Präzises Theater mit hohem Spaßfaktor

Von Uwe Friedrich · 09.12.2012
Robert Carsen macht aus Prokowjews "Die Liebe zu den drei Orangen" eine bunte Zeit- und Stilreise, die ihren Ausgangspunkt mitten in Berlin hat, nämlich direkt vor dem Zoo-Palast. Die technisch aufwendige Inszenierung ist sehr lebendig geraten und macht richtig viel Spaß.
Sogar die Spötter sind ein Stilzitat. Mit Maschinengewehren bewaffnete Terroristen stürmen den Zuschauerraum der Deutschen Oper und fordern die Aufführung des Theaterstücks "Die Liebe zu den drei Orangen".

Sie sehen aus wie all jene Uniform- und Maschinengewehrträger, die wir seit den achtziger Jahren bis zum Überdruss in jeder irgendwie sich kritisch gebenden Regietheaterveranstaltung erdulden müssen. Und natürlich geht auch das Saallicht an, damit wir merken, du da im Parkett bist gemeint.

Aber diesmal macht das richtig Spaß, denn der Regisseur Robert Carsen schafft den Spagat zwischen abgegriffenen Theaterrequisiten und selbstironischem Kommentar, zwischen dem theaterwissenschaftlichen Seminar in Berliner Bühnengeschichte und sehr lebendigem, präzise gearbeitetem Theater mit hohem Spaßfaktor.

Der Prinz lacht, aber da fangen die Probleme erst richtig an. Denn die Obdachlose, über die er sich gehässig amüsiert, ist in Wahrheit die böse Fee Fata Morgana. Die rächt sich mit einem Fluch und sofort verliebt der Prinz sich in die drei Orangen, die er nun suchen muss. Das geschieht in Robert Carsens Berliner Neuinszenierung der "Liebe zu den drei Orangen" mitten in Berlin, nämlich vor dem Zoo-Palast während der Filmfestspiele.

Sergej Prokofjews Oper ist eine Liebeserklärung an alle Formen des Theaters und folgerichtig hatte der Prinz sich zuvor im Kino furchtbar gelangweilt. Auf den Berliner Bühnenbrettern ist hingegen immer jede Menge los und das zeigt Carsen in einer bunten Zeit- und Stilreise. Irgendwo zwischen Zitat und Parodie bekommt jede Theateravantgarde der vergangenen hundert Jahre ihr Fett weg.

Der geleckt weiße Bildungsbürgerstil der aktuellen Schaubühne am Lehniner Platz wird im Domizil der intriganten Clarisse zitiert, der Zauberer Tschelio übt seine Tricks in einem Cabaret der zwanziger Jahre und das Liebesduett des Prinzen mit seiner endlich errungenen Prinzessin Ninetta ist die Parodie einer Robert-Wilson-Inszenierung an der Berliner Staatsoper.

Dazu wird vor Paul Steinbergs Bühnenbild eine Brechtgardine eifrig auf und zu gezogen, auf der die Sütterlinaufschrift der Dreigroschenoper in blutrot mit "L’amour des trois oranges" überpinselt ist.

Sergej Prokofjews Oper "Die Liebe zu den drei Orangen" ist eine Feier der Liebe zum Theater, eine Feier der Poesie und der disparaten Mittel, die allesamt auf der Bühne erlaubt sind, wenn sie das Publikum nur in Bann schlagen.

Robert Carsen versucht erst gar nicht, die auseinanderstrebenden Teile in eine einheitliche Form zu zwingen. Schon Prokofjew unterbricht immer wieder die Märchenhandlung, lässt abwechselnd die Liebhaber der Komödie oder der Tragödie ihr Recht fordern, gelegentlich greifen die Spötter gleich selber handfest in die Handlung ein. Hier schlägt die Stunde des wieder einmal großartigen Chors der Deutschen Oper Berlin. Aber auch das Sängerensemble zeigt sich unter dem Dirigenten Steven Sloane hervorragend aufgestellt.

Thomas Blondelle ist der hypochondrische Prinz, der dann so ansteckend lacht und sich in die Orangen verliebt. Burkhard Ulrich singt einen charaktervoll-urkomischen Truffaldino im Tretauto, Heidi Melton gestaltet die Fata Morgana stimmstark als vollschlanke Marlene Dietrich, auch alle anderen stürzen sich mit Hingabe in die technisch aufwendige Inszenierung.

Die drei Orangen, aus denen drei Prinzessinnen steigen, stehen übrigens für die drei Berliner Opernhäuser. Die Komische Orange, die Deutsche Orange und die Staatsorange. Während die anderen beiden Prinzessinnen verdursten, wird die dritte, die aus der Deutschen Orange, nicht mit Wasser, sondern mit viel Geld gerettet. Und wenn dann zum Schlussjubel die riesige Bühne der Deutschen Oper bis zu den Brandmauern leergeräumt ist, fällt einem erst auf, wie groß sie ist und wie vielen verschiedenen Stilrichtungen sie Raum bieten kann.

Dann wird die Brechtgardine zum letzten Mal an diesem Abend schnell zugezogen. Es folgt großer Jubel im Saal.


Links bei Dradio.de
Gefeierter Opern-Workaholic
Porträt des Regisseurs Robert Carsen
Marie-Antoinette und Marie Namenlos in Paris
Robert Carsen inszeniert das Leben der französischen Königin und Christoph Marthaler das der Geliebten von Wozzeck
Blut, Grausamkeit und Schrecken - wohl dosiert
Robert Carsen inszeniert Bizets "Carmen" in Amsterdam
Mehr zum Thema