Qumran in Israel

Faszinierende Höhlen mit Souvenirshop

Touristen laufen auf einem Holzsteg über die Ausgrabungsstätte Qumran.
Touristen besichtigen die Ausgrabungsstätte Qumran, wo auch die bekannten Schriftrollen gefunden wurden. © picture alliance / dpa / Reinhard Kaufhold
Von Peter Kaiser · 06.12.2015
In den Qumran-Höhlen am Toten Meer wurden zwischen 1947 und 1956 bedeutende Pergamentrollen gefunden mit biblischen Texten und Dokumenten des antiken Judentums. Inzwischen ist der Ort ein Touristenzentrum mit Filmvorführraum und Andenkenladen. Seine Faszination hat er trotzdem nicht eingebüßt.
Museumsführer: "Wir stehen auf dem Dach des Gebäudes, das wir den 'Schrein des Buches' nennen. Hat jemand von ihnen schon von den Schriftrollen vom Toten Meer gehört? Von 1947 an wurden die Rollen entdeckt, und über einen Zeitraum von zehn Jahren kamen immer mehr Rollen ans Licht. Und mit ihnen die für uns neue Welt einer kleinen Gruppe, die vor 2000 Jahren in der Nähe von Jerusalem lebte."
Der wohl bedeutendste Ausstellungsraum im Jerusalemer Israel-Museum ist der "Schrein des Buches". Das Dach des Schreins ist die Nachbildung eines gigantischen weißschimmernden Tonkrugdeckels, der durch Wasserfontänen architektonisch effektvoll permanent benässt wird. Darunter lagert stark abgedunkelt der Schatz Israels: die Schriftrollen vom Toten Meer, auch Qumran-Rollen genannt, nach ihrem Fundort, den Qumran-Höhlen.
"1947 verlor ein Beduinen-Hirte seine Ziege. Auf seiner Suche nach dem Tier warf er Steine in eine Höhle. Dabei entstand ein ungewöhnliches Geräusch. Er sah nach und erkannte, dass einer der Steine einen Krug getroffen hatte. Als er den Krug öffnete, fand er darin sieben Rollen."
Die Qumran-Höhlen am Toten Meer sind rund 50 Kilometer von Jerusalem entfernt. Eine Autostrecke von etwa 45 Minuten. Der Weg führt durch die relativ kleine, nur rund 1500 Quadratkilometer große Judäische Wüste. Rechts und links der Autobahn Hochebenen, tiefe Canyons. Immer wieder sind Hütten arabischer Beduinen zu sehen; es heißt, dass hier Einsiedler leben, Mönche. Vor 2000 Jahren lebte in der Judäischen Wüste, nahe des Toten Meeres, die Sekte der Essener, auch Essäer genannt. Der römische Eroberer Flavius Josephus schrieb über sie:
"Sie leben asketisch, tragen weiße Kleider, beten vor Sonnenaufgang, haben weder Geld noch Grundbesitz, keine Sklaven, lehnen das Schwören ab und betätigen sich als Heiler. Sie opfern Gott nicht und betreiben Ackerbau. Eine Untergruppe heiratet und zeugt Kinder, lebt aber von den anderen getrennt."
Seit ihrem Fund beschäftigen die Rollen die internationale Wissenschaft
Im Besucherzentrum in Qumran können deutsche Touristen einen deutschsprachigen Film zu den Essener sehen.
Film- Ausschnitt: "Hier an diesem heiligen Ort kann niemand uns davon abbringen Gott zu dienen. Wir besitzen nicht viel, und das wenige, was wir haben, teilen wir miteinander. Der Boden gibt uns alles, was wir brauchen, selbst in dieser öden Wüste. Während wir unserer Abendarbeit machten, schrieben wir die Worte unserer Hohepriester nieder, unseres Herrn, der die Geister des Dunkels und des Lichtes schuf."
Lange Zeit hieß es, die Essener, die sich selbst die "Yachad" – Union - nannten, hätten hier eine Art Manufaktur zur Herstellung jener Schriftrollen betrieben, die der Beduinenjunge mit dem klangvollen Namen "Muhammed, der Wolf" 1947 in einer der Höhlen fand. Inzwischen sind Zweifel an dieser These aufgekommen. Die aber machen der Bedeutung der Fragmente von etwa 900 Rollen aus dem antiken Judentum keinen Abbruch. Die Rollen sind in Hebräisch verfasst, Griechisch und in Altaramäisch, der Sprache Jesu. Ein Beispiel dafür ist das Buch Daniel.
Klaus Beyer: "Als Beispiel lese ich Daniel 22-24 in seiner Qumran-Gestalt in der Aussprache von 164 vor Christus, dem Jahr, in dem das Buch Daniel abgeschlossen wurde."
Fünf Jahre vor seinem Tod im Jahr 2014 liest der Alt-Aramaistiker Klaus Beyer von der Universität in Heidelberg aus dem 2000 Jahre alten Text des Buches Daniel:
"Daniel hob an und sagte, der Name des großen Gottes sei gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Er ändert die Zeitpunkte, setzt Könige ab, setzt Könige ein, gibt die Weisheit Weisen und das Wissen Einsichtigen. Er enthüllt das Tiefe und das Verborgene und weiß, was in der Finsternis ist. Und das Licht wohnt bei ihm. Dich, den Gott meiner Väter preise und lobe ich, denn die Weisheit und den erleuchteten Geist hast du mir gegeben."
Seit ihrem Fund beschäftigen die Fragmente der Jesajarollen, der Habakuk-Pescher, das Jubiläenbuch, die Hymnenrollen, die Tempelrolle, das Gigantenbuch, das Buch Ezechiel, Psalmen, und viele andere mehr die Gelehrten im In-und Ausland.
Heinz-Josef Fabry: "Das, was wir in diesen Texten finden, ist genau die zeitliche Umwelt dessen, in dem das Neue Testament angefangen hat, in der Jesus und seine Jünger aufgetreten sind. Und wir erfahren hier die Sprache des Judentums zur Zeit Jesu Christi. Und hinter der Sprache steht natürlich immer eine Kultur, eine Religion, ein soziokulturelles Zusammenleben."
Heinz-Josef Fabry ist Professor an der katholisch-theologischen Universität in Bonn. Im Jahr 2011 gab er ein Wörterbuch zu den Qumrantexten heraus.
"Die Texte zeigen uns in aller Deutlichkeit, wie zersplittert das damalige Judentum war. Es gab nicht nur die drei großen Gruppen, die wir im Neuen Testament gelegentlich hören: die Pharisäer, die Saduzäer und die Essener, sondern es gab viele einzelne Priestergruppen, die einander nicht grün waren, die sich auch bestimmte Dienste nicht gönnten, und dann zu Gegnern wurden. Und alle die haben Texte geschrieben. Und in Qumran haben wir auch eine solche Gruppe, die sich primär definiert aus einer Kontrastellung gegenüber anderen Strömungen im Judentum."
Ahnung von der Vergangenheit in der sengenden Wüstenhitze
Von den wieder ausgegrabenen Ruinen des Dorfes Qumran kann man auf der gegenüberliegenden Seite des Canyons die Höhlen sehen, in denen die Schriftrollen entdeckt wurden. Besuchen darf man sie nicht, nur von Weitem anschauen. Schade, sagt Martin, und ist doch beeindruckt:
"Das müssen sie wohl sein, ja. Den Fund finde ich ja auch sehr interessant."
Die Höhle Nummer vier, die Muhammad der Wolf als erstes betreten haben soll, die sich später als die Goldader der Schriftrollen-Funde erweisen sollte, liegt direkt in Sichtweite. Ein schwarzes Loch in einem von der Sonne verbrannten gelbweißen Berg.
Geht man durch die Ruinen der alten Essener-Siedlung, in der sengenden Wüstenhitze, mit dem ständigen Durst im Körper, kann die Wirklichkeit leicht der Vorstellung Platz machen, wie es einmal gewesen sein könnte: weißgekleidete Menschen, die hier abgeschieden Gott dienten und nach seinen Gesetzen lebten. Und den ihren. Die sie auf der sogenannten Endkampf-Rolle vermerkten.
Klaus Beyer: "Die Söhne des Lichtes, das sind vor allen Dingen die Qumran-Gemeinschaft, aber auch ihre Engel. Und die Söhne der Finsternis, das sind nicht nur Menschen, sondern das sind auch die Dämonen, die mit denen zusammen im Kampf sind. Das ist also ein Endkampf aller gegen alle. Bei denen dann aber die göttliche Front, also die Engel und die Qumran-Leute, siegen werden. Und das wird beschrieben in dieser hebräischen Kriegsrolle. Und die Kupferrolle, das ist ein Verzeichnis versteckter Schätze."
Dann werden die Schatten über den Höhlen länger. Es geht es wieder zurück nach Jerusalem. Und plötzlich - mitten in der Judäischen Wüste - ist der Satz aus dem Qumran-Film im Besucherzentrums wieder im Kopf:
"Alles ist vorherbestimmt, es gibt keinen freien Willen. Schon von Anbeginn der Schriften stand geschrieben, dass du in der Zukunft irgendwann diese Worte hören und sehen wirst. Es ist Gottes wundersamer Plan, der dich heute an diesen reinen und heiligen Ort gebracht hat."
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