Rilke: "Briefe an einen jungen Dichter"
© Diogenes
Rilke weiß Rat

Rainer Maria Rilke
Briefe an einen jungen Dichter / Briefe an eine junge FrauDiogenes, Zürich 2025128 Seiten
19,00 Euro
Ein Büchlein wie eine tröstende Schulter: Rilkes postum veröffentlichte „Briefe an einen jungen Dichter“ begeistern seit langem Leser überall auf der Welt. Zum 150. Geburtstag Rilkes erscheinen sie nun neu - dabei hat der Dichter Besseres geschrieben.
Die deutschsprachige Literaturlandschaft ist in Feierstimmung. Gerade erst haben wir Franz Kafka gedacht und Thomas Mann hochleben lassen, da jährt sich auch schon Rainer Maria Rilkes Geburtstag zum 150. Mal. Ein Anlass, zu dem die Verlage sich nicht lumpen lassen, es wird aufgetafelt: Zwei umfangreiche Biografien, Anthologien, Porträts sowie die nächsten Bände der historisch-kritischen Gesamtausgabe werden dem Jubilar spendiert.
Sein meistgelesenes Buch darf in dem Reigen natürlich nicht fehlen, die „Briefe an einen jungen Dichter“. Seit ihrer postumen Erstveröffentlichung 1929 schlagen die zehn tiefsinnigen Episteln, die Rilke zwischen 1903 und 1908 an den Militärkadetten Franz Xaver Kappus richtete, weltweit Leser in ihren Bann. Der acht Jahre jüngere Kappus hatte sich mit Gedichten ratsuchend an den schwärmerisch verehrten Rilke gewandt, der wiederum statt konkreter Kritik an den mittelprächtigen Versen allgemein über das Wesen der Künstler, ihre Einsamkeit und die „Wendung nach innen“ predigte. Begierig mimt Kappus den Adepten, besorgt sich vom Meister anempfohlene Literatur, beginnt bald aber auch schon Rilke als eine Mischung aus Guru und Beichtvater zu bemühen, seine Sexualität zu thematisieren, kurzum: Lebenshilfe zu erbitten.
Seit Ablauf des Urheberrechts sind die „Briefe an einen jungen Dichter“ in zig verschiedenen Ausgaben zu haben. Auch der Diogenes Verlag aus Zürich wirft abermals seinen Hut in den Ring, ergänzt um die weniger bekannten „Briefe an eine junge Frau“ und ein Nachwort des Lyrikers Yevgeniy Breyger. Von Rilkes ostentativ zur Schau gestellter Weisheit haben sich auch Schauspielgrößen wie Dustin Hoffman und Dennis Hopper verzaubern lassen; ebenso Lady Gaga, die sich eine Schlüsselstelle der „Briefe“ sogar tätowieren ließ.
Dabei scheint weniger der eigenwillige Mix aus Reformpädagogik und Zen-Gelassenheit die Stars zu faszinieren als vielmehr die sendungsbewusste Künstler-Stilisierung, die bestens ins Selbstbild des US-Showbiz passt – hör auf niemanden, mach dein Ding, bleib dir treu, du kannst es schaffen, tschakka! Man braucht Rilkes aufrechte Anteilnahme an Kappus‘ Querelen gar nicht zu bezweifeln, um zu erkennen: Diese Briefe arbeiten am eigenen Mythos des genialischen Bettelmönchs. Vor allem aber werden sie Rilkes Bedeutung nicht gerecht, der in derselben Zeitspanne mit seinem Roman „Malte Laurids Brigge“ und der zweiteiligen Sammlung „Neue Gedichte“ Weltliteratur anstelle von „Innerlichkeitskitsch“ schuf, wie selbst das „Rilke-Handbuch“ deutlich urteilt.
Die Neuausgabe bei Diogenes ist keineswegs um Kurskorrektur bemüht. Muss sie als Geschenkbuch auch nicht, dennoch stellt sie einen editorischen Rückschritt dar. Immerhin hatte der Germanist Erich Unglaub erst 2019 die verloren geglaubten Briefe von Kappus mitsamt Rilkes Antworten im Wallstein Verlag publiziert, dazu gab es Anmerkungen und ein sachliches Nachwort.
Hier verbarg sich manche Pointe, beispielsweise wurde Kappus nach dem Ersten Weltkrieg Journalist und schlug damit Rilkes wichtigsten Rat in den Wind, niemals zum schreibenden Tagelöhner zu verkommen. Hätte man sich im Rilke-Jahr solche Arbeit nicht wenigstens für die „Briefe an eine junge Frau“ ebenfalls machen können? Vor allem, wenn im Nachwort so viel von Geschlechtergerechtigkeit die Rede ist? Über Lisa Heise aber, wie Rilkes Korrespondenzpartnerin aus den Jahren 1919 bis 1924 hieß, erfährt man nichts. Im Falle eines Briefwechsels aber ist Kontext kein akademischer Schnickschnack, sondern die halbe Wahrheit.
















