venedig-Vertrags

Der andere Punkt betreffe das Verhältnis der beiden. Es war als offene Beziehung mit sexuellen Freiheiten angelegt. „Es gab den sogenannten Venedig-Vertrag, wo sie das auch festgelegt haben“, erzählt der Berner Literaturwissenschaftler. „Am Ende der Beziehung war es so, dass Ingeborg Bachmann ein Verhältnis eingegangen ist mit Paolo Chiarini."

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Der Name des italienischen Germanisten sei der Bachmann-Forschung bislang unbekannt gewesen. Dieses Verhältnis "hat Frisch in die äußerste Verzweiflung getrieben, weil beide diese Beziehung als gleichwertig zu der mit der von Frisch und Bachmann gedacht haben", schildert Strässle. Dies war im Venedig-Vertrag so allerdings nicht vorgesehen.
„Erst kurz danach hatte Max Frisch die Liebesbeziehung mit Marianne Oellers begonnen – die Chronologie ist da etwas umzustellen." Diese Beziehung desillusionierte wiederum Bachmann.
Ingeborg Bachmann steht in einem Garten und gestikuliert mit ihrer linken Hand in der Luft. Die Mittvierzigerin trägt auf dem Schwarz-Weiß-Bild eine helle Bluse und eine dunkle Weste darüber, ihre schulterlangen Haare sind gescheitelt.
Ingeborg Bachmann bei der Verleihung des Wildgans-Literaturpreises 1972. Am 17. Oktober 1973 starb sie in Rom, nachdem eine beim Einschlafen brennende Zigarette einen schweren Brand verursacht hatte.© picture-alliance / brandstaetter / Barbara Pflaum
Angesichts dieser Erkenntnisse müsse man die Mythen um Frisch und Bachmann etwas korrigieren, findet Strässle. Bislang war Frisch dabei schlecht wegkommen: Er galt als Egomane und "Monster", an dem alles gescheitert sei, und sie das Opfer.
Am liebsten wäre es Strässle allerdings, von Schuldzuweisungen beim Blick auf diese Beziehung künftig abzulassen. „Es geht nicht darum, jemanden anzuklagen oder jemanden freizusprechen. Ich fände, es wäre ein schönes Ergebnis dieser Briefwechsel-Edition, wenn man mal aus diesem Richter-Denken herauskäme.“

Stilisten mit Selbszweifel

"Es lag irgendwie ein Unheil auf dieser Beziehung", sagt Strässle. "Wie sie sich aneinander reiben, wie sie auch um die Geschlechterrollenbilder kämpfen, wie sie mit sich selber kämpfen."
Außerdem würden auch die Zweifel an sich deutlich, obwohl beide im Literaturbetrieb Stars gewesen sind: "Max Frisch spricht ständig von seiner Inferiorität und von seinem Ungenügen, er sei bestenfalls ein Unterhaltungsschriftsteller, der reichlich zu Ehren gekommen sei. Ingeborg Bachmann hatte Schreibkrisen, zweifelt auch sehr oft an sich selber." Strässle bilanziert: "Beide werden als Menschen in allen Zweifeln, Widersprüchen und Rückhaltlosigkeiten präsent."
Zugleich merkt man dem Briefwechsel an, dass Stilisten ersten Ranges miteinander kommunizieren: „Es sind zwei Schreibende am Werk, die über alle stilistischen und auch psychologischen Möglichkeiten verfügen, die Gefühlszustände verbalisieren können – die wir auch von uns kennen – mit einer großen Klarheit und Schärfe und Tiefe beschreiben können. Ich glaube, das macht die Lektüre dieses Briefwechsels so unerhört attraktiv. Es ist wirklich ein Konvolut mit hohem literarischen Wert."

Ingeborg Bachmann, Max Frisch: "Wir haben es nicht gut gemacht" Der Briefwechsel
Hrsg. von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann
Suhrkamp, Berlin 2022
1039 Seiten, 40 Euro

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