Neue alte Wörter

Von Peter Kaiser · 28.05.2011
Bis heute stehen die im Westjordanland gefundenen Qumran-Texte mit den Nacherzählungen der Bücher Daniel, Moses, Jesaja und anderer im Fokus intensiver Forschungen. Bei der Deutung vieler Begriffe tappen Wissenschaftler noch immer im Dunklen. Ein Wörterbuch soll jetzt Abhilfe schaffen.
"Als Beispiel lese ich Daniel 22-24 in seiner Qumran-Gestalt in der Aussprache von 164 vor Christus, in dem Jahr, in dem das Buch Daniel abgeschlossen wurde."

Daniel hob an und sagte, der Name des großen Gottes sei gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Denn die Weisheit und die Stärke ist sein Eigentum. (...) Er enthüllt das Tiefe und das Verborgene und weiß, was in der Finsternis ist. Und das Licht wohnt bei ihm.

Die Texte, die Klaus Beyer, Professor für Semitistik an der Universität Heidelberg in Aramäisch liest, eine dem Hebräischen verwandte Sprache, und vermutlich die Sprache Jesu, stammen von den berühmten Schriftrollen aus Qumran im Westjordanland. Bis heute stehen die Qumran-Texte mit den Nacherzählungen der Bücher Daniel, Moses, Jesaja und anderer im Fokus intensiver Forschungen. Bei der Deutung vieler Begriffe tappen Sprachforscher und Theologen noch immer im Dunklen. Denn in der Zeit von 300 vor bis etwa 70 nach Christus veränderte sich die Sprache in dieser Region enorm. Bei vielen Begriffen lässt sich darum deren Bedeutung nicht mehr zweifelsfrei ableiten. Der Theologe Heinz-Josef Fabry von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

"Diese Texte laufen bis ungefähr 300, 200 vor Christus, genau weiß man das nicht, dann kommt das Neue Testament. Das beginnt ungefähr 70 bis 80 nach Christus. In diesen 300 oder 400 Jahren dazwischen haben wir keine direkte Literatur, sondern nur erzählende Literatur darüber."

Welche sprachlichen Bedeutungsverschiebungen in diesem Zeitraum stattgefunden haben, erforschen Heinz-Josef Fabry und sein Team gemeinsam mit dem Theologen und Sprachforscher Ulrich Dahmen von der Universität in Siegen. Als Resultat erschien vor kurzem der erste Band des Wörterbuchs zu den Qumrantexten. Enthalten sind 270 hebräische Stichworte zu unseren Buchstaben A-H.

"Was jetzt unser Wörterbuch so spannend gemacht hat, ist, dass wir rückgefragt
haben vom Neuen Testament her. Das Gebet Jesu, das Vaterunser, ist nun ein
Gebet, das würde einen Juden zuerst einmal überraschen, dass hier jemand so liebevoll über seinen Vater spricht. Weil die alttestamentlichen Texte, also die Texte der jüdischen Bibel, den Vater in der Regel kennen als jemand, der streng ist, der Töchter und Söhne unter Umständen mit dem Stock zum rechten Handeln antreibt, der in der Familie das patriarchale Oberhaupt ist. Und da sagt man, wie kann Jesus erwarten, dass wir ihm dieses Gebet so einfach nachsprechen?"

Die Erforschung der Texte zeigte, dass sich in den 400 Jahren der tiefere Sinn des Wortes "Vater" etwa radikal änderte. Denn das alte Erziehungssystem der Hebräer - die strenge Zucht mit dem Stock – befand sich zur Zeit der Qumranschriften im Wandel.

"Vom strengen Vater zum Vater, der mit der Mutter in der Familie die Belange regelt, und liebevoll mit den Kindern umgeht. Das wussten wir vorher noch nicht."

Weil das Wörterbuch nicht dem deutschen, sondern dem hebräischen Alphabet folgt, findet man auch Deutungen zu einem anderen Begriff: Opfer, auf Hebräisch Cebach.

"Die Qumraner haben gesagt, diese Art von Opfer wollen wir nicht mehr, genau wie das Neue Testament, die christliche Urgemeinde sich auch von diesem Opferkult distanziert. Und wir können jetzt sehen, wie im Begriff "Opfer" langsam aber sicher diese blutige Opfermaterie mit dem Schlachten von Lämmern und so weiter verschwindet, und dass "Opfer" nun zu einem Sammelbegriff wird für das Opfer der Lippen. Eine Bezeichnung, die nirgendwo sonst mehr vorkommt, und das sind die Gebete. Allein an diesem Begriff können wir die Veränderung der gesamten Liturgie in diesen Jahrhunderten nachvollziehen."

Das Wörterbuch hilft einerseits bei der Deutung der alten Texte.

"Sie bieten uns eine riesige Menge an Vokabeln, die wir unter Umständen im Alten Testament nur ein- oder zweimal vorfinden. Wo wir dann auch große Sorgen hatten, wie übersetzen wir diesen Text?"

Andererseits bergen die neuen Deutungen auch Zündstoff für kontroverse Diskussionen. Wie etwa beim Wort "Jungfrau".

"Im Jesaja-Buch ist ja von der Jungfrau die Rede, die einen Sohn gebären wird. Jetzt haben wir dort eine hebräische Formulierung, die kann durchaus auch junge Frau heißen. Jungfrau, junge Frau, beides spielt mit. Das Wort kommt gar nicht häufig vor im Alten Testament. Und jetzt haben wir in Qumran diesen Begriff auch. Jetzt schauen wir auf die Kontexte. Was ist das für eine Frau, die da gemeint ist? Ist das tatsächlich eine Jungfrau, wie Katholiken es gerne sehen würden. Oder ist es einfach eine junge Frau, eine Magd, die aufgrund ihrer Jugendlichkeit angesprochen wird? In solchen kniffligen Fragen, die zum Teil natürlich auch an die Substanz des Christentums reichen, da können wir in Zukunft mehr Klarheit gewinnen."

Bis 2015 sollen alle drei Bände des Qumran-Wörterbuchs vorliegen. Heinz-Josef Fabry ist sich sicher, dass sich aus diesem Prozess weitere Erkenntnisse darüber gewinnen lassen, wie die Bibel zu dem Buch wurde, das der Christenheit seit über eineinhalb Jahrtausenden als Grundlage ihres Glaubens dient.

"Die Qumran-Literatur, sage ich einmal frech, bietet uns jetzt alles, und die Bibel nur einen Ausschnitt aus diesem allen."


Mehr zum Thema bei dradio.de:

Fragmente der Qumran-Rollen werden zusammengesetzt