Was dachten die frühen Christen über das Ende der Welt?

Von Susanne Mack · 16.08.2008
In der antiken Bibliothek von Qumran sind ungewöhnlich viele Texte aufgetaucht, die apokalyptische Visionen beschreiben. Hat das apokalyptische Denken im frühen Christentum vielleicht auch eine größere Rolle gespielt, als bisher angenommen wurde? Diese Frage hat zwei Theologen – Jörg Frey und Michael Becker – veranlasst, ein Buch zu schreiben. Sein Titel: "Apokalyptik und Qumran".
Offenbarung des Johannes: "Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Ich sah, dass die heilige Stadt Jerusalem von Gott ganz neu erbaut war, geradewegs vom Himmel auf die Erde versetzt. Sie war schön wie eine Braut, die sich für ihren Bräutigam geschmückt hat."

So romantisch kann die "Offenbarung des Johannes" im Neuen Testament klingen. Diese Vision von der Wiederkunft Christi und seinem letzten Gericht über die gottlosen Mächte der Welt wird als "die Apokalypse" bezeichnet und ist im populären Verständnis alles andere als romantisch.

Jörg Frey: "Die 'Offenbarung des Johannes' hat im Griechischen die Überschrift Apokalypsis. Das heißt, Apokalypse ist der griechische Begriff, der Offenbarung bedeutet. Wir kommen von einer Theologie-Geschichte her, in der Apokalyptik häufig missbraucht wurde. Missbraucht als Drohbotschaft. Missbraucht als Spekulation. Als ob sozusagen die Zukunft schon in der Tasche hätten, als ob wir genau wissen könnten, was in der Zukunft auf uns zukommt. Das wurde in der Theologie des 20. Jahrhunderts mit Recht kritisiert."

Jörg Frey. Er ist Professor für evangelische Theologie an der Universität in München. Zusammen mit seinem Kollegen Michael Becker hat er vor kurzem ein Buch herausgegeben. Der Titel: "Apokalyptik und Qumran". Es wendet sich einem Thema zu, das von vielen Theologen des 20. Jahrhunderts stiefmütterlich behandelt wurde. - Zu Lebzeiten des Jesus von Nazareth jedenfalls waren apokalyptische Visionen unter den Juden eine selbstverständliche Denkart und weit verbreitet.

Jörg Frey: "Die ältesten apokalyptischen Texte, die wir kennen, sind belegt im Schriftenfund von Qumran. Es sind die Texte der Henoch-Apokalypse. Dort wird erzählt, wie die Gestalt des Henoch eine Himmelsreise unternimmt, und auf dieser Himmelsreise verschiedene Orte findet. Den Ort des Paradieses, den Ort des Gerichts, den Ort, wo die toten Seelen aufbewahrt werden und so weiter."

Henoch-Apokalypse: "Ich sah die Söhne der heiligen Engel auf Feuerflammen treten. Ihre Kleider waren weiß und ihr Gewand und Antlitz leuchtend wie Schnee. Ich sah zwei Feuerströme, und das Licht jenes Feuers glänzte wie Hyazinth. Da fiel ich auf mein Angesicht vor dem HERRN der Geister."

Jörg Frey: "In dieser Erzählung einer Himmelsreise werden kosmologische Sachverhalte berichtet, aber zugleich so, dass den Lesern etwas von der Welt, in der sie leben, erklärt wird: Warum ist die Welt so wie sie ist, und wie kann die Welt anders werden? Wie kann sie erneuert werden? Wie kann Gerechtigkeit am Ende wieder hergestellt werden?"

Das apokalyptische Denken habe auch in den ersten Christengemeinden eine gewichtige Rolle gespielt – diese These vertreten Jörg Frey und Michael Becker. Sie leuchtet ein, immerhin waren die ersten Christengemeinden großen Repressalien ausgesetzt.

Jörg Frey: "Die Entstehung der Apokalyptik ist aus Krisen- und Leiderfahrungen heraus zu verstehen. Menschen, die in ihrem Gottesglauben lebten, haben erfahren, dass es ihnen in ihrem Leben schlecht erging, dass sie von Fremdherrschaft, von Ungerechtigkeit bedrängt waren, und dass das Böse in der Welt scheinbar ungebremst weitergehen konnte. Dagegen versuchen apokalyptische Texte festzuhalten, dass Gott im Regiment sitzt und dass diejenigen, die ungerecht gelitten haben, am Ende wieder zu ihrem Recht gebracht werden."

In den apokalyptischen Texten aus Qumran wird intensiv über eine Frage nachgedacht, die in den kanonischen Schriften des "Neuen Testaments" kaum eine Rolle spielt: über die Frage nach dem Ursprung des Bösen in der Welt.

Jörg Frey: "Es ist ja eine der alten, unaufgelösten, philosophischen Fragen, wo das Böse herkommt. - Ist das Böse aus der Freiheit des Menschen geschaffen? Ist es aus der Macht eines anderen, eines zweiten Gottwesens geschaffen? Oder ist der eine Gott, wenn er denn Schöpfer der ganzen Welt ist, auch der Schöpfer des Guten u n d des Bösen?"

Die Antike kennt in dieser Sache zwei Modelle. Einmal den klassischen Dualismus, wie ihn der Zoroastrismus, pflegt: die persische Religion. Hier stehen sich zwei gleich ursprüngliche Götter gegenüber: Ariman und Ahuramasta, ein Gott des Bösen und einer des Guten.

Jörg Frey: "Und wir haben im alten Testament eine ganz dezidierte anti-dualistische Position, wo es im Deuterojesaja-Buch heißt: ' Ich, der ich das Licht und die Finsternis geschaffen habe …' Gott ist sozusagen für alles zuständig, und es gibt keinen Bereich in der Schöpfung, der seiner Zuständigkeit entnommen wäre. Einen reinen Dualismus kann es im Zeichen des jüdischen und des christlichen Schöpfungsglaubens nicht geben. Wenn Gott diese Welt geschaffen hat, dann ist letztlich auch jedes böse Wesen, der Teufel, ein Geschöpf Gottes, das sich dann aus irgendwelchen Gründen gegen Gott wendet und genau diese Gründe werden dann in unterschiedlichen mythologischen Erklärungsmodellen versucht, darzutun."

Ein solches Erklärungsmodell liefert die Zwei-Geister-Lehre, ein Text, der ebenfalls in Qumran gefunden wurde. Jörg Frey:

Jörg Frey: "Dort heißt es, dass Gott am Anfang zwei Geister geschaffen hat: einen guten und einen schlechten. Diese beiden leiten die Menschen auf guten und bösen Wegen durch die ganze Geschichte hindurch, sie streiten auch miteinander im Herzen des Menschen: Zwei Seelen, ach, in meiner Brust! Aber am Ende heißt es, dass Gott das Herz des Menschen wieder reinigen wird von dem Bösen …"

Zwei-Geister–Lehre: "Ich habe Dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich Dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor Dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich Deiner erbarmen. So spricht der HERR."

Jörg Frey: "Dass er die Welt befreien wird von den bösen Elementen und die Gerechtigkeit wieder herstellen wird und das Böse, Belial, den Teufel, endgültig besiegen wird."

Jörg Frey und Michael Becker (Hrsg.): Apokalyptik und Qumran
Bonifatius Verlag 2007
304 Seiten, 23,90 Euro