Optimistisch im Krisenmodus

Die menschliche Gabe des heiteren Gemüts

Ein zuversichtlich schauender junger Mann sitzt auf einer gelben Mauer.
Trotz Todesgewissheit blickt der Mensch positiv in die Zukunft, betont unser Autor Arno Orzessek. (Symboldbild) © imago images/Cavan Images
Gedanken von Arno Orzessek · 30.12.2021
Klimawandel, Corona, Artensterben: Es herrscht Endzeitstimmung. Klagen über die modernen Zeiten sind zu einer Konstante geworden. Umso wichtiger sei es, dem Leben positiv gegenüberzustehen, meint Arno Orzessek.
Es ist ein bisschen seltsam: Die Mode-Floskel „Alles gut“ hat sich ausgerechnet in einer Zeit etabliert, in der nach allgemeiner Überzeugung besonders viel gar nicht gut ist, darunter auch die Zukunftsperspektive. Entlarvt also die notorische, wenn auch oberflächliche Beschwörung der guten Gegenwart im Kleinen, dass die Hoffnung auf eine gute Zukunft im Großen schwindet?
Auf der Faktenseite spricht vieles dafür. Am lautesten der Klimawandel, das Artensterben, die Umweltverschmutzung, die schrumpfenden Ressourcen bei zunehmender Weltbevölkerung – und das alles vor dem Hintergrund der nahezu ungebrochenen kapitalistischen Wachstumsideologie. 

Endzeitstimmung und Zukunftsskepsis

Man muss im sogenannten Anthropozän kein triefäugiger Schwarzmaler mehr sein, um das mittelfristige Überleben der Menschheit infrage zu stellen. Zukunftsskepsis entspringt heute am ehesten aus purem Realismus. 
Es stimmt: Endzeit-Erwartungen werden seit Jahrtausenden gehegt, und wenn man so will: bisher ohne Erfolg. Lange entstammten sie vor allem religiösen Quellen, hielten dann aber dem wissenschaftlichen Blick der Moderne immer weniger stand. 
Heute jedoch ist es gerade der wissenschaftliche Blick, der die Menschheit in eine Sackgasse laufen sieht – während die Religion nicht zuletzt zu einer Trost-Agentur angesichts der wissenschaftlichen Zumutungen geworden ist. Nach christlichem Verständnis etwa ist die Apokalypse weniger ein Endpunkt als vielmehr ein Neuanfang. „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“, heißt es in der Offenbarung – und Gläubige halten sich daran fest. 
Doch selbst wenn es so käme, würde uns das hier und jetzt nicht weiterhelfen. Denn die neue Erde ist definitiv nicht mehr von dieser Welt. Oder anders: Transzendente Hoffnungen lösen nicht unser CO2-Problem.

Fröhlichkeit trotz Todesgewissheit

Aber genug geunkt! Es gehört ja zu den größten Vorzügen des Menschen, trotz der Gewissheit seines eigenen Todes jede Menge Fröhlichkeit, Zufriedenheit und sogar Glück erleben zu können.
Ich vermute, dass uns diese individuelle Befähigung – gute Laune trotz absoluter Todesgewissheit – auch hilft, mit dem verdüsterten Menschheitshorizont und den täglich aus allen Himmelsrichtungen hereinprasselnden Schreckensmeldungen klarzukommen. 

Die Welt ist schlecht, das Leben ist schön

Als ich jung war, wurde ohne Ende über einen drohenden Atom-Krieg und die Nato-Nachrüstung diskutiert. „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht“, sang damals die Neue Deutsche Welle-Band "Geier Sturzflug", die in einem anderen, ebenfalls zivilisationskritischen Lied allerdings auch trotzig grölte: „Aber eins kann mir keiner nehmen und das ist die pure Lust am Leben.“
Andreas Dorau formulierte den Widerspruch zwischen finsteren Fakten und heiterem Gemüt in den Zeilen: „Die Welt ist schlecht, das Leben ist schön. Was gibt es daran nicht zu verstehen?“ Ja, das klingt außerhalb des musikalischen Vortrags unterkomplex. Dennoch kam es mir damals – wie heute – so vor, als würden die Lieder das alltägliche Bewusstsein vieler Menschen flapsig-korrekt beschreiben. 

Bejahung statt Abscheu

An einer Greta Thunberg verstört mich bei aller Anerkennung, dass sie die finsteren Umwelt-Fakten zur einzig legitimen Grundlage unseres Existenzvollzugs erheben will, um vornehm zu sprechen. Doch viele Menschen schöpfen ihre Kraft, auch die Kraft zu verantwortungsvollem Handeln, in erster Linie aus der Bejahung ihres individuellen Daseins und nicht aus der Abscheu vor den Perversionen der modernen Zivilisation. 
Was aber die Zukunftsaussichten des Homo sapiens insgesamt betrifft, stammt der verwegenste Gedanke vielleicht immer noch von Friedrich Nietzsche, der seinen Zarathustra verkünden ließ: „Was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist.“ 

Bessere Zeiten sind kaum zu erwarten

Sind wir vielleicht zu stark, um unsere eigenen Lebensgrundlagen zu erhalten? Und macht uns das auf gewisse Weise liebenswert? Zumindest Ersteres könnte ohne Weiteres zutreffen. Bessere Zeiten sind von der Zukunft wohl kaum zu erwarten. 
Insofern mag die inhaltlich indiskutable Floskel „Alles gut“ eine Art Pfeifen im Walde sein. Aber lieber Pfeifen als Heulen und Zähneklappern.

Arno Orzessek, geboren 1966 in Osnabrück, studierte in Köln Literaturwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte. Er arbeitet als freiberuflicher Journalist vor allem für Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur und lebt in Berlin.

Der Autor Arno Orzessek
© imago/STAR-MEDIA
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