Warum Chemnitz als Standort umstritten ist

Am Wochenende wird das bundesweit erste NSU-Dokumentationszentrum eröffnet. Doch in Chemnitz ist die Begeisterung für den zentralen Gedenkort, der an die Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe erinnern soll, eher verhalten. Warum?
Wenn das bundesweit erste Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex "Offener Prozess" am Sonntag (25.05.2025) in Chemnitz eröffnet wird, ist der Oberbürgermeister von Chemnitz nicht zugegen. Dass der zentrale Erinnerungsort an den NSU ausgerechnet in Chemnitz liegt, ist vor Ort umstritten.
Die Wahl fiel auf Chemnitz, weil die Gründer der terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, viele Jahre lang unbehelligt dort lebten. Von dort aus verübte das Trio Raubüberfälle, plante Anschläge und Morde. Zwischen 2000 und 2006 ermordete der NSU neun Menschen aus rassistischen Motiven.
Inhalt
Was soll das NSU-Dokumentationszentrum leisten?
Das Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex soll an die Taten des NSU erinnern, aber mehr noch Einblicke in die Lebenswelt all jener Menschen geben, die von der rechtsextremistischen Terrorgruppe ermordet wurden. Angehörige der Opfer wurden bei der Konzeption der Ausstellung miteinbezogen.
Neben der Ausstellung soll das Dokumentationszentrum, das mitten in der Chemnitzer Innenstadt liegt, auch als Archiv und Forschungseinrichtung dienen. Daneben soll es auch Bildungsort sein, unter anderem für angehende Polizistinnen und Polizisten. Darüber hinaus versteht es sich als Begegnungsort für Menschen, die von rassistischer und rechtsextremer Gewalt betroffen sind.
Getragen wird das Dokumentationszentrum von zwei Vereinen aus Sachsen und der Berliner „Initiative offene Gesellschaft“. Der Bund und das Land Sachsen finanzieren es bis Ende 2025. Wie es danach weitergeht, ist noch offen.
Was spricht gegen Chemnitz als Standort?
Problematisch ist, dass einige Unterstützer des NSU noch immer in Chemnitz leben. Einer betreibt heute eines der größten Rechtsrock-Labels in Deutschland, ein anderer sitzt für die AfD im Stadtrat. Für die Angehörigen der Opfer ist es eine Belastung, eine Stadt zu besuchen, in der bekannte NSU-Sympathisanten leben. Manche fürchten rassistische Gewalt. Rechte Einstellungen sind in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitet. Die AfD ist die größte Partei im Stadtrat von Chemnitz und gewann zur Bundestagswahl das Direktmandat.
Weitere Vorbehalte kommen aus einer ganz anderen Richtung: Lokale Politiker, so auch Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD), befürchten, dass das NSU-Dokumentationszentrum dem Image der Stadt schaden könnte, weil die Gefahr bestehe, dass sie als Stadt der Täter stigmatisiert werde. Rechte Kreise fordern, dass endlich ein Schlussstrich unter das Kapitel NSU gezogen werden müsse und verweisen auf die Kosten, die ein Gedenkort verursacht.
Chemnitz liegt in Sachsen und auch auf der politischen Landesebene hat das NSU-Dokumentationszentrum keinen leichten Stand, sagt Jörg Buschmann, einer der Koordinatoren des neuen Dokumentationszentrums. Er stoße politisch eher nicht auf offene Türen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wird nicht zur Eröffnung kommen. Gleiches gilt für Oberbürgermeister Schulze.
Was spricht für Chemnitz als Standort?
Verschiedene Initiativen setzen sich in Chemnitz schon lange für das Gedenken ein, gerade weil das NSU-Trio dort über Jahre im Untergrund lebte. Die Aufarbeitung des NSU-Komplexes ist in Chemnitz aber weiter schwierig. Gesellschaft und Politik sind an vielen Stellen nicht offen, sich mit rechtsmotivierter Gewalt auseinanderzusetzen.
Dass die Stadt wegen des Dokumentationszentrums ein Imageproblem bekommt, sei eher unwahrscheinlich, vermutet der Soziologe Ulf Bohmann. Es könnte sogar eine Chance für die Stadt sein. Tatsächlich habe es Städten bislang nicht geschadet, selbstkritisch zu ihrer Geschichte zu stehen und Orte der Erinnerung zu schaffen.
Wo soll es weitere NSU-Gedenkorte geben?
Ein weiteres NSU-Dokumentationszentrum soll in Nürnberg entstehen. In Nürnberg töteten die NSU-Täter das erste Mal: am 9. September 2000 erschossen sie Enver Şimşek, ein knappes Jahr später dann Abdurrahim Özüdoğru, und im Jahr 2005 İsmail Yaşar.
Im Gegensatz zu Chemnitz zeigt sich die Gesellschaft in Nürnberg offen für einen Gedenkort, der an die Taten des rechtsextremen NSU erinnert und das Staatsversagen aufarbeitet. Nürnberg hat bereits Erfahrung darin gesammelt, wie Erinnerungskultur gelingen kann. Im Jahr 2001 eröffnete das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, das sich mit der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und insbesondere der NS-Propaganda im Dritten Reich auseinandersetzt.
rey