Brandschutz in Mecklenburg-Vorpommern

Wenn der Feuerwehrmann in Rente geht

14:42 Minuten
Die Feuerwehren in Mecklenburg-Vorpommern suchen Verstärkung.
Die Feuerwehren in Mecklenburg-Vorpommern suchen Verstärkung. © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann · 29.03.2019
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Wälder, Seen, weite Wege: Die große Fläche des dünn besiedelten Landes stellt die Feuerwehren in Mecklenburg-Vorpommern vor große Herausforderungen. Personal und technisches Gerät sind in die Jahre gekommen.
Dieses Wasser war nicht bestimmt für den Rasen im Vorgarten. Und es war auch kein Sonntagsspaziergang, der diese beiden Männer vorigen August in den Wald bei Groß Laasch führte. Der eine: Landwirtschafts- und Umweltminister in Mecklenburg-Vorpommern. Der andere: Feuerwehrmann.
Backhaus: "Noch einmal vielen, vielen Dank!"
Feuerwehrmann: "Alles gut."
Backhaus: "Und jetzt haben wir das langsam, ne?"
Feuerwehrmann: "Wir haben eben mit der Wild-Kamera noch mal abgeguckt. Also da, wo wir jetzt noch mal Wasser raufgehauen haben, haben wir 17, 18 Grad."
Mit dieser Bodentemperatur könne man leben, sagt der Feuerwehrmann, umgeben von schwarz-braun verkohlten Bäumen und Büschen.

Rund 100 Männer löschten vier Tage lang

Vier heiße Augusttage und -nächte benötigten die rund einhundert Kameraden diverser Feuerwehren, um diesen Brand in der Nähe der A 24 zu löschen und die zahlreichen Glutnester im Boden zu ersticken. Die langanhaltende Trockenheit von 2018 und der munitionsverseuchte Boden hatten die Löscharbeiten erschwert. Doch da sei noch etwas, sagt Landwirtschaftsminister Till Backhaus auch mit Blick auf die vielen anderen Feuerwehreinsätze in diesem Hitzesommer:
"Man muss ganz klar sagen: Die Feuerwehren sind hervorragend ausgebildet, haben kluge Ideen. Aber es fehlt zum Teil an Technik. Oder die Technik ist nicht so einsatzfähig, wie wir uns das wünschen. Und sie sind zum Teil auch verschlissen."
Zwar sind die Landkreise und Kommunen für die Ausstattung ihrer Wehren zuständig. Doch Innenminister Lorenz Caffier hat dies durchaus als Seitenhieb auf sich verstanden. Er ist zuständig für den Brandschutz im Land. Der CDU-Mann weiß, dass sich die sechs Berufsfeuerwehren und die 939 Freiwilligen Feuerwehren in Mecklenburg-Vorpommern in einem Umbruch befinden: Viele langgediente Kameraden gehen derzeit in Rente, und eigentlich gehöre auch so manches an Technik und Ausrüstung aufs Altenteil.
"Deswegen auch die Feuerwehrbedarfsplanung, dass wir vor Ort in den Ämtern sagen: Wie ist euer Personal aufgestellt? Welche Fahrzeuge brauchen wir? Wie müssen wir die Einsatzpläne machen, damit wir auch die Tagbereitschaft in der Woche gewährleisten können? Und das ist sicherlich in Mecklenburg-Vorpommern eine andere Herausforderung als in Hamburg oder NRW, wo ich einfach eine größere Konzentration von Menschen habe."
Bis Ende April sollen die Gemeinden dem Schweriner Innenministerium unter anderem beschreiben, wo potentielle Gefahrenherde wie Biogasanlagen oder munitionsbelastete Flächen liegen, wie hoch die Gebäude im Ort sind, welche Einsätze in welcher Zeit die örtliche Feuerwehr stemmen soll und stemmen kann. Für Lorenz Caffier, der sich gern "Feuerwehrminister" nennt, ist eines schon jetzt klar: die Anschaffung von Löschpanzern werde das Land den Landkreisen nicht bezahlen. "Sicherlich reden" müsse man "über andere Ausstattungswünsche" wie zum Beispiel:
"Allradfahrzeuge. Möglicherweise Drohnen, womit ich mir einen gewissen Überblick verschaffen kann, die wir möglicherweise auch zentral vorhalten. Aber ich glaube eben nicht, dass wir für alle Eventualitäten alles vorhalten müssen."

100.000 Euro für ein "Hilfeleistungslöschgruppenfahrzeug"

Seit 13 Jahren ist Lorenz Caffier als Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Feuerwehrbesuche gehören zu seinen Lieblingsterminen. Erst vorigen Montag übergab er im westmecklenburgischen Pritzier einen Zuwendungsbescheid von knapp über 100.000 Euro, damit die Gemeinde ein HLF 10 anschaffen kann. Dieses "Hilfeleistungslöschgruppenfahrzeug" soll das alte ersetzen. Das ist Baujahr 1982.
In diesen Minuten wiederum überreicht Christdemokrat Caffier im ostvorpommerschen Ueckermünde einen Bewilligungsbescheid über rund 23.000 Euro "zur Ersatzbeschaffung eines Schlauchbootes für die Feuerwehr", wie es offiziell heißt. Das Boot kostet insgesamt 70.000 Euro.
Ja, sagt Innenminister Caffier, bei Feuerwehrausrüstung werde geklotzt und nicht gekleckert. Doch die Preissteigerungen der letzten Jahre treiben ihm tiefe Sorgenfalten auf die Stirn.
"Ich habe vor 13 Jahren meine erste Drehleiter in Pasewalk übergeben. Die kam 300.000 Euro. Ich habe letzte Woche eine übergeben. Die kam 720.000 Euro. Da sind ein paar Knöpfe mehr dran, und da habe ich Touchscreen und 'ne Kamera für oben und unten zum Überwachen des Maschinisten oder auch derjenigen, die sich im Korb aufhalten. Aber vom Grundsatz her ist das alles gleich geblieben. Und das bringt uns natürlich vor riesige Probleme. Deswegen auch die Überlegung, dass wir ab nächstes Jahr im Haushalt zusätzlich Geld einstellen. Wir haben bei mir im Haushalt jetzt 12,5 Millionen Euro pro Jahr beantragt. Was rauskommt, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir sogar 50 Millionen Euro für die Erneuerung bis Mitte 2020 brauchen."

Das erklärt der Feuerwehrminister auch den 13 Männern und Frauen aus Belsch, die sich Anfang dieser Woche im Gemeindehaus versammelt haben. Caffiers Erscheinen in dem kleinen Dorf am Rande eines früheren Bundeswehrschießplatzes hängt mit dem Brand im vorigen Sommer zusammen, der ebenfalls mehrere Feuerwehren tagelang in Atem gehalten hatte.
Gebrannt hatte es auf jenen 1000 Hektar Heideland und Wald, die laut der Gemarkung der Gemeinde Belsch zugeschlagen sind, ihr aber nicht gehören. Eigentümer des früheren Truppenübungsplatzes ist der Bund, doch die Brandschutzordnung von Mecklenburg-Vorpommern besagt, dass die jeweilige Gemeinde für die Kosten von Feuerwehreinsätzen auf ihrem Gebiet geradestehen muss. Das erklärt Innenminister Caffier nun auch den Belschern und übergibt dem Bürgermeister sodann eine rote Mappe mit Landeswappen. Darin: ein Zuwendungsbescheid. 90 Prozent der Löschkosten von 188.000 Euro übernimmt das Land. An der kleinen Gemeinde Belsch bleiben nur noch 19.000 Euro hängen. Aufatmen im Raum.
Freiwillige Feuerwehr Belsch: Hans-Rüdiger Brandt und Wehrführer Stefan Pfüller
Freiwillige Feuerwehr Belsch: Hans-Rüdiger Brandt und Wehrführer Stefan Pfüller© Deutschlandradio / Silke Hasselmann

Am Tag sind maximal zwei Mann da

"Gut, was gibt's sonst noch, Bürgermeister?"
Der Bürgermeister reicht das Wort weiter an einen großgewachsenen Mann in dunkelblauer Uniform: Stefan Pfüller, Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Belsch. Er und der Kamerad Hans-Rüdiger Brandt hatten mir zuvor einen Blick in das Gerätehaus nebenan gestattet, das Platz für ein kleines Löschfahrzeug und für die Schutzbekleidung der Kameraden bietet.
Brandt: "Die Feuerwehr gibt es seit 1936."
Reporterin: "Und dieses Häuschen?"
Pfüller: "Vor sieben Jahren ist das durch die Gemeinde ohne Fördermittel erstellt worden. In diesem Zuge haben wir denn vor drei Jahren auch ein gebrauchtes Auto wieder gekriegt, was jetzt schon mittlerweile auch wieder 21 Jahre ist. Ein TS FW auf einem LT 55 aufgebaut."
Reporterin: "Was kann der?"
Brandt: "Der kann sechs Leute mitnehmen. Der hat eine Tragkraftspritze, mit der man Wasser saugen kann."
Pfüller: "… und 500 Liter Wasser an Bord für Kleinstbrände."
Brand: "Der kann technische Hilfeleistungen machen, Absperrungen und so weiter. Der hat auch ein paar Leitern auf dem Dach. Damit kommen wir bis in den ersten Stock, um Leute zu bergen. Wir haben eine Motorsäge, wenn Bäume umgebrochen sind."
Reporterin: "Wann hatten Sie Ihren letzten Einsatz?"
Pfüller: "Der letzte Einsatz war ein Brandeinsatz auf dem ehemaligen LPG-Gelände, wo Silo-Reste gebrannt haben. Also für unsere Gemeinde mit rund 65 Häusern sind wir recht gut aufgestellt. Wenn wir natürlich solche Aktionen haben wie im letzten Jahr mit dem Schießplatz oder ehemaligen Truppenübungsplatz, dann sind wir natürlich total überlastet."
Während er das elektrische Rolltor hochfährt, ergänzt Wehrführer Stefan Pfüller, dass er sich nach Feierabend und an den Wochenenden auf die Einsatzbereitschaft von zehn bis 15 Mann verlassen könne. Allerdings:
"Wir haben jetzt aufgrund der Feuerwehrbedarfsplanung festgestellt, dass am Tage maximal zwei Mann da sind."
Im Alarmfall würde dann einer das Löschfahrzeug anwerfen und maximal ein zweiter aufsitzen. Die könnten immerhin schon mal die Lage klären, bis die Kameraden der drei bis vier Nachbarwehren eintreffen. Die seien tagsüber genauso dünn besetzt wie in Belsch, so dass man sich stets gegenseitig alarmiert und hilft. Anders geht es nicht mehr.
Zurück zum Gespräch im Gemeindehaus mit Innenminister Lorenz Caffier. Wehrführer Stefan Pfüller spricht die gerade laufende Brandschutzbedarfsplanung an und möchte wissen, ob die Feuerwehren ihre Ausrüstung wirklich immer bei deutschen Herstellern beziehen müssen. Ob es zum Beispiel anderenorts keine preiswerteren Feuerwehrleitern?
"Gute Frage. Hab ich auch gedacht. Hab gedacht: Fährst du mal nach Frankreich! Dummerweise kommen die ganzen Drehleitern aus Deutschland, die in Frankreich sind."

Feuerwehrhelme in Polen kosten nur ein Drittel

Polnische Fahrzeuge wiederum entsprächen nicht den hiesigen Standards, aber:
"Zum Beispiel hat Polen Feuerwehrhelme, die kosten nur ein Drittel. Die sind auch von unserer Feuerwehrzentrale anerkannt, und auf diese Sachen muss man mittlerweile auch gucken."
Plenarsaal des Landestages von Mecklenburg-Vorpommern im Schweriner Schloss. Wo sonst in den dem blendendweiß getünchten Saal Abgeordnete, Regierungsmitglieder und Pressevertreter sitzen, haben nun über 150 uniformierte Feuerwehrmänner und -frauen Platz genommen. Das Bläserquintett des Landespolizeiorchesters läutet ihn ein, den "Festakt 140 Jahre Landesfeuerwehrverband MV".

Auch Karsten Franck von der Freiwilligen Feuerwehr Gnoien hat die vielen Reden angehört und das Geschenk der Landesregierung gesehen: ein feuerwehrroter Strandkorb. Das Wichtigste aber ist für ihn wie für die anderen Feuerwehrleute im Saal die Bestätigung durch die Ministerpräsidentin, dass das Land ein 50-Millionen-Euro-Programm für die Ausrüstung der Feuerwehren auflegt.
"Es ist schon ein ordentlicher Schluck, wenn das dann vernünftig verteilt wird. Das ist jetzt natürlich die Sache, dass das wirklich da unten ankommt bei den Feuerwehren, die das wirklich nötig haben. Wenn man das jetzt den Feuerwehren geben würde, die schon relativ gut ausgestattet sind, das wäre natürlich nicht so schön. Natürlich sollen die auch Geld haben. Aber dass man erst mal das Niveau generell etwas anhebt. Dass die kleinen Feuerwehren, die Dorffeuerwehren, wo keine Heizung im Gerätehaus drinne ist - dass die erst mal was kriegen."
Auch die 3000-Einwohner-Kommune Gnoien hofft auf Geld aus diesem Topf. Folglich hat sie im Zuge der Brandschutzbedarfsplanung einige konkrete Wünsche an Schwerin vermerkt. Zwar sei die Wehr mit rund 40 Kameraden plus Jugendfeuerwehr recht gut aufgestellt, sagt Karsten Francke, der voriges Jahr auf 20 Einsätze kam. Doch nötig wäre ein neues Gerätehaus.
"Naja, das Gerätehaus, das wir haben - unsere Feuerwehr in Gnoien ist 1887 gegründet worden - ist immer noch auf demselben Standort wie damals. Das ist noch nicht vergrößert worden. Aber die Fahrzeuge werden größer als früher, und das wird natürlich auch irgendwann eng da drin."

In zehn Minuten soll Feuerwehr am Brandherd sein

Zumal die Gnoiener gern beginnen wollen ihren Fuhrpark zu erneuern. Das älteste Löschfahrzeug stammt von 1985. Wobei:
"Wenn ich mal so rum gucke in unserem Landkreis - das ist doch im Vergleich zu anderen Feuerwehren ein junges Fahrzeug. Ich weiß eine Feuerwehr: Das Auto ist über 50 Jahre alt, und das muss ja irgendwie fahren."
"Naja, eine einsatzbereite Feuerwehr ergibt sich ja immer aus Mannschaft und Gerät. Ich brauche kein schickes, neues Feuerwehrfahrzeug, wo alles drauf ist, und ich habe keine Mannschaft mehr, die es bedienen kann."
Ergänzt Norbert Rieger, Kreiswehrführer des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte - anderthalb mal so groß wie das Saarland, dünnbesiedelt, große Seen und oft weite Strecken zwischen Feuerwehrstandort und Einsatzort. Die vorgeschriebene Frist von zehn Minuten zwischen Alarmierung und Eintreffen am Brandherd in sogenannten Kerngebieten sei oft kaum zu schaffen. Noch schwieriger sei es, entlegene Dörfer, Ortsteile und Einzelbauernhöfe rasch zu erreichen - vor allem tagsüber, sagt Norbert Rieger. Wie die meisten ländlichen Feuerwehren können auch seine oft kaum noch die geforderte Tageseinsatzbereitschaft garantieren.
"Wir haben von 6 bis 18 Uhr enorme Probleme, weil die meisten nicht an ihrem Wohnort arbeiten. Wir haben es eben an manchen Tagen, dass drei Wehren zusammen ausrücken. Dann haben wir zu tun, eine Gruppe vor Ort zusammenzubekommen. Dafür aber vier oder fünf Fahrzeuge."
Im Zuge der aktuellen Feuerwehrbedarfsplanung in Mecklenburg-Vorpommern kommt nun anscheinend einiges in Gang. Was die horrenden Kosten für die technische Ausrüstung angeht, so will Innenminister Lorenz Caffier in Kürze nach Hessen fahren. Dort friemelt nicht mehr jede Kommune allein vor sich hin. Die Beschaffung wird vielmehr zentral erledigt. Klingt gut, meint der Schweriner Feuerwehrminister. Und hat auch eine Idee, was die Nachwuchsgewinnung angeht.
"Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich in der Frage immer nicht beliebt mache: Ich sage, wir werden irgendwann in der Zukunft über die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im öffentlichen Dienst reden. Ich kann kaum verstehen, dass Teile der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst am Wochenende im Garten sitzen und ihre Wurste grillen, wobei ich ihnen viel Freude wünsche dabei, und die anderen ausrücken. Ich glaube, wir werden darüber reden müssen beim öffentlichen Dienst, ob nicht jeder, der neu anfängt, grundsätzlich ein Ehrenamt mit übernimmt. Ich weiß, das ist eine rechtlich große Frage. Aber wir können nicht immer warten, bis es nicht mehr geht."
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