Psychische Belastungen bei der Feuerwehr

"Da liefen nur noch die Tränen"

06:23 Minuten
Ein Kind und eine erwachsene Person liegen offenbar verletzt auf dem Asphalt. Zu sehen sind drumherum die Beine von Polizisten und Feuerwehrmännern in ihren Uniformen. Ein Feuerwehrmann ist in die Hocke gegangen.
Polizei, Rettungsdienst und Freiwillige Feuerwehr trainieren bei einer Übung die Bewältigung einer lebensbedrohlichen Einsatzlage. Solche Einsätze hallen nach und können auch die Helfer sehr belasten. © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Von Linda Ebener · 14.01.2021
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Die Einsätze sind sehr belastend, doch psychologische Betreuung gibt es bei den freiwilligen Feuerwehren meist nicht. Zwei Feuerwehrmänner haben deshalb einen Instagram-Kanal eröffnet, um dort über das Erlebte zu reden. Die Resonanz ist gewaltig.
Der Pieper geht los. Rettungsassistent Hannes Weber eilt zum Einsatz. Mit dem Rettungswagen geht es abends in der Umgebung zu einem kleinen Mädchen. Sie ist krank und war in großer Gefahr. Hannes Weber versorgt die Kleine, anschließend wird sie ins Krankenhaus gebracht.
Es geht alles gut. Für Hannes Weber dennoch ein bleibendes Erlebnis, denn er hat eine Tochter im gleichen Alter.
"Dann bin ich nach Hause gekommen und konnte meine Tochter und meinen Sohn morgens noch begrüßen, bevor die zur Schule mussten. Dann sagte meine Frau: ‚Wir haben keinen Zucker mehr‘. Und ich muss morgens einen Kaffee trinken und ich hasse Kaffee ohne Zucker. Dann bin ich zu Netto und ich habe original Zucker in der Hand gehabt und komplett starr … Da liefen nur noch die Tränen und ich wusste in dem Moment gar nicht: Ey, was ist jetzt los?"
Der Rettungsassistent versucht, das Erlebte mit seiner Frau zu verarbeiten, und kommt dabei wieder zur Ruhe.

Professionelle Hilfe nutzen – für viele nicht leicht

Immer wieder passieren auch seinen Kollegen solche Einsätze. Doch nicht jeder hat eine Partnerin oder einen Partner, mit dem er oder sie darüber reden kann. Da kam immer wieder die Idee auf, öffentlich darüber zu sprechen.
"Das Reden ist das A und O, Schweigen ist da echt absolut fehl am Platz. Wir wollen da quasi als Vorbild fungieren und zeigen: Du musst das nicht in dich hineinfressen, das ist der falsche Weg. Der richtige Weg ist es, offen damit umzugehen und darüber zu reden, und das entweder mit Kameraden oder Kollegen. Oder halt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Das trauen sich natürlich viele nicht."

Das Erlebte nicht in sich hineinfressen

Hannes und Ingo sind zwar keine Seelsorger und können auch keinen Psychologen ersetzen, aber sie geben mit ihrem Instagram-Kanal bulli_talk Anreize und Beispiele, was gemacht werden kann, um das Erlebte nicht in sich hineinzufressen. Und das findet Anklang, denn die Resonanz auf die Postings ist positiv.
"Firebrigade Germany" schreibt zum Beispiel:
"Leider wird es noch immer in unserem Beruf als Schwäche angesehen, über Gefühle zu sprechen – ganz genau das Gegenteil ist der Fall: Nur wer stark ist, kann Belastendes aussprechen und nimmt es nicht mit, bis es einen selbst zermürbt, egal wie hart manche harten Kerle gerne nach außen tun."
Und auch User "Kevinkpunkt" reagiert auf die Postings der beiden Feuerwehrmänner, er kommentiert:
"Jeder, der sagt, ihm sei das egal und man sei schwach, wenn einem auch mal etwas nahegeht, belügt sich selbst. Einfach die Jacke hinhängen und nix mit nach Hause nehmen ... - so ein Quatsch. Belastende Einsätze sind für jeden ein Mitbringsel. Reden hilft! Ob mit Kollegen, Kameraden, Freunden, Familie oder sogar professionelle Hilfe. Wer offen redet, zeigt wahre Stärke. Wir sind alle nur Menschen und haben Gefühle."
Bisher gab es für Ingo Paul und Hannes Weber sogar schon positives Feedback aus den Niederlanden, Österreich und der Schweiz – immer mit der Rückmeldung, dass es toll sei, wenn sie auf die Belastungen aufmerksam machen. Und dass es viel zu wenig Kameraden gebe, die die Seelsorge oder das Gespräch mit einem Psychiater nutzen.
Ingo Paul zum Beispiel muss immer wieder an ein Ereignis zurückdenken:
"Mein einschlägiges Erlebnis, was ich wirklich nie vergessen werde, ist Mittwoch, der 3. Juni 1998. Ich war noch ziemlich jung in meinem Beruf - und das war das Zugunglück von Eschede. Ich war beim Roten Kreuz in einer Rettungswache stationiert, die in der Nähe von Eschede lag, und gehörte quasi mit zu diesen ersten Fahrzeugen, die an dieser schlimmen Unfallstelle eintrafen. Und zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Konzepte, also wie man so eine große Stelle überhaupt bearbeitet. Es gab auch hinterher keine Seelsorge in dem Sinne."
Weil es damals so viele Kameraden betroffen hat, wurden Gruppengespräche angeboten, um das Erlebte aufzuarbeiten. Für Ingo Paul war das eine große Hilfe, um mit den Bildern klarzukommen.
Zwei Feuerwehrmänner in Arbeitskleidung stehen zwischen zwei Feuerwehrautos. 
Hannes Weber und Ingo Paul von der Freiwilligen Feuerwehr Ratzeburg© Deutschlandradio / Linda Ebener
Heutzutage findet die Seelsorge im Einzelgespräch statt – natürlich herrscht dort Schweigepflicht. Auch in der Ausbildung der Wehren werden Belastungen besprochen.
"Man versucht da schon, offen und transparent mit diesem Thema umzugehen, was auch sehr gut funktioniert. Das heißt: Nicht nur die Einsatznachsorge ist wichtig, sondern auch die Einsatzvorsorge."

Einblicke in die Arbeit der Feuerwehr

Die Instagram Seite bulli_talk beschäftigt sich jedoch nicht nur mit Einsätzen, die einem nahe gehen. Die beiden Männer behandeln auch Themen wie Gaffer an der Unfallstelle oder: Wie erkenne ich einen Schlaganfall und wie gehe ich da vor? Und sie geben in Videos und auf Bildern Einblicke in die Arbeit der Feuerwehr.
Der Instagram-Kanal bulli_talk heißt übrigens so, weil Hannes vor einem Jahr mit einem Bulli zu verschiedenen Wehren gefahren ist und dort Interviews geführt hat. Den Bulli gibts heute nicht mehr, aber der Name ist geblieben.
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